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«Ein Leben ohne Schule ist möglich»

Warum (nicht) homeschoolen? Darauf gibt es verschiedene Antworten. Nadine Chaignat schreibt über ihr persönliches Warum, über Vorteile und Zweifel.

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Warum (nicht) homeschoolen? Darauf gibt es verschiedene Antworten.

Das Warum für homeschooling liegt lange zurück. Und es hat sich im Laufe der Zeit verändert – und auch nicht. Das Warum ist die erste Frage, die mir Menschen stellen, wenn sie erfahren, dass wir homeschoolen. Doch meistens kann ich diese Frage nicht beantworten.

Die Antwort auf das Warum

Sie ist zu weit. Die Antwort passt nicht in wenige Sätze. Ich weiss nie, wo beginnen. Weiss auch nicht, wozu ich mich erklären sollte – denn für Verständnis bedarf es mehr als einer Frage. Und die mitschwingende Neugier mit einem Hauch Gaffertum mag ich nicht.

Weshalb ich mich einer im Laufe der Jahre entstandenen Zusammenfassung bediene, mit der ich die Warums genügend gut beantworte und auf die meist keine weiteren Fragen mehr folgen. Ich sage: «Obwohl wir Homeschoolen toll fanden, haben wir unser Kind eingeschult. Aber nach einem Jahr haben wir gemerkt, dass dieses Setting dem Kind zu viel war. Und weil wir eh homeschoolen wollten, haben wir das zum Anlass genommen und es gemacht.»

Das entspricht der Wahrheit. Homeschoolen ist naheliegend, beschäftigt man sich etwas intensiver damit.

Überzeugendstes Argument dafür ist für mich die Effizienz. Keine Wartezeiten in einer Klasse. Beim Homeschoolen läuft alles eins zu eins. Allerhöchstens (bei uns) eins zu vier.

Leistung ohne Druck

Während meine Kinder Trampolin springen, Rollenspiele spielen, wir Zeit im Schwimmbad verbringen oder ins Museum gehen, sitzen andere Kinder in der Schule. Müssen, wenn sie zuhause sind, Hausaufgaben machen und ich frage mich, warum die Zeit vor Ort nicht ausreicht, ihnen das Nötige beizubringen. So dass sie noch etwas Zeit hätten. Ohne den Druck, leisten zu müssen. Zeit, in der sie spielen dürften, die sie füllen könnten mit dem, was sie interessiert, sie ausmacht, sie glücklich macht.

Was wir gewinnen mit homeschoolen?

Weil wir unseren Kindern damit Zeit schenken. Und Freiheit.

Weil sie lernen dürfen, ohne verglichen zu werden. Weil sie entdecken dürfen, ohne dafür bewertet zu werden. Weil sie sein dürfen, ohne damit gleichzeitig was werden zu müssen.

Grundlage dafür ist, dass wir dieses Sorgen für sie übernehmen, ihnen noch abnehmen. Und es ist unser Vertrauen in unsere Kinder. Darauf, dass sie genügen. Darauf, dass sie sich alles aneignen können und aneignen werden, was sie brauchen, um sich in dieser Gesellschaft bewegen zu können. Nicht zwingend nahtlos einfügen. Es reicht, dass sie ihren Platz finden und den ausfüllen.

Der Abschied vom klassischen Weg ist schwierig

Ich habe mich verabschiedet davon, dass dafür eine klassische Laufbahn notwendig ist. Ich habe mich verabschiedet davon, dass Sicherheit in Titeln und Abschlüssen zu finden ist. Ich habe mich verabschiedet davon, dass Schulstoff das ist, was meinen Kindern eine schöne Zukunft garantiert.

Dieser Abschied fiel mir nicht einfach.

Auch das Vertrauen in meine Kinder aufrechtzuerhalten, kostet mich hin und wieder Kraft.

Was einem das Schulsystem abnimmt, ist nicht – wie man fälschlicherweise oft glaubt – die Verantwortung für die Bildung der Kinder, die liegt per Gesetz bei den Eltern.

Aber es macht den Anschein, als würde sie das tun. Als würden die Kinder, einmal eingeschult, einen Weg beschreiten, der ihnen eine Zukunft garantiert. Eine sichere Zukunft. Und dieser eingespurte Weg hält alles bereit, was sie dafür benötigen. Das vermittelt Sicherheit.

Beim Homeschoolen feiern wir Momente

Manchmal kommt es mir vor, als würden wir uns in einem unüberwindbaren Dickicht befinden. Uns blind einen Weg schlagen, einzig geführt vom Glauben daran, dass das, was wir machen, gut ist. Doch es ist und bleibt ein Glaube. Eine Ahnung. Eine Hoffnung.

Manchmal erreichen wir Höhen. Erreichen Welten. Und wir erreichen Lichtungen.

Wenn das Kind lesen und schreiben kann, obwohl es nie in der Schule war.

Wenn es Dinge erzählt, von denen Erwachsene wenig wissen. Wenn es mit wildfremden Kindern auf dem Spielplatz spielt – obwohl es doch angeblich keine Sozialkompetenz entwickeln kann, so ganz ohne Schulkameraden.

Solche Momente muss man bewusst benennen. Man muss sie in die Hand nehmen, anschauen und feiern. Weil da stets so viele Zweifel sind. Von aussen. Und von innen.

Ein wenig gewöhnt man sich daran. Dass man sich mit Zweifeln arrangieren muss. Ein Leben hat, das von der Norm abweicht, für das man sich immer wieder neu entscheiden muss.

Nimmt, wer homeschoolt, Kindern viele wichtige Dinge?

Den ersten Schultag. Den Schulweg. Die Klassenkameraden. Ohne das, so denkt man sich weiter, entwickelt sich ein Kind nicht wie es sollte. Wie, fragt man sich, kann es sozialisiert werden? Wie kann es sich einer Gemeinschaft anpassen? Wie kann es leistungsfähig werden, wenn es keinem Stress ausgesetzt ist? Wie kann es sich eine Meinung bilden, wenn es nur von den Eltern unterrichtet wird?

Die offiziell anerkannte Antwort lautet: Das alles ist unmöglich ohne Schule!

Was mich zu der Gegenfrage bringt: Wie kann man glauben, dass ein Setting mit einer Lehrperson, die für mehr als zwanzig Kinder mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen zuständig ist, die Lösung für alles sein kann?

Wie kann man davon ausgehen, dass Sozialisierung mit Gleichaltrigen, unbegleitet von Erwachsenen, eher gelingt, als wenn die Kinder in kleineren Gruppen bei der sozialen Interaktion bei Bedarf angeleitet und begleitet werden? Oder dass Stressresistenz nur erworben werden kann, indem man Kinder Stress aussetzt?

Statt dass sie lernen, in ihre Fähigkeiten zu vertrauen, lernen, diese in einem geschützten Rahmen anzwenden und sie immer mehr ohne Begleitung und ausserhalb dieses Rahmens leben. Oder der Glaube, dass die Welt zuhause klein ist, wenn doch dieses Zuhause zum Ziel hat, dem Kind eine Herangehensweise an die Welt zu ermöglichen, die von Entdeckerfreude geprägt ist?

Die Antwort lautet:

Ein Leben ohne Schule ist möglich. Entwicklung auch.

Eigentlich leben wir sie, die Antwort. Und wir leben sie – wie ich finde – gut.

Manchmal fühlt sich die Verantwortung, die wir aktiv für unsere Kinder übernommen haben, zu gross an. Manchmal legt sich der Druck, dass wir unsere Kinder leistungsfähig machen müssen, wie ein schwerer Mantel auf unsere Schultern. Manchmal.

Wenn das Lesen nicht gelingen will, wir eine halbe Stunde für eine einzige Mathematik-Seite benötigen, wenn wir ein Thema geplant und stattdessen was anderes gemacht haben, wenn wir Jahresberichte schreiben und in den Lehrplan21 eintauchen müssen. Wenn wir darüber nachdenken, ob wir wirklich nichts verpassen.

Manchmal würden wir gerne alles hinschmeissen

Die Verantwortung aufgeben und abgeben und ein paar freie Stunden ohne Kinder geniessen.

Dann wieder sehe ich unseren Alltag. Geniesse ich unheimlich fest, dass ich Zeit habe mit meinen Kindern. Dass wir Zeit haben, Familie zu sein. Keine Ferienfamilie. Sondern Alltagsfamilie.

Ich geniesse, dass wir ausschlafen können. Dass wir unsere Termine frei wählen können.

Ich geniesse, dass wir Ausflüge planen und gemeinsam mit anderen Homeschool-Familien erleben. Ich geniesse, dass wir mit Menschen unterwegs sein können, die das ebenfalls geniessen. Dass die Welt unserer Kinder nicht auf ein Dorf beschränkt ist.

Bin dankbar, dass wir auf die Kräfte unserer Kinder und auf unsere eigenen Rücksicht nehmen können, dass wir flexibel sind. Dass wir dann in den Museen sind, wenn niemand anderer dort ist. Dann am Meer sind, wenn die Strände leerer sind. Dass meine Kinder beim Bauern arbeiten können, einfach, weil sie Zeit haben und die Musse.

Dass sie stundenlang Basteln können, nicht nur am Wochenende. Dass sie sich tagelang durch Bücher hören, in Welten abtauchen können. Dass ich mit ihnen lerne. Die Welt neu entdecke. Mir Wissen aneignen muss, weil sie wissen wollen.

Ich geniesse, dass sie Dinge von anderen lernen, die ich ihnen nicht beibringen kann – Grosseltern, Freunde, Bekannte.

Und was ich am allermeisten geniesse: Dass aktuell zirka jedes dritte Wort des Dreijährigen «Digga’ ist. Weil es mir zeigt: Wir leben zwar nicht wie die Mehrheit der Gesellschaft und trotzdem ist das, was die Gesellschaft bewegt, mitten in unserer Familie.

Autorin

Nadine Chaignat, ursprünglich Psychologin und Journalistin, wohnt mit ihrer Familie in der Region Bern. Sie und ihr Mann homeschoolen inzwischen drei von vier Kindern seit mehr als vier Jahren. Daneben geht ihre Zeit drauf fürs Muttern, den gleichnamigen Podcast ‘Muttern’, die Plattform Mamas Unplugged und diverses mehr. Wer sich für ihr Homeschoolingprojekt interessiert, findet mehr dazu via www.waertschoepferei.ch.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 13. September 2023 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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3 Antworten

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  1. Avatar von Monika & Thomas
    Monika & Thomas

    Vielen Dank für den wundervollen Beitrag. Wir sind mit unseren 4 Kindern ebenfalls im Homeschooling. Auch wir lieben die Freiheit und die Flexibilität und könnten uns einen Schritt zurück in die Schule nicht mehr vorstellen.
    Alles Liebe, Monika & Thomas

  2. Avatar von Evi
    Evi

    Interessanter Beitrag! Doch wie lässt sich die ständige Präsenz für die Kinder mit der Arbeit der Eltern vereinbaren? Ich würde mir auch wünschen, so viel Freiheit für die Kinder zu haben oder über eine Privatschule mindestens etwas aus dem System auszubrechen. Jedoch ist beides für Priviligierte. Oder wie seht ihr das?

  3. Avatar von Röthlisberger Iris
    Röthlisberger Iris

    Wow! Tut meiner Seele gut,dass zu lesen!