Drei Kinder – was habe ich mir bloss dabei gedacht?
Alle wollen etwas und alle wollen es gleichzeitig. Das Chaos nimmt Überhand. Und Sandra fragt sich, ob sie als Dreifachmutter überhaupt geeignet ist. Familienplanung in der Retrospektive.
In Schnüerlischrift habe ich mit etwa 10 Jahren in mein Aufsatzheft geschrieben:
„Ich wohne in einer schönen Wohnung im zweiten Stock mit meinem Mann, unseren drei Kindern und unserer Katze. Alle haben ein eigenes Zimmer. (…) Wenn unser Sohn und unsere ältere Tochter in der Schule und im Kindergarten sind, schreibe ich ein Buch. Mein Mann passt dann auf die jüngere Tochter auf. (…) Am Abend essen wir alle zusammen Pizza und machen Spiele. Dann sagen wir uns ‚Gute Nacht‘ und gehen ins Bett. Vor dem Einschlafen lese ich noch ein spannendes Buch.“
Das Thema des Aufsatzes war: Ich in 20 Jahren.
Drei Kinder habe ich heute, 27 Jahre später, tatsächlich. Trotzdem sieht die Realität etwas anders aus, als ich es mir in meinen primarschülerlichen Zukunftsvisionen ausgemalt hatte. Nicht nur, dass die Katze kein eigenes Zimmer hat und ich (noch) an keinem Buch schreibe; auch das Leben mit drei Kindern ist irgendwie etwas komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte.
Gemeinsam Pizza essen? Hmmm, eins der Kinder hat Zöliakie und eins isst nur Speisen aus der beigen Foodgruppe (sprich: es knabbert höchstens ein bisschen am Pizzarand). Spiele-Abende? Auch schwierig. Der eine kann nicht verlieren, der andere spielt mit dem Würfel lieber Handball und der dritte beharrt auf seinen eigenen Regeln. „Gute Nacht“ und ab ins Bett? Haha…
Familienplanung in der Retrospektive
Als mein Mann und ich vor 17 Jahren ein Paar wurden, sprach er – selbst mit zwei jüngeren Geschwistern aufgewachsen – immer von drei Kindern. Für mich als Einzelkind war klar, dass ich nicht nur ein Kind wollte, aber zwei fand ich damals vollkommen ausreichend.
Fast forward: 7 Jahre später, Kind 1 war da, der väterliche Kinderwunsch weg. War die Geburt so traumatisierend? Oder die Freiheitsberaubung so einschneidend? Bei mir passierte das Gegenteil, nämlich genau das, wovor ein Arbeitskollege meinen Mann einst gewarnt hatte: „Nimm dich in Acht, wenn sie erst mal mit Kinderkriegen angefangen hat, will sie nicht mehr damit aufhören.“
Mit einer tollen Schwangerschaft und einem relativ unkomplizierten Baby gesegnet, war ich es nun, die unbedingt noch ganz viele weitere Kinder wollte. Ich hatte ja keine Vorstellung…
Von Lärmemissionen und logistischen Herausforderungen
Nochmals 10 Jahre später habe ich eine Vorstellung. Eine ziemlich genaue sogar. Davon, was zu den drei Kindern so alles gratis dazu geliefert wird: ein gestreifter Bauch (habe mir sagen lassen, dass Zebra-Muster gerade wieder schwer im Kommen sind) und ein unüberwindbarer Röschtigraben zwischen dem linken und dem rechten geraden Bauchmuskel zum Beispiel.
Schlafmangel, ununterbrochene Lärmemissionen, logistische Herausforderungen beim Packen für einen simplen Spielplatz-Ausflug, Schwierigkeiten bei der Suche nach einem genug grossen Auto (in dem drei Kindersitze nebeneinander Platz haben) und nach einem Hotel mit Fünf-Bett-Zimmern (auch wenn sich der Älteste sicher über ein eigenes Hotelzimmer mit eigenem Fernseher freuen würde).
Nicht zu vergessen die geschwisterliche Eifersucht, den ständigen Streit über zentrale Themen des Alltags (zum Beispiel, in wessen Besitz sich das zweite Sofakissen von links zuerst befunden hat), den Mental Overload oder das Magen-Darm-Karussell in Endlosschleife. Fehlende Paar-Zeit und noch fehlendere Me-Time.
Ich weiss, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass mein Kinderwunsch so problemlos in Erfüllung ging. Ich weiss, dass das nicht selbstverständlich ist, dass es viele unfreiwillige Ein-Kind-Eltern und ungewollt kinderlose Paare gibt. Und oft bin ich ja glücklich. Geniesse den Moment, umarme das Chaos – oder so ähnlich.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Manchmal sind die Arme zu kurz, um das Chaos zu umarmen
Trotzdem hadere ich an gewissen Tagen. Bin überfordert. Manchmal erdrückt mich die Verantwortung. Sind meine Arme nicht lang genug, um das riesige Chaos zu umarmen. Kann ich den Moment nicht mehr geniessen, sondern sehne nur noch den Moment herbei, an dem alle Kinder im Bett sind.
Dann zweifle ich, ob ich überhaupt geeignet bin, Mutter dreier Kinder zu sein.
Und immer wieder ertappe ich mich auch dabei, wie ich neidisch Ein-Kind-Eltern beobachte. Ich stelle mir vor, wie viel Zeit für mich selbst ich mit nur einem Kind hätte. Für meine Beziehung, für Freundinnen, fürs Schreiben.
Aber vor allem auch für dieses eine Kind. Wie viel Aufmerksamkeit ich ihm widmen könnte. Wie intensiv ich alles mit ihm erleben würde. Was wir überhaupt alles zusammen unternehmen könnten. Dinge, die in der Realität allzu oft daran scheitert, dass vieles eben mit (meinen) drei Kindern schlicht nicht machbar ist.
Immer braucht es Kompromisse
Für mich ist es schwierig auszuhalten, dass ich nicht allen drei Kindern immer gerecht werden kann. Selten bis nie kann ich mich exklusiv nur auf eines konzentrieren. Immer braucht es Kompromisse. Immer muss ich abwägen, wessen Bedürfnisse gerade am dringendsten sind.
Immer kommt irgendwer zu kurz. Und äussert das auch sehr lautstark.
Ich weiss nicht, wie viel Mal ich in den letzten Jahren „Wart gschnäll“ gesagt, geflüstert, geschrien habe. Oft jedenfalls. Zu oft für meinen Geschmack. Zu den Kindern. Vor allem aber zu meinen eigenen Bedürfnissen. Auch zu meinem Bedürfnis, mich einfach mal voll und ganz einem Kind zuzuwenden.
So habe ich mir das mit dem Kinderhaben nicht vorgestellt. Dass manchmal nicht mehr drin liegt, als einfach nur irgendwie den Tag zu überstehen.
Dass es so viel ist. Und sich am Abend dennoch immer so anfühlt, als hätte ich nichts gemacht. Nichts geschafft. Mich nur im Kreis gedreht.
Artgerechter Betreuungsschlüssel und übereifrige Eizellen
Vielleicht war ich in meinen Vorstellungen vom Muttersein zu naiv. Vielleicht sind es aber auch die äusseren Umstände, die es so schwierig machen? Mich trösten die Worte von Nicola Schmidt in unserem #malehrlich-Podcast, die sagt: „Ein artgerechter Betreuungsschlüssel wären drei Erwachsene auf ein Kind – einer kümmert sich ums Kind, einer räumt auf und einer ruht sich aus.“
Ich wäre dann bitte die Letztgenannte. Aber wo soll ich die anderen acht hernehmen?
Drei Kinder in fünf Jahren sind intensiv, erst recht, wenn eines eine Behinderung hat. Ist ja irgendwie klar, im Nachhinein. War mir aber nicht so ganz klar, als es um die Familienplanung ging.
Ich sah nur das zukünftige Baby vor mir, den Neugeborenen-Geruch in der Nase, das flauschige Köpfchen unter den Fingern, dieses Gefühl des Gebrauchtwerdens. Mein Kopf war da nicht involviert, nur mein Herz. Oder waren es die Hormone?
Unsere Familienplanung ist abgeschlossen. Doch noch heute würden Herz und/oder Hormone sofort wieder „Ja, ja, ja!“ rufen, wenn es darum ginge, ein weiteres Baby aus- und später dann rumzutragen (nur für die Geburt müsste unbedingt ein Stunt-Double her).
Noch immer nehmen meine Eizellen kräftig Anlauf, sobald sie irgendwo ein Baby erblicken oder – noch schlimmer – ein Handyvideo von meinen eigenen Kindern als Babys. Hach, waren sie nicht süss…? Dass aus dem herzigen Neugeborenen schon bald ein trotzendes Kleinkind und irgendwann ein Teenie wird, das blenden wir jetzt mal gekonnt aus.
Drei Kinder = Jonglieren mit drei Bällen?
Mehrere Kinder zu haben, sei wie Jonglieren mit mehreren Bällen, habe ich mal gelesen. Ach ja?
Jonglierbälle machen meines Wissens alle dasselbe. Springen in die Luft, machen einen hübschen Bogen und werden von der Erdanziehungskraft unweigerlich wieder zurückgeholt – in die Hand des Werfenden oder auch mal auf den unsanften Boden der Tatsachen. Ja, manchmal fallen auch meine Kinder zu Boden. Oder werfen sich auf den Boden – bevorzugt an stark frequentierten Orten.
Aber meistens machen sie eben nicht alle dasselbe, sondern rennen in drei verschiedene Richtungen davon, haben diametral unterschiedliche Bedürfnisse.
Dem gerecht zu werden (zu versuchen), erinnert mich nicht ans Jonglieren, sondern eher an dieses Handy-Spiel, für das ich in meinem kinderlosen Leben noch Zeit hatte: Hot Dog Bush, ein Spiel, bei dem man einen Hot-Dog-Stand betreiben und auf die Wünsche seiner Kunden eingehen muss.
Am Anfang ist das simpel: Hot Dog mit oder ohne Ketchup? Oder bei Babys: Schlafen oder Trinken? Doch mit der Zeit wird‘s immer komplizierter: Hot Dog mit Ketchup, Senf, Mayo, Currysauce? Oder doch lieber ein Burger? Mit Garnitur? Oder bei Kleinkindern: Rechte oder linke Socke zuerst anziehen? Darf ich oder darf das Kind die Zahnpastatube öffnen? Und welches Kind darf (zuletzt) den Liftknopf drücken?
Ja, das sind übrigens wir, die seit Jahren jeden Lift mindestens fünf Minuten blockieren und die Türen auf- und wieder zugehen lassen, ohne einzusteigen, weil sich die Kinder nicht einigen können, wer den Knopf zuletzt drücken darf. Sorry an alle Wartenden!
Alle wollen etwas und alle wollen es gleichzeitig
Irgendwann wird’s dann richtig schwierig im Hot-Dog-Spiel: Pommes dazu? Ein Getränk? Welches? Die Kunden werden immer ungeduldiger. Manche wollen sich aus dem Staub machen, ohne zu zahlen. Und um das nächste Level zu erreichen, muss man alle möglichst schnell möglichst zufriedenstellen. Was je länger, desto schlechter gelingt.
Ja, so fühlt sich mein Leben mit drei Kindern an. Alle wollen etwas. Alle wollen etwas anderes (wissen aber manchmal selbst nicht so genau, was sie eigentlich wollen). Und alle wollen es gleichzeitig.
Jetzt. SOFORT. MAMIIIIIIII!!!!
Füdli putzen, Plüsch-Giraff suchen, Büechli erzählen, die neuste Pokémom-Karte bewundern, Kiri aufs Pancroc streichen („Neiiii, nöd uf die Siite!“), dem Playmobilmänndli seine Haare wieder aufsetzen oder – noch schlimmer – dem Drachen Ohnezahn die Flügel anmurksen (bin ich eigentlich die einzige, die das erst beim 37. Anlauf hinkriegt?), bei den Mathi-Ufzgi helfen, etwas Kratziges aus dem linken Socken entfernen (und ohnehin haben die Socken die falsche Farbe), die Batterien des Tiptoi-Stifts auswechseln, die Sonne verschwinden lassen (weil: „Sunnä bländet.“), die Sonne wieder erscheinen lassen (weil: „Oh nei, dunkel, Angscht.“).
Und wer wechselt meine Batterien?
Ich habe immer eine Hand zu wenig. Und noch schlimmer: Ein Ohr zu wenig. Manchmal weiss ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht, weil alle drei Kinder simultan auf mich einreden. Und ihre Laune von allen Seiten ungefiltert auf mich einprasselt.
Multi-Tasking gehört definitiv nicht zu meinen Stärken. „Bitte wechsle die Batterien nach dieser Spielrunde“, sagt da schon der nächste Tiptoi-Stift – und ich frage mich: Wer wechselt eigentlich meine Batterien?
Doch dafür bleibt ohnehin keine Zeit. Um den nächsten Feierabend zu erreichen, muss ich alle Bedürfnisse halbwegs befriedigen. Was je länger der Tag, desto schlechter gelingt. Am Ende eines solchen Tages lese ich leider entgegen meiner Prognosen von anno dazumals keine Bücher mehr, sondern schlafe entweder unplanmässig auf dem Sofa ein oder erledige mit Hilfe von hochdosiertem Koffein noch das, was tagsüber liegen geblieben ist.
Jedenfalls so lange, bis mich das erste Kind unterbricht, weil es schlafwandelt, eine volle Windel oder Alpträume hat.
Und dann, mitten in der Nacht, taucht sie wieder auf. Die Frage, was ich mir bloss dabei gedacht habe, gleich drei dieser fordernden Wesen in die Welt zu setzen.
Und ich komme zum Schluss: Nicht viel. Ich habe mich ziemlich blind in dieses Abenteuer gestürzt. Und erst mittendrin bemerkt, dass ich nur zwei Hände, nur zwei Ohren und wohl auch nur zwei Nerven habe. Aber das Herz, wenn auch nur einmal vorhanden, ist zum Glück ein dehnbarer Muskel. Und wenn ich diese drei kleinen Menschen anschaue (bevorzugterweise dann, wenn sie alle friedlich schlafend in ihren Betten liegen), dann bin ich eben doch froh, dass nicht der Kopf, sondern das Herz entschieden hat.
Und vielleicht ist es ja auch ganz gut, sich gar nicht so sehr auf ein Kind konzentrieren zu können, es auch gar nicht zu müssen. Gezwungen zu sein, weg vom Bild der perfekten Mutter zu kommen, weil es in dieser Konstellation schlicht unerreichbar ist.
Machen, was möglich ist. Und den Rest sein lassen. Gut ist gut genug. Ich arbeite noch daran, das auch meinem Kopf schonend beizubringen.
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Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 23. März 2022 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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