«45 Jahre, knapp 100 Kilo und body: positiv»
Wie prägt das Übergewicht der Mutter das Leben ihrer zwei Teenager-Töchter? «Fat Mom» Steffi Hidber schildert ihre Erfahrung.
Du hast jetzt grad mit den Augen gerollt, richtig? Gib’s zu. Total unmöglich, so eingebildet von sich zu reden. Erst recht, wenn man so dick ist. Und trotzdem tue ich es – fast täglich, für mich selbst. Einmal habe ich es ziemlich laut online getan – für meine Töchter. Und für alle anderen Frauen, die das offensichtlich hören mussten.
Meine Rolle als «Fat Mom» von zwei Teenager-Töchtern
Das Thema hatte sich etwas angestaut: Der Auslöser, warum ich meine Gedanken zur Frage «Welchen Einfluss hat mein Übergewicht auf meine Kinder?» veröffentlichte, kam, als jemand (für mein Empfinden) völlig unnötigerweise meiner Tochter sagte, dass sie «schön abgenommen» habe.
Es ist überhaupt nicht so, dass das Thema Gewicht bei uns tabuisiert wird; es ist vielmehr so, dass es unglaublich viele andere Dinge gibt, die für mich wichtiger sind. Und ja, verdammt. Ich hoffe, dass ich damit meinen 14- und 16-jährigen Töchtern ein Vorbild bin.
Body Positivity vorleben
So ist also mein Blogbeitrag über Body Positivity und über meine Rolle als «Fat Mom» von zwei Teenager-Töchtern entstanden. Ein Post, in dem ich mich frage, ob und wie es meine Kinder prägt (und prägen wird), dass ihre Mutter dick ist. Gleichzeitig macht es mich ungeheuer stolz, dass meine Mädchen Dinge sagen wie: «Das ist so out, dass man sich wegen dem Gewicht runtermacht!» und dass sie selbst finden, dass ihre Generation Body Positivity nicht nur als Hashtag benutzt, sondern auch lebt.
Mir ist es wirklich ein grosses Anliegen, dass sich meine Kinder nicht darüber definieren, ob sie nun dick oder dünn oder hübsch oder hässlich sind.
Der Text hat Anklang gefunden, und ich gebe zu, dass das nicht völlig überraschend kam für mich. Einerseits, weil ich auf meinem Blog viel lieber über Anti-Aging-Wirkstoffe und neue Spas schreibe als über meine Figur oder mein Essverhalten – und wenn ich es doch mal tue, dann fällt das auf.
Dick, fit und selbstbewusst
Den gesundheitlichen Aspekt (auch über den wurde online heiss diskutiert) lasse ich dabei ganz klar aussen vor: Ich bin krass nicht dünn – und laufe damit durchaus Gefahr, dass mein Übergewicht gesundheitliche Folgen haben könnte. Doch jetzt, dick und fit und als Mutter von zwei normalgewichtigen Kindern besitze ich trotzdem die Frechheit, mich total lässig zu finden.
In der realen Welt, in meiner Familie, ist das keine grosse Sache. Doch in der Online-Welt, in der ich mich bewege, offenbar schon. Du kannst es gleich selber checken: Auf meinem Instagram-Account kriegen Bilder, auf denen mein ganzer Körper zu sehen ist, im Schnitt mindestens doppelt so viele Likes wie Produktbilder.
Es ist durchaus möglich, dass das keine «Schönes Outfit!»-Likes sind, sondern «Das ist aber mutig von dir!»-Likes. Und es kommt mir auch gar nicht darauf an, denn ich poste ja nur Bilder, auf denen ich mich schön finde. Auch ich vergleiche mich selbst durchaus optisch mit anderen Frauen.
Der grosse Unterschied ist aber, dass ich inzwischen fähig bin, jemanden schön zu finden, ohne dass ich vor Neid zerfressen werden.
Und ohne, dass die Schlussfolgerung daraus ist, dass ich mich deshalb selbst nicht mehr schön finden kann.
Teenager und ihr Selbstwertgefühl
Als Mutter von zwei Töchtern muss ich das ja auch können: Nicht bloss, weil sie mir im Moment täglich vor Augen führen, wie unglaublich schön und ästhetisch so ein junger Frauenkörper sein kann (Tipp: Gehe nicht mit 16-Jährigen zu Zara Kleider anprobieren, wenn du prämenstruell bist). Sondern auch, weil ich meine Mädchen zu Frauen erziehen wollte, deren Selbstwertgefühl nicht in erster Linie abhängig ist von ihrem Gewicht.
Im Moment scheint mir das einigermassen gelungen zu sein;
meine Mädchen wirken auf mich recht gelöst, was ihr Erscheinungsbild angeht.
Meinen Blogbeitrag fanden übrigens beide gut, und Mia erzählte mir später, dass es bei ihr in der Schule rege Diskussionen darüber gegeben hatte. Dabei sagte ihr eine ihrer Freundinnen, dass sie sich wünschte, dass sie auch so wohlwollend sein könnte mit sich selbst. Das ist gleichzeitig schön und schlimm, oder?
Denn auch ich war mal Teenager.
Und ich weiss auch noch, wie es sich anfühlt, wenn man in den Spiegel schaut und nichts – aber auch wirklich gar nichts – sieht, was man nur annähernd schön findet.
Sich schön zu finden, ist Übungssache
Darum finde ich es auch grossartig, dass der Begriff «Body Positivity» in den letzten zwei Jahren zu einem solchen Schlagwort geworden ist. Es gibt gleich eine ganze Reihe von Role Models, die ich diesbezüglich wirklich super finde: Melodie Michelberger, Morena Diaz oder gar das richtig dicke Supermodel Tess Holliday haben auf Instagram unzählige junge Follower, die ihre Message hören und offenbar auch verstehen:
Sich schön zu finden, ist durchaus Übungssache. Und heute finde ich zum Beispiel, dass mir das besonders gut gelungen ist.
Gell, du hast jetzt gerade wieder das Gesicht gemacht?
ICH HAN’S GSCHPÜÜRT.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 1. Januar 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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