Mut zum Makel: Gelassenheit macht schön
Lieben wir uns selber, zeigen wir auch unseren Kindern, dass sie nicht perfekt sein müssen, um geliebt zu werden. Nur leider fällt uns Frauen das furchtbar schwer.
Bodypositivity feiert Körper, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Das ist gut, das ist wichtig – und doch nicht ganz so einfach wie es klingt.
Wer ist schöner: Ashley Graham oder Lena Dunham? Selena Gomez oder Pink? Du oder ich?
Ginge es nach der Internet-Bewegung Bodypositivity, spielte das keine Rolle mehr. Bei Bodypositivity sind wir nämlich alle schön, jede und jeder auf seine Art – mit all den Makeln, die wir mit uns rumtragen. Bilder von nicht perfekten Körpern in den sozialen Medien sind schon lange mehr als fällig, finde ich. Deshalb stehe ich für diese Bewegung ein, auch wenn sie Schwachstellen (wie bezeichnend) hat.
Bei Bodypositivity sind wir alle schön, jede und jeder auf seine Art – mit all den Makeln, die wir mit uns rumtragen.
Ich kann es nicht mehr hören: Meine beste Freundin findet sich mit einem BMI von 21 masslos und eindeutig zu schwabbelig. Eine Bekannte meinte am Neujahrsapéro, sie habe zwei Kilogramm zugenommen und nun einen riesen Ranzen. Eine andere Freundin kommt seit der Geburt ihrer Tochter nicht mehr mit zum Tanzen, sie sei fett geworden und könne sich so nicht mehr zeigen. Und rede ich mit jungen Frauen zwischen 15 und 20, finden die sich praktisch alle zu dick.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Da läuft doch etwas schief!
Wir Frauen glauben ziemlich oft, wir seien dünn liebenswerter. Ein Kompliment zu unserer Figur ist uns dann manchmal mehr wert, als eine Lohnerhöhung für gute Leistungen – und das in Zeiten von Emanzipation. Gut möglich, dass daran all die Bilder von halbnackten und trainierten Frauenkörpern, die uns täglich und überall begegnen, schuld sind.
Oder der daraus entstandene Optimierungswahn. Vielleicht auch das Patriarchat, oder die Erziehung. Ich weiss es nicht. Ich bin keine Psychologin oder Soziologin, ich nehme nur wahr, was rund um mich herum passiert.
Wir Frauen glauben ziemlich oft, wir seien dünn liebenswerter.
Mittlerweile hält sich zum Beispiel gut die Hälfte der Frauen in meinem Umfeld an eine spezielle Ernährungsform: glutenfrei, vegan, Paleo, Atkins, eat clean, Detlef D. 10 weeks Body Change, Chrono-Diät – die Liste ist endlos. Am Mittagstisch im Büro oder beim Kaffee mit anderen Müttern plaudert man über Bauchstraffung, Fasten, Detox-Ferien, Bootcamps.
Eines ist auf jeden Fall klar: Gesund kann dieser Wahn nicht sein. Für uns nicht. Und für unsere Kinder nicht. Da kommt mir die Bodypositivity-Bewegung gerade recht.
Zu viel gesehen
Ich bin sowieso übersättigt von den vielen nackten, wohlgeformten Hintern und glatten, flachen Bäuchen. Ich bin davon gelangweilt und es beelendet mich. Es wird uns falsches Glück am Laufmeter verkauft. Teenagern im Alter meines Sohnes (13) suggeriert man auf Instagram täglich: Wer schön ist, ist erfolgreich. Wer dünn oder muskulös ist, ist beliebt. Diese Schülerinnen und Schüler glauben tatsächlich, je mehr Likes sie für ein Foto bekommen, desto mehr Anerkennung und Erfolg ernten sie auch im wahren Leben.
Es braucht dringend Diversität statt Einheitsbrei und Realität statt Perfektionismus, auch in den sozialen Medien.
Die Bewegung „Bodypositivity“ ist vielleicht ein erster Schritt auf diesem Weg zu mehr Toleranz und Selbstwertgefühl. Auf Instagram und Twitter sehen wir unter #bodypositivity nämlich plötzlich alles Andere als die pure Perfektion: Mama-Bäuche mit überdehnter Haut, Frauen mit sehr kleinen, mittelgrossen und riesigen Brüsten, mit Cellulite oder Augenringen, Mädchen-Glatze oder grauem Haar und Porzellanhaut, mit riesigen Hinterteilen oder solche mit ganz flachen Füdlis.
Wir sehen Männer mit hängenden Bäuchen oder bleicher Brust, Menschen im Rollstuhl oder mit Prothesen. Teenager mit Zahnspangen oder Hautekzemen. Das befreit unsere Gesellschaft zwar nicht vom heutigen Schönheitsideal, doch es schafft für einen kurzen Moment ein bisschen Entlastung.
Für uns, unsere Mütter und für unsere Teens. Zumal solche Fotos doch auch interessanter und abwechslungsreicher sind, als die normierten Körper, die uns sonst gezeigt werden.
Kritische Stimmen
Nicht alle sehen das so optimistisch. „Bodypositivity“ erntet in letzter Zeit viel Kritik, Journalist:innen wittern Doppelmoral und finden, es gehe bei dieser Bewegung ebenfalls nur um Selbstdarstellung.
Beliebt seien auch hier nur die Schönsten (sprich die Bestgeformten oder Wohlproportioniertesten). Die Anhänger redeten sich Makel schön und verlangten, dass jeder jeden attraktiv findet. Andere bemängeln, Übergewicht sei gesundheitsschädigend und dürfe nicht verherrlicht werden.
Nun, ich finde die Kritik berechtigt. Man darf die Bewegung nicht als Befreiungsschlag oder als Revolution des Schönheitsideals sehen. Sie schwimmt mit im Teich der Narzissten-Haifische – und trotzdem glaube ich, führt sie im besten Falle zu mehr Gelassenheit.
In meinen Augen geht es bei #bodypositivity nicht um die Verherrlichung von Übergewicht, sondern um das Aussöhnen mit dem eigenen Körper.
Je besser wir unseren Körper akzeptieren, desto leichter können wir uns von ihm distanzieren. Schliessen wir Frieden mit unserer Figur, sind wir gelassener und gesünder.
Lieben wir uns selber, zeigen wir auch unseren Kindern, dass sie nicht perfekt sein müssen, um geliebt zu werden.
Dieser Text erschien in einer ähnlichen Form auch unter www.alleswasdubrauchst.ch
Weitere Texte von Marah auf Any Working Mom: «Viele Frauen haben Dauer-Schuldgefühle», Mir streikt‘s! Ich will kein Mann sein müssen, um eine erfolgreiche Frau sein zu dürfen! und Kind, wie findest Du es eigentlich, wenn ich arbeiten gehe?
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 13. Januar 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
1x pro Woche persönlich und kompakt im mal ehrlich Mail.