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Der Blues kam. Und blieb. Wenn Heultage zu Heulmonaten werden.

Dieses elende Mutterglück wollte einfach nicht kommen. Wie mich die Geburt meines Sohnes komplett aus der Bahn warf.

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Es hätte eine so schöne Zeit sein können. Sie hätte es auch sein sollen – gemäss meinen vorgeburtlichen Vorstellungen und all den Erzählungen über die magische Zeit nach der Geburt. Aber bei mir kam es anders.

Plötzlich merkte ich: Das ist mehr als ein Babyblues.

Nichts in meinem Leben hat mich bisher so aus der Bahn geworfen, wie das Aufeinandertreffen meiner Vorstellungen übers Muttersein und der Realität nach dem ersten Schrei meines Sohnes. Vorbereitet war ich auf Freudentränen und darauf, vor Glück förmlich zu zerspringen. Eingetroffen sind Sprachlosigkeit, Angst und komplette Überforderung.

Ich schwankte von totaler innerer Leere zu absoluter Panik und Traurigkeit. Verbrachte zahllose Minuten heulend auf der Toilette. Es waren Tage voller Angst, etwas falsch zu machen und der Angst vor dem „nichts Fühlen“. Ich sehnte mich nach dieser innigen Bindung zu meinem Baby, aber auch nach mir selbst.

Wie vermisste ich das alte Leben, in dem ich alles unter Kontrolle hatte!

In den (wahrscheinlich vielen) Minuten, in denen mein Sohn nicht schrie, fürchtete ich mich davor, er könnte gleich loslegen. In den (wahrscheinlich gar nicht so zahlreichen) Minuten, in denen er schrie, hatte ich Panik, keine Lösung zu finden und den Rest meines Lebens mit einem schreienden Kind verbringen zu müssen. Ich sehnte mich nach meinem alten Leben, in dem ich (vermeintlich) alles unter Kontrolle hatte, selbstbestimmt und frei war. Wissend, dass ich in diesem alten Leben nichts sehnlichster wollte als ein Leben mit Kind.

Mein altes Leben schien so endlos weit weg.

Wann kommt es endlich, dieses elende Mutterglück?

Gute Frage. Die hätte ich mir nicht nur ständig selbst, sondern einer Fachperson stellen sollen. Dazu war ich nach der Geburt meines ersten Kindes aber nicht in der Lage (zum Glück aber nach der Geburt des zweiten). Aus Scham vermutlich, und weil ich es gewohnt war, Dinge selbst zu regeln.

Es dauerte drei Monate, bis sich die Tage mit meinem Baby nicht mehr so endlos anfühlten. Die Glücksmomente wurden zahlreicher und diese unglaublich tiefe Liebe immer spürbarer. Richtig wieder «mich selbst» fühlte ich mich nach rund 9 Monaten. Geholfen haben mir, dass mein Baby aus der ersten intensiven Phase raus war (Drei-Monats-Koliken adé), ein geduldiger und verständnisvoller Ehemann, Schwiegereltern, die mich oft unterstützt haben, mein 40%-Job sowie viele offene Gespräche über meine Gefühlslage.

Was hilft? Raus! An die Luft und zu den Menschen.

Am meisten geholfen hat mir aber, einfach nach draussen zu gehen. In den ersten Wochen hatte ich Angst davor, mein Baby mit Reizen zu überfluten. Gescheite Ratgeber meinten, zu viel Besuch sei nicht gut, nach draussen müsse man nicht zwingend und das Radio sollte auch am besten schweigen. Daran hatte ich mich gehalten und bin dabei schier verrückt geworden. Kaum war ich häufiger unter Menschen, ging es mir besser und mein Kleiner war auch zufriedener.

Als sich das Gedankenkarussell nach der Geburt des zweiten Kindes wieder zu drehen begann, suchte ich nach zwei Wochen eine Psychologin auf. Sie konnte mir meinen eigenen Gemütszustand erklären und half mir, zermürbende Zwangsgedanken zu verscheuchen. Schon nach kurzer Zeit ging es mir viel besser.

Das ist mein neues Leben. Und ich akzeptiere es – mit allem, was dazugehört.

Mutter werden hat mich in eine Identitätskrise gestürzt. Früher war ich ehrgeizig, im Studium und im Beruf. Definierte Erfolg über gute Noten und beruflichen Aufstieg, war finanziell unabhängig und viel unterwegs. Jetzt verbrachte ich die Tage allein zu Hause mit Baby und finanziell konnte ich (zumindest am Anfang) nichts mehr zum Familienbudget beitragen. Ich musste meinen Selbstwert neu definieren und mich auf mein neues Leben einlassen.

Ein Leben voll mit kalten Kaffees, unterbrochenem Essen, kurzen Nächte und – was mich am Anfang besonders hart getroffen hat – völliger Fremdbestimmung (durch mein Baby). Ein Leben mit weniger beruflicher Selbstverwirklichung und „Ich-Zeit“, die mir fehlte. Dafür war mein Leben plötzlich voller unglaublich schöner ersten Male, tiefer Liebe, voll Lachen und Action. Ein Leben mit mehr Inhalt und Sinn, mehr Gelassenheit und erlebter sowie gelebter Zeit.

Und plötzlich sah ich einen Weg. Auch wenn ich nicht genau wusste, wo er hinführt.

Die Postnatale Depression war für mich (und meine Kinder) auch eine Chance.

Die depressiven Verstimmungen haben mich eiskalt erwischt. Mich, die neue (berufliche) Herausforderungen stets gesucht hatte und von Vorgesetzten als verlässlich und auch in hektischen Zeiten als ruhig bezeichnet wurde. Ich stand plötzlich voll im Sumpf.

Und war gezwungen, mich mit meinen inneren Blockaden auseinanderzusetzen. Ich musste lernen, meinen Selbstwert nicht mehr über berufliche Erfolge zu definieren und nicht vor jedem Fehler Angst zu haben. Sonst würde ich in meinem Job als Mutter (und allgemein im Leben) dauernd verpassten Chancen nachtrauern.

Meinen Kindern wünsche ich, dass sie Rückschlägen mit einem gesunden Selbstvertrauen und Nachsicht begegnen können. Sie sollen gelassen und flexibel sein. Mittlerweile kann ich ihnen diese Werte vorleben. Denn heute ist das „Mutterwerden“ für mich eine Reise zu einem gelasseneren, mutigeren und damit auch glücklicheren Ich geworden.

Autorin

Angela Kaiser trägt gerne einen vollen Rucksack mit sich herum. Vollgepackt mit Erfahrungen aus Studium, Marketing, Strategieprozessen, Teamleitung und aktuell Windeln, Wechselkleidung, Wasserflaschen und (leider oft zerquetschten) Birnen. Denn ihr Sohn liebt Birnen.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 20. November 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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8 Antworten

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  1. Avatar von Karin
    Karin

    Ach je, du Arme. Mir ging’s beim ersten Kind auch so, ich war monatelang müde, unendlich traurig, konnte mich nicht konzentrieren, nicht motivieren. Gespräche mit meinem Mann, der besten Freundin und meiner Mutter halfen zwar, lösten das Problem aber nicht. Die Hebamme machte nach 5 Tagen einen Abgang, weil “es bei uns so gut lief”, der Frauenarzt sagte, ” Kinder sind eine riesige Verantwortung – aber eine wunderschöne.”, die Psychologin diagnostizierte eine “hohe Emotionalität”, eine Therapie sei aber nicht nötig. Es wurde besser, als die Nächte ruhiger wurden, ich wieder zum Sport und mit Freundinnen weg konnte und eine Weiterbildung machte. In der zweiten Schwangerschaft suchte ich eine neue Psychologin und eine gute Hebamme – der Start mit dem zweiten Kind war dann viel entspannter.

    Alles Gute für dich!

  2. Avatar von Ines
    Ines

    Liebe Angela, ich bewundere deine Ehrlichkeit in aller Öffentlichkeit. Selbst im privaten Rahmen wird nur wenig über die postnatale Depression gesprochen. Vielleicht traut man sich einer engen Freundin an, aber im weiteren Bekanntenkreis, geschweige denn in der Öffentlichkeit, wird dieses Thema leider viel zu oft verschwiegen. Wenn man auf Facebook und Instagram all die Bilder von glücklichen Eltern sieht, kann man nicht glauben, dass es auch vielen Müttern schlecht geht und man nicht alleine dasteht. Meine Tochter ist nun 2 Jahre alt, und manchmal vermisse auch ich die ruhige Zeit von vorher. Es ist, wie du sagst: wunderschöne Momente wechseln sich (fast minütlich) mit strengen, schwierigen Momenten ab.

  3. Avatar von Corinne
    Corinne

    Vielen Dank für diesen Beitrag! Ehrlichkeit ist gerade bei diesem Thema so wichtig!
    Ich hatte auch Mühe nach der Geburt des ersten Kindes. Mir war v.a. langweilig obwohl ich ja mit Baby gut beschäftigt war. Aber es gab kaum Kontakte zu Erwachsenen, da alle arbeiten mussten… da musste ich mich auch neu orientieren. Ich freute mich darauf, endlich wieder ins Büro gehen zu dürfen… das darf man manchmal auch kaum sagen. Mutter zu werden ist eben auch eine sehr grosse Herausforderung und wie du schreibst, man (frau) muss sich neu definieren.

  4. Avatar von Andrea
    Andrea

    Ein unglaublich ehrlicher, authentischer Text. Hut ab vor so viel Mut!

    1. Avatar von Angela
      Angela

      Vielen Dank Andrea! Ich hoffe in Zukunft braucht es weniger Mut, offen solchen Gefühlen und Gedanken zu äussern.

  5. Avatar von Anonym
    Anonym

    Hallo Angela, unglaublich dein Blogeintrag! Für mich wunderschön, dass jemand sich so öffentlich dazu bekennen kann, dass Kinder kriegen eben nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen ist, sondern auch schwierige Momente und Phasen beinhalten kann. Ich war oft am Punkt, an welchem ich mich fragte, ob es denn nur mir so ergeht…dank deiner Offenheit fühle ich mich nun aber gestärkt! Ich hatte nicht den Mut, mir professionell Hilfe zu holen, auch, weil ich das Gefühl habe, es im Moment im Griff zu haben. Dennoch eine kurze Frage: wann würdest du aus eigener Erfahrung finden, dass es wichtig ist, sich professionelle Hilfe zu holen? Liebe Grüsse

    1. Avatar von Angela
      Angela

      Vielen Dank für deine Worte! Mit solchen Gefühlen und Gedanken stehst du ganz und gar nicht alleine da, es wird nur leider sehr selten offen und ehrlich kommuniziert. Obwohl so viele betroffen sind.
      Keine leichte Frage, der Leidensdruck ist sehr individuell. Tage, an welchen die Nerven blank liegen und man/frau die Minuten zählt bis der Partner nach Hause kommt oder auch mal als sehr streng empfundene Wochen (aufgrund von Krankheit, Entwicklungsschüben oder sonstigen Phasen) sind, denke ich, völlig normal. Den ganze Tag eitel Sonnenschein gibt es meiner Meinung nach auch nicht sondern Stressphasen gepaart mit wunderschönen “Mmh-Momenten”. Ich habe mir Hilfe geholt weil mich zermürbende Zwangsgedanken (z.B. “wie schaffe ich es meinen Erstgeborenen nicht zu vernachlässigen wenn ich so oft stille?) regelrecht lahmgelegt und meine ganze Energie geraubt haben. Ich habe an allen möglichen “hypothetischen Problemstellungen” herumstudiert um ja für jede Situation eine Lösung und damit stehts alles im Griff zu haben. Und habe dabei nicht mehr gelebt und meine Familie genossen sondern nur noch funktioniert. Ich war nicht mehr präsent sondern meist in Gedanken und davon erschöpft. Das war für mich kein Zustand. Ich war nie an dem Punkt, an dem ich mich oder meine Kinder “gefährdet” hätte. Und habe mir trotzdem Hilfe geholt. Denn ich denke je früher man Hilfe holt, desto schneller geht es besser. Zu warten bis man fast nicht mehr kann oder Wochen/Monate einfach durchzuhalten/zu funktionieren und zu warten bis es besser wird sind verschwendete Zeit. Und wie ich es jetzt bei meinem zweiten Kind erleben darf: eine richtig schöne Zeit, die so nie mehr zurück kommt. Liebe Grüsse, Angie

    2. Avatar von Angela
      Angela

      …und “verschwendete Zeit” bitte nicht falsch verstehen. Damit meine ich es ist sehr wichtig als Mutter auch zu sich selbst Sorge zu tragen und nicht aus Scham oder falschem Stolz keine Hilfe anzunehmen. Ausharren und warten bis es besser wird kann auch funktionieren. Ich persönlich finde die Zeit, in welcher man nicht versucht sich zu helfen (auf welche Art auch immer) sondern einfach ausharrt, verschwendete Zeit.