Das dritte Kind – was sich wirklich verändert
Eins, zwei, drei Kinder: Warum mich das dritte Kind zum lebenden Snapchatfilter und gleichzeitig zum Duracell-Hasen hat mutieren lassen. Ein Vergleich.
Ein Kind ist kein Kind.
1+1 = 3.
Das Dritte läuft einfach mit.
Ich konnte leider nicht herausfinden, wo diese gern zitierten Plattitüden ihren Ursprung haben, aber eines ist sicher: Sie sind kompletter BS.
Ein Kind ist sehr wohl ein Kind.
Eltern werden fühlt sich an, als hätte man emotional ein paar Runden im Wäschetumbler gedreht, Schleuderprogramm.
Wie es ist, plötzlich nicht mehr unverletzbar zu sein, die Verantwortung für einen anderen Menschen zu tragen, darauf kann einen niemand vorbereiten. Das erste Kind verändert nicht per se das Leben, es verändert vor allem die Eltern, und das für immer.
1 + 1 = 3
Zwei Kinder, und da komme sogar ich mathematisch noch mit, sind definitiv mehr als eines. Zwei geben auch mehr zu tun, klar, und wer beide dazu bringt, gemeinsam den Mittagsschlaf zu machen, sollte sich selber mit Gusto highfiven.
Aber die wahre, grosse Herausforderung mit zwei Kindern besteht nicht einmal in der Bewältigung und Grossorganisation der grösseren Betreuungsarbeit, sondern im demütigenden Eingeständnis an sich selber: Die bisherige Erfahrung als Eltern nützt nur bedingt.
Oder anders formuliert:
Was K1 gut fand (Kinderwagen, Hängematte, Nuggi), muss K2 nämlich gar nicht automatisch gefallen. Wenn K1 nach sechs Wochen durchgeschlafen hat, wird K2 das vielleicht erst nach zwei Jahren tun. Und wenn K1 auch nach dem zweiten Geburtstag fröhlich Gemüse schaufelt, und ihr gütigerweise schon andere mit euren erfolgreichen Erziehungsmethoden beglückt habt, wird K2 möglicherweise mit dem liebevoll gekochten Kohlräbli Weitwurf üben. Das schadenfreudige Kichern in eurem Hinterkopf, das ist keine Erbse. Das bin ich, im Fall.
Kind eins wird euch emotional in den Himmel hieven, Kind zwei holt euch auf den Boden zurück. Zurück auf Start. Das zweite Kind – we got this. Dachtet ihr, und wir auch.
Und dann noch eins: das dritte Kind
Womit wir jetzt wirklich bei Nummer drei wären. Dass wir uns nach zweien noch für ein drittes entschieden haben, hat natürlich seinen Grund: Alle Anstrengung, das emotionale Bungeejumping und eine Organisationsleistung, die an die Durchführung der Olympischen Spiele erinnert, drückte die Waage in Relation zu einem weiteren kleinen Menschen in unserem Leben nicht wirklich nach unten. We did it again.
Ich war für Nummer 3 bestens vorbereitet: Emotional seit dem ersten Kind im Helikoptermodus und tendenziell nahe am Wasser, seit dem zweiten Kind offen für alle Eventualitäten. Komme, was wolle – Hauptsache gesund! Nein: Hauptsache glücklich!
Bereits die dritte Schwangerschaft war kein epochales Ereignis mehr. Und ich glaube, ich war zuweilen die Einzige, die sie überhaupt bemerkt hat. Sie erhielt nur Beachtung, weil es eben die dritte war. Babyshowers, Fussmassagen und Fragen nach dem Befinden kann man sich beim Hattrick aber getrost ans geschwollene Bein streichen.
Neue Skills, viele Veränderungen
Ebendieses Bein sollte aber spätestens nach Ende des Spitalaufenthaltes wieder voll einsatzfähig sein.
Drei Kinder – zwei Hände: Finde den Fehler.
Nach der Geburt meiner Tochter lernte ich sogar, die Nachttischlampe mit den Zehen an- und auszuknipsen.
Das Baby – dem ich hier eine kleine Hymne geschrieben habe – liess mich fortan nicht nur als lebender Snapchatfilter mit Herzchen in den Augen herumspazieren, sondern es war ständig bei mir. Immer. Tags, nachts. Und ja, mit dem Baby in der Trage kann man auch aufs WC.
Nicht, dass sich Any Working Dad nicht auch engagiert hätte – aber da waren ja noch zwei andere Kinder. Die wollten essen, spielen und ganz viel Aufmerksamkeit. Nur Brüste brauchten sie nicht – und so ergab sich die Aufteilung wie von selbst.
24/7 – schön und anstrengend zugleich
«Kannst Du mal übernehmen?» Dieser oft gebrauchte Satz nach der Geburt des Sohnes hallt mir noch im Ohr. Die Zeiten, in denen wir uns bei der Betreuung abwechseln konnten, sich einer hinlegen konnte und der andere draussen am «Wägelen» war – ein fernes Universum. Bei drei Kindern gibt es definitiv keine Pausen mehr.
Me-Time? Eher «Me! Me! Me!»-Time – einer schreit immer.
Immerhin: Diesen Satz lasse ich gelten.
Meine Tochter war die ersten fünf Monate 24/7 bei mir. Ich genoss diese Nähe, geniesse sie immer noch, trotzdem war es verdammt anstrengend, nie abgeben zu können. Alleinerziehende, einmal mehr verneige ich mich vor euch.
Anders als beim ersten Kind, bei dem ich Bücher las, zur Mütterberatung rannte und mir die Finger so wund googelte, wie es die Brustwarzen schon waren; und anders als beim zweiten, wo ich dachte, ich hätte die Weisheit ja bereits mit Löffeln gefressen, war es beim dritten Kind aber noch einmal anders: Ich machte einfach.
Back to Basics: Gib dem Kind, was es braucht
Intuition wurde meine neue Guideline (vielleicht auch Pragmatismus, weil ich ganz einfach keine Zeit mehr hatte, Stillzeiten aufzuschreiben, eine feste Routine zu etablieren, oder mir Gedanken darüber zu machen, ob es jetzt falsch sein könnte, das Kind in den Schlaf zu wiegen). Das Baby wird gefüttert, wenn es Hunger hat. Es wird gewickelt, wenn die Windel voll ist. Und es schläft, wenn es müde ist. Am liebsten auf seiner Mutter.
Dass die Frauen des !Kung-Stammes in Namibia das ähnlich machen, habe ich natürlich nur per Zufall herausgefunden. Und dass das Ganze hier im Westen sogar einen Namen hat, nämlich bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung, bzw. Attachment Parenting, ebenfalls.
Also falls jemand fragt: Ich mache das jetzt.
Ich habe das Gefühl, die Babyzeit geniessen zu können wie nie zuvor.
Die Ängste und Zweifel nach der Geburt des Erstgeborenen, sie sind nicht mehr. Die komplette Überforderung mit der neuen Familienkonstellation nach der Geburt des zweiten Kindes, als plötzlich beide Elternteile ständig gefordert waren – auch sie ist keine solche mehr. Ich bin emotional entspannter – kann mich voll auf die Tochter einlassen, weil ich aus Erfahrung weiss, dass es dann schon irgendwie geht.
Das Dritte muss mit, läuft aber nicht
Und ja, das dritte Kind kommt immer mit. Weil es muss. «Warten, bis es aufgewacht ist», war der Luxus des Erstgeborenen. Jetzt wird umgelagert, eingepackt, losgefahren.
Fun Fact: Es ist anstrengend. Entgegen der weitverbreiteten Meinung läuft so ein drittes Kind auch nicht selber. Nur die Mutter, oft am Limit.
Die kommt sich manchmal vor wie ein Duracell-Hase auf Ecstasy, steht vor einem Berg voll Arbeit und Wäsche, regt sich auf über die Mental Load der Familienorganisation, die sie nach wie vor trägt, bricht in Tränen aus, wenn die grossen Kinder gleichzeitig trotzen oder 45 Minuten nicht reichen, um rechtzeitig die S-Bahn zu erwischen, sie geht wieder erst um 23.30 ins Bett, weil Kinder und Karriere; und tauft das Baby in der Nacht ungewollt mit Schoppenmilch, weil sie beim Füttern immer wieder wegdöst.
Aber dann ist Morgen, die Tochter krabbelt noch im Pyjama aufs Bett, der Sohn hüpft mit einem Ninja-Move hinterher und das Baby lacht.
Eins ist eins. Zwei sind zwei. Und Nummer drei möchte ich auf keinen Fall missen.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 18. August 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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