Achtung, fertig, Kinder-los!
Bei einem Nachbarschaftsbrunch herrscht Dresscode Kind. Acht Stunden später sind die einzigen Kinderlosen betrunken und froh, selber (noch) keine zu haben.

Es war im Sommer. Vor genau fünf Jahren.
Pffffffffffff.
Die Luft durch die Zähne pressen hilft. Es gibt jetzt kein zurück mehr, wir steuern um die Ecke.
…fffffff…ff…f.
Ich bin bei solchen Dingen oft nervöser als bei einem Live-Auftritt vor der halben Nation. Vielleicht denken die ja alle: „das ist jetzt also die, hä. Vom Fernseh.“ Und ich meine dann, dass die anderen meinen könnten, ich meinte, ich sei deshalb etwas Besseres. Für genau diesen Fall haben wir uns präventiv ins Zeugs gelegt und nicht geknausert. Ich trage zwei Laibe Züpfe (zum selber backen hat es leider nicht gereicht, wirklich, excusé, ich bin doch erst um elf Uhr nachts gelandet!) unter meinem linken Arm, die Kühlbox ist mit drei Flaschen Prosecco gefüllt (Stimmung!) und der rechte Arm profitiert noch immer von der Service-Erfahrung im Studium und balanciert ein fachmännisch – mit Betonung auf dem männisch, ich war beeindruckt von seiner Leistung – hergerichtetes Fleischplättli und zweierlei Sorten Käse aus den Portugalferien.

Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Da cha me nüt sägä, oder?

Dresscode Kind
Vermutlich denken die neuen Nachbarn ja aber auch gar nicht an ein bekanntes Fernsehgesicht, als wir zum ersten Quartierbrunch auf dem Kehrplatz einmarschieren. Das Hälschenstrecken sieht eher aus nach: kommt da nicht noch mehr?
Oha. Aha. Die Analyse der Situation ist eindeutig: um uns herum quietscht und turnt es, drei Tretautos und sechs speckige Beinchen ziehen Haarnadelkurven um meine Knöchel, der erste Händedruck ist kein nachbarschaftlicher sondern einer aus Comfi auf meinem Füdli.
Augenkontakt, aus Spekulation wird Tatsache: hier herrscht Dresscode Kind. Wir hätten uns eins ausleihen sollen, um nicht kinderlos dazustehen. Von Freunden, oder einem Anbieter, falls es das gäbe. Rent-a-Kid. Bability. Hertzig. Zum Beispiel.
Überall hets Chindli dra
Im Ernst, ich möchte es nicht weiter psychologisch erörtern (klar, es ist purer Neid, erwischt), aber ich sehe ü-ber-all Kinder, runde Bäuche, Frauenhände, die sich schützend auf ihnen platzieren.
Am Kiosk. In der Badi. Im Blick. Auf dem roten Teppich. Ich finde das auch schön und alles, und freue mich unbändig und von Herzen für die Freundinnen (Claudia, Karin) und die Cervelatgspänli (Mona, Cécile, Patrizia, Sheril undsoweiter) aber ich finde es ein bisschen gfürchig, wirklich!

Eine Graviditätsepidemie
Schwanger ist das neue Schwarz. Hat’s irgendwo etwas im Wasser? Am Wein kann es ja kaum liegen: „Für mi de nume es Schlüfeli!“ ist seit 2011 der Trendsatz bei jedem sozialen Gathering, der dazugehörige Mann ist am Schluss des Abends demzufolge stockbesoffen. Auch die prägnanten Themen sind gegeben. Ich kann mittlerweile über Folsäure, Toxoplasmose und Periduralanästhesie diskutieren, als hätte auch ich schon mindestens drei Mal einen kleinen Menschen durch diese viel, viel, um Gottes Willen viel (!) zu kleine Öffnung gepresst. Ich fürchte mich vor Dammriss und Einleitung, vor schwachem Bindegewebe und rauchenden Hebammen. Meine erfahrenen Freundinnen haben volle Arbeit geleistet.
Immerhin darf ich diese Gedanken noch mit ein paar Schlüfeli mehr runterspülen.
Flüssige Sonne
Los geht der Brunch um zehn, wegen der Kids. Die ersten drei Namen kann ich mir noch merken. Über zwanzig Familien brunchen fröhlich. Acht Stunden, zwei Tischbomben, aufgeschürfte Knie und einige Wasserschlauchattacken später sitzen noch fünf Gestalten alleine um einen runden Beistelltisch. Nachbar Christian hat nach der baldigen Proseccoebbe Wein vom eigenen Rebberg offeriert, Name: Flüssige Sonne. Wir fünf sitzen da mit roten Nasen und verbrannten Nacken und fühlen uns nachbarschaftlich.
Das Wasser haben wir (noch) gemieden. Aber freuen uns auf einen grossen Schluck. Später.

Dieser Text erschien zum ersten Mal im Juli 2011 in der Berner Zeitung.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 25. August 2016 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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