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Die Angst, wenn alles möglich ist

Ich kann alles tun, was ich will. Allein der Gedanke daran paralysiert. So viele Möglichkeiten, einen Weg einzuschlagen. Welche ist die richtige?

Zu viele Möglichkeiten können einschränken - ein Beitrag von mal ehrlich

Ich kann alles tun, was ich will.

Allein der Gedanke daran paralysiert. So viele Möglichkeiten, einen Weg einzuschlagen. Und wo wäre ich, wenn ich den anderen genommen hätte? Was, wenn ich den falschen, oder eben auch den Falschen, wähle? Meine Generation ist mit dem Luxusproblem der freien Wahl aufgewachsen.

Wir sind es uns dermassen gewöhnt, mitbestimmen zu können, das wir es an der Urne nicht mehr tun. Wir können unseren Beruf frei wählen und verzweifeln fast ob der Optionen. Da macht man im fast immer bestehenden Zweifelsfall eben „was mit Medien“. Als Frau lässt man sich nicht mehr einschüchtern, alle Wege stehen offen. Wenn wir Autos reparieren wollen, dann tun wir das eben. Wofür also noch kämpfen? Und bei der Partnerwahl sind wir sowieso so frei wie noch nie.

Klappt nicht? Ok, sagt die Generation MTV: next!

Mit meinem Vater habe ich oft über diese Eigenverantwortung diskutiert. Ihn hat niemand nach seiner Meinung gefragt, als er als kleiner Junge in die Klosterschule geschickt wurde. Studium und Dissertation gehörten zum Curriculum Vitae wie heute der Sprachaufenthalt.

Und mein Vater teilt sein Leben seit vier Jahrzehnten mit der gleichen Frau, meiner Mutter. Freiwillig, natürlich, und es gibt sicherlich ausser den beiden niemanden, der das schöner findet als ich. Aber die „wilde Ehe“, die heute ihre Tochter führt, oder die Tatsache, dass sie bereits einmal eine schliessen wollte, und dann eben doch nicht – undenkbar noch zu ihrer Zeit.

Als ich nach meinem ersten Praktikum meine Eltern informierte, dass ich mir nie einen Nine-to-five-Job werde vorstellen können, schluckte der passionierte Workaholic leer. Und liess mich gewähren. Er sagt, er beneide mich manchmal um meine Welt der Möglichkeiten. Ich sage, es gibt keinen Grund dazu.

„Wir haben (keine) Angst“ heisst das Wir haben keine Angst: Gruppentherapie einer Generation""» target=»_blank» rel=»noopener noreferrer»>Buch von Nina Pauer, drei Jahre jünger als ich, über eine Generation, der alle Wege offen stehen und die darob schier verzweifelt. In der sich ständig alle fragen, ob sie gut genug sind. Ob sie scheitern. Oder bereits woanders sein sollten. Wo sich alle vor Angst fast in die Hosen scheissen. Auch sogenannte Promis, by the way. Vor allem die.

Aber die Qual der Wahl – so, jetzt hab ich ihn endlich gebracht – fängt ja schon im Kleinen an. Die Universität von Columbia hat in einem Konfi-Experiment herausgefunden, dass sich Konsumenten von einer zu grossen Auswahl lähmen lassen. Konnten die Kunden aus sechs Konfitürensorten auswählen, kauften sie öfter eine, als wenn die Auswahl auf 24 erhöht wurde.

Ähnliche Ergebnisse gibt es laut der New York Times übrigens auch in Studien übers Speed-Dating. Da verstehe ich doch plötzlich die junge Inderin, die mir vor ein paar Jahren stolz erzählte, sie werde bald heiraten – wen wussten allerdings nur ihre Eltern. Und dass sie die Last dieser Entscheidung abgeben durfte, fand sie ganz ehrlich gut so.

Seit bald sieben Monaten gibt es eine Entscheidung in meinem Leben weniger zu fällen.

Mit dem zweiten Strichli auf dem Schwangerschaftstest war klar: ich werde Mutter. Und ich empfand es als Befreiung. Kein Weg zurück, das ist jetzt einfach so. Kein Abwägen mehr, ob’s der richtige Zeitpunkt ist, ob man nicht zuerst noch das neue Projekt anpacken oder die Welt bereisen müsste.

Nachdem wir der Natur die Entscheidung überlassen haben, hat sie diese auch prompt gefällt. Und ich bin so unendlich erleichtert, dass sie mich einfach so vor vollendete Tatsachen gestellt hat.

Selten habe ich mich so wenig gefürchtet, wie jetzt.

Dieser Text wurde erstmals 2011 in der Berner Zeitung veröffentlicht.

Autorin

Andrea Jansen hat 2016 Any Working Mom gegründet und lange als CEO geführt. Bei mal ehrlich ist sie für Strategie und Business Development verantwortlich. Sie reist gerne durch das Leben und um die Welt, versucht, weniger zu micromanagen und mehr zu schlafen. Sie ist Unternehmerin, Stiftungsrätin, Journalistin und Mutter von drei Kindern. Seit mindestens drei Jahren will sie ihre Website updaten und kommt nicht dazu – bis dahin findet man sie auf Insta als jansenontour.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 12. März 2011 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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