Die Eso-Tante und der kleine Guru – Achtsamkeit mit Kindern leben
Lavendel-Öl einreiben, Mantras singen, Yoga üben… typisch Eso-Tante halt. Und doch kann ihr das Kind noch Lektionen in Achtsamkeit geben.
Ich bin das, was man als spirituell angehaucht bezeichnet. Oder als Eso-Tante. Und manche würden mich wohl auch als nicht ganz dicht beschreiben.
Warum? Darum…
Ich mache seit Jahren mehrmals pro Woche Yoga und unterrichte. Ich räuchere regelmässig die Wohnung mit weissem Salbei aus, um sie von negativen Energien zu reinigen. Im Schlafzimmer steht ein kleiner Altar mit einer Kerze, Kristallen und einer Ganesha-Figur. Auf dem Boden liegen mein Meditationsfell- und Kissen allzeit bereit.
Ich ziehe mich immer wieder in Schweige-Retreats in die Berge zurück. Ich lege Tarot-Karten und weiss immer, in welcher Mondphase wir uns gerade befinden. Ich absolviere eine Ausbildung in buddhistischer Psychologie und lese derzeit ein Buch über den Einfluss unserer Chakren auf das Entstehen von Krankheiten.
In den letzten Jahren investierte ich sehr viel Zeit in meine spirituelle Praxis und sie wurde ein Grundpfeiler meines Lebens.
Sie gibt mir Kraft, Vertrauen, Mut und Zuversicht.
Ich bin überzeugt, dass sie mich zu einem besseren Menschen macht. Als mein Sohn unterwegs war, hatte ich Angst, dass ich viel zu wenig Zeit für meine Rituale haben würde. Und natürlich bewahrheiteten sich die Befürchtungen. Vorerst.
Doch dann öffneten sich glücklicherweise bald wieder die ersten Me-Time-Türen. Es liegt zwar nicht mehr drin, fünf Mal pro Woche für 90 Minuten ins Yogastudio zu gehen. Dafür bin ich in der einen Stunde, die mir bleibt, voll fokussiert und nehme viel mehr mit, als ich es jemals zuvor geschafft hatte. Auch beim Meditieren gelingt es mir leichter, bei der Sache zu bleiben, weil ich weiss: Mit der Ruhe kann es jeden Moment vorbei sein.
Mit dem Kind kommt die Kraft? Ja!
Was ich völlig unterschätzt hatte: Ein Leben mit Kind kann höchste spirituelle Praxis sein. Denn jetzt wird alles Gelernte auf eine schwere Prüfung gestellt. Wie gut gelingt es mir, mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen, sie einfach zu beobachten und anzunehmen? (Wenn mich mein Sohn ins Gesicht schlägt, gelingt es mir, sagen wir mal, noch nicht optimal).
Kann ich mich davon lösen, was andere über mich denken und mich daran erinnern, dass ich niemandem etwas beweisen muss? (26 Stunden Reise nach Bali und zurück und ich liess mich nicht einmal von der Dame, die sich empörte, mit so kleinen Kindern sollte man nicht reisen, aus dem Konzept bringen. Ich darf mir glaubs auf die Schulter klopfen).
Kann ich besser mit Ängsten und Zukunftssorgen umgehen? (Wenn ich daran denke, dass mein Sohn irgendwann in den Ausgang geht und viele Dummheiten anstellen wird, kriege ich fast ein Magengeschwür. Hingegen wächst mir im Alltag nicht mehr alles so schnell über den Kopf).
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
So vieles ist möglich!
Ausserdem kann ich viele Rituale mit meinem Sohn teilen: Er durfte sich seinen eigenen Stein aussuchen. Das Aventurin-Herz gehört jetzt zu seinen Schätzen und jedes Mal, wenn er den Stein sieht, drückt er ihn bedeutungsschwer an seine Brust.
Natürlich versteht er noch nicht, warum. Er würde das gleiche wohl mit einer leeren Klopapier-Rolle machen, hätte ich es ihm so vorgemacht. Aber dennoch glaube ich, hier möglicherweise wortwörtlich einen Grundstein zu legen. Ich erinnere mich daran, wie ich selbst mit meiner Mutter in den Steinladen ging und mir einen Stein für mehr Selbstbewusstsein aussuchen durfte. Ich habe ihn bis heute und trage ihn oft in der Hosentasche.
Ich reibe meinem Sohn Lavendelöl auf seine Fusssohlen, damit er besser schlafen kann. Wir tanzen zusammen zu den Mantras des Sängers Krishna Das. Ich singe ihm seit der Schwangerschaft das gleiche Mantra vor und es beruhigt ihn fast immer. Er turnt mit mir auf meiner Yogamatte und beherrscht den Downward-Facing Dog perfekt. Manchmal spielt er auch einfach Lego, während ich meine Asanas mache.
Bevor er ins Bett geht, wünschen wir vor der Fotowand allen unseren Lieben, dass es ihnen gut geht und sie gut schlafen werden. Wir praktizieren quasi die buddhistische Metta-Meditation.
Mein Achtsamkeits-Guru
Aber eigentlich lehrt mich mein Sohn viel mehr als ich ihn. Er ist eine Million mal achtsamer als ich. Er entdeckt jeden Vogel im Gebüsch, jeden Hund (auch den auf der Quöllfrüsch-Bier-Etikette), sieht jedes Flugzeug und streckt seine Händchen staunend in den unsichtbaren Wind. Er drückt seine Emotionen ungefiltert aus, vergisst den Groll aber genauso schnell wieder und freut sich – eben noch tief betrübt – über sein Lieblingsbüechli, als wäre er nie traurig gewesen. Das ist die Reinform von Achtsamkeit und im Moment leben. Themen, die stapelweise Selbsthilfebücher füllen. Die kann ich mir sparen. Ich habe meinen kleinen Guru zu Hause.
Wie habt ihr’s persönlich mit der Achtsamkeit? Zum Kommentieren bis ganz nach unten scrollen.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 13. März 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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