«Kind, ich will doch nur, dass du glücklich bist!»
Was brauchen Kinder, um glücklich zu sein? Diese Frage stellen sich wohl alle Eltern. Zwei Fachpersonen geben Auskunft.
«Jetzt haben wir so einen schönen Ausflug gemacht und die Kinder sind nur am Meckern und Nörgeln. Warum können sie nicht einfach glücklich und dankbar sein?»
«Ich mache so viel für meinen Sohn und dann ist es wieder nicht recht!»
«Meine Tochter weiss gar nicht, wie gut sie es hat. Ich wäre damals froh gewesen, wenn meine Eltern …»
Wer kennt sie nicht, solche Gedanken?
Viele Eltern wünschen sich heute nichts mehr, als dass ihre Kinder glücklich sind.
Man hetzt nach der Arbeit heim, um Zeit für das Kind zu haben, spielt mit ihm, auch wenn man selbst müde ist, unternimmt spannende und kindgerechte Ausflüge, unterstützt es in schulischen Belangen, achtet auf eine gesunde Ernährung, ermöglicht ihm seine Hobbies, heitert es auf, wenn es traurig ist und liest ihm seine Wünsche von den Augen ab.
Man studiert Elternratgeber und hinterfragt sich immer wieder, ob man alles richtig macht, während man drumherum den Haushalt schmeisst, sich um den beruflichen Erfolg kümmert und versucht, selbst in Form zu bleiben.
Willkommen im Hamsterrad!
Verständlich, wenn man dann enttäuscht ist, sich vielleicht sogar unfähig fühlt, wenn das Kind nicht dankbar und glücklich genug ist und es mit dem harmonischen Familienleben nicht klappt.
Der Wunsch, seine Kinder glücklich zu machen, kann Eltern ziemlich auslaugen.
Das liegt vor allem daran, dass wir den Anspruch haben, Kinder zufriedenstellen zu müssen. Plötzlich finden wir uns in der Rolle der Dienenden, Putzenden, Chauffierenden und Wunscherfüllungs-Automaten unserer Kinder wieder.
Man gibt und gibt und nie ist es genug.
Vielleicht ist es an der Zeit, uns von der Vorstellung zu verabschieden, dass wir unsere Kinder auf diese Weise glücklich machen müssen. Vielleicht sollten wir unseren Kindern mehr zutrauen und unsere Rolle überdenken.
Kinder und Eltern im hedonistischen Hamsterrad
Wir alle wachsen mit der Botschaft auf, dass das Glück nur einen Klick entfernt ist: Kauf dir diese Handtasche, jenes Auto, miete diese grosszügige Wohnung, verbring deinen Urlaub im Paradies, erreiche dein Wunschgewicht mit dieser Diät oder Fitness-App – und du wirst glücklich sein.
Das alles klingt so banal und oberflächlich – und erreicht uns doch.
Wer glaubt insgeheim nicht, dass man zufriedener sein wird, wenn man besser aussieht, mehr Geld verdient, auf der Karriereleiter die nächste Stufe erklimmt oder so ein präsentables Kinderzimmer vorweisen kann, wie die ach so entspannten Insta-Moms, deren Kanäle man abonniert hat?
Süchtig nach dem kurzfristigen Glück
Die Forschung zeigt: Ja, wenn wir uns das neue Auto kaufen, befördert werden oder unser Kind die Gymi-Prüfung geschafft hat, dann sind wir kurzfristig glücklich. Unser Gehirn sorgt mit einer Dopaminausschüttung für Hochstimmung. Aber schon bald wird das Neue zum Gewohnten.
Die Unzufriedenheit ist nicht mehr weit: Wir brauchen den nächsten Kick.
Genau dieses Wechselbad zwischen Hochstimmung und Unzufriedenheit erleben wir auch bei unseren Kindern. Die freudige Reaktion bei der Verkündigung des Zoo-Besuchs schlägt bereits beim Zoo-Shop wieder in Frust um, wenn es kein neues Plüschtier als Souvenir gibt.
Was Kinder brauchen, um glücklich zu sein
Doch was brauchen wir und unsere Kinder wirklich, um langfristig zufrieden zu sein? Die Forschungsrichtung der Positiven Psychologie geht dieser Frage seit 30 Jahren nach. Wenn wir uns ihre Antworten zu Herzen nehmen, wird das Leben mit Kindern nicht nur glücklicher, sondern auch ruhiger und entspannter.
Oft ist es aber nötig, hinter das zu schauen, was Kinder vordergründig fordern oder wollen, und zu erkennen, was sie wirklich brauchen.
Perspektivenwechsel: Lasst mich doch auch mal richtig helfen!
Ich weiss, ihr würdet alles für mich tun. Aber das ist gar nicht nötig. Ihr helft mir so viel und so oft. Das ist schön, aber manchmal komme ich mir dabei klein und schwach vor. Dann schalte ich auf Durchzug und will eure Tipps und Ratschläge nicht mehr hören.
Ihr dürft mir ruhig etwas zutrauen.
Wenn ich ab und zu einkaufe, für euch kochen oder mein kleines Geschwister hüten kann, dann weiss ich, dass es auch auf mich ankommt. Bitte gebt mir Gelegenheit, mich nützlich zu fühlen. Und fordert mich dabei ein bisschen: Den Teller abräumen, den Müll rausbringen – das findet ihr vielleicht wichtig. Aber ich will eine echte Hilfe sein!
Bitte opfert euch nicht auf für mich!
Vielleicht bin ich im ersten Moment traurig oder enttäuscht, wenn wir nicht in den Fun-Park gehen, ihr einfach zu müde seid für ein Spiel oder mir sagt, dass es euch hier zu laut oder zu voll ist. Aber ich möchte nicht, dass ihr ständig Dinge mit mir unternehmt, die euch stinken und mich dann spüren lasst, dass ihr diesen Zirkus extra für mich veranstaltet und ich zumindest ein bisschen Dankbarkeit zeigen sollte.
Ich will nicht, dass ihr mich als Belastung erlebt. Ich wäre gerne eine Bereicherung in eurem Leben.
Klar, bin ich manchmal nervig und ab und zu dürft ihr auch etwas mir zuliebe tun – aber ich möchte als Erwachsene nicht hören müssen, dass ihr «so viel für mich geopfert» und wegen mir auf vieles verzichtet habt. Kaum etwas gibt mir mehr das Gefühl, wertvoll zu sein, als wenn ihr die Zeit mit mir immer wieder geniessen könnt.
Habt nicht immer meine Zukunft im Kopf!
Manchmal kommt es mir so vor, als hättet ihr eine Schablone im Kopf: Ein Bild, wie ich mal werden soll. Wenn ich mich in die richtige Richtung entwickle, gibt es Lob, Anerkennung, manchmal sogar Belohnungen. Aber wenn ich schlechte Noten schreibe oder ihr mich zu unselbstständig, faul, unordentlich, bockig oder schüchtern findet, malt ihr gleich den Teufel an die Wand.
Dann höre ich, dass mir später «auch niemand die Sachen hinterherträgt» oder ich «später auch tun muss, was Vorgesetzte mir auftragen». Dann sagt ihr «es ist fünf vor zwölf», seht schwarz, liegt wach vor Sorge, kritisiert, nörgelt und drängt. Ihr habt Angst, etwas zu verpassen und dass ich euch später Vorwürfe machen könnte, wenn ihr mich nicht rechtzeitig auf Kurs bringt.
Vielleicht müsst ihr das ja tun, damit aus mir was wird?
Vergesst dabei aber bitte nicht, dass ich ein Kind bin und kein Projekt, an dem ihr ständig arbeiten müsst.
Gönnt mir genügend Pausen, interessiert euch mehr dafür, wer ich bin, als wer ich später mal sein könnte.
Und bitte: Fühlt euch nicht gleich schlecht, wenn ich nicht ständig etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfange und manchmal lieber mit Freunden rumgammle, game oder chille, anstatt ein Instrument zu üben, Sport zu treiben oder für die Schule zu lernen.
Es ist nicht eure Aufgabe, mich ständig zufriedenzustellen!
Ich weiss, ihr liebt mich so sehr, dass ihr am liebsten alles Unangenehme von mir fernhalten würdet. Und wenn ich dann trotz all eurer Fürsorge Angst habe, wütend oder traurig bin oder meine Enttäuschung zeige, dann könnt ihr das fast nicht aushalten und sagt etwas wie «das ist doch kein Grund, so wütend zu sein» oder «du brauchst doch keine Angst zu haben!».
Ihr könnt es vielleicht manchmal nicht sehen, aber ich bin stärker, als ihr denkt. Traut mir zu, dass ich auch mit unangenehmen Gefühlen zurechtkommen kann, solange ihr an meiner Seite seid und diese gemeinsam mit mir aushaltet.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 7. Juni 2022 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
1x pro Woche persönlich und kompakt im mal ehrlich Mail.