«Ich wäre gerne mehr Vater und weniger Ernährer»
Kevin wollte schon immer Vater sein. Seit er dieses Lebensziel erreicht hat, arbeitet er aber in hohem Pensum. Die Ernährerrolle ist schuld, dass er wertvolle Familienzeit verpasst.
«Seien wir ehrlich, im Moment bin ich so Papi, wie ich es nie sein wollte», sagt Kevin (34), als ich ihn zum Interview im Zürcher Kreis 5 treffe. «Ich kann die Kinder gerade noch abends ins Bett bringen, wenn meine und ihre Batterien schon leer sind. Das ist frustrierend. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich am Wochenende die verpasste Zeit mit ihnen aufholen kann.»
Zweimal in der Woche pendelt Kevin von St. Gallen, wo er mit seiner Familie lebt, nach Zürich. Die übrigen Tage arbeitet er von zu Hause aus. Bis vor Kurzem noch Vollzeit. Vor ein paar Wochen durfte er sein Pensum endlich auf 80 Prozent reduzieren. Er möchte mehr Zeit mit seiner Tochter, drei Jahre, und seinem Sohn, neun Monate, verbringen.
Er fühle sich primär als Ehemann und Papi, antwortet Kevin auf die Frage, was er im Leben so mache. Dies sei ihm enorm viel wichtiger als seine Tätigkeit in der Marketingabteilung eines grossen Laufschuhproduzenten.
Zu wenig Zeit mit den Kindern
Die letzten drei Jahre wünschte sich Kevin mehr Familienzeit, aber stellte sein Bedürfnis zurück, weil seine Frau emotional nicht bereit war, mehr zu arbeiten und von ihren Kindern getrennt zu sein. Aber auch für Kevin waren die stillen Erwartungen der traditionellen Rolle als Ernährer schmerzhaft.
Kevin, hast du dir schon immer eine Familie gewünscht?
Absolut.
Vatersein war immer mein höchstes Lebensziel.
Ich habe in meinen Zwanzigern sogar eine Beziehung beendet, weil meine damalige Partnerin nicht unbedingt Familie wollte.
Meine Mutter sagt, ich war schon als Kind immer der, der auf dem Spielplatz auf die anderen Kinder achtgab. Ich vermute, ich hätte als Teenie gerne Babysitting-Jobs gehabt, aber als Junge war das natürlich Mädchenzeug.
Welche Rollenbilder wurden dir denn vorgelebt?
Ich bin total traditionell aufgewachsen. Mein Vater hat Vollzeit gearbeitet, meine Mutter war mit uns drei Kindern zu Hause.
Ich habe ein klares Rollenbild mitbekommen.
Ernährer sein bedeutet Schauen, dass es der Familie gut geht. Die eigenen Bedürfnisse muss man hinten anstellen.
Wurde deine Frau ähnlich sozialisiert?
Ja, unsere Mütter waren beide Vollzeit-Mamis. Eigentlich hätte ich es kommen sehen müssen, dass wir in die Traditionsfalle tappen. Jetzt müssen wir langsam wieder da herausfinden.
Gleichzeitig haben wir ähnliche Wertvorstellungen, das hat auch Vorteile. Wir haben selten immer wiederkehrende Diskussionen. Aber das hat auch damit zu tun, dass ich eher der Typ bin, der eine Situation nach und nach einfach akzeptiert, anstatt immer wieder auf Veränderung zu pochen.
Wenn beide Elternteile mehr zu Hause sein möchten
Hast du deine Bedürfnisse zurückgestellt, seit ihr Eltern seid?
Meine Frau machte mit der Mutterschaft eine emotionale Veränderung durch – als hätte jemand einen Kippschalter in ihr umgelegt. Sie hatte Mühe mit der Vorstellung, wieder arbeiten zu gehen, wollte möglichst viel Zeit zu Hause bei unserer Tochter sein. Das war schon eine Kehrtwende.
Ich sah ihr Bedürfnis und wollte ihr viel Familienzeit ermöglichen. Gleichzeitig war ich damals noch bei einem konservativen Arbeitgeber angestellt. Da ich mit meinem Pensum keine Flexibilität hatte, konnte ich auch nicht argumentieren, dass ich mehr Betreuung übernehmen könne und wolle.
Also biss ich in den sauren Apfel und sagte mir, es sei nur für eine gewisse Zeit.
Steckten da auch finanzielle Überlegungen dahinter?
Nein, meine Frau würde sogar etwas mehr verdienen als ich, wenn sie in ihrem Job auf 100 Prozent erhöhen würde. In unserer Partnerschaft gibt es keinen Gender-Pay-Gap. Aber sie kann sich nicht vorstellen, mehr als zwei Tage von den Kindern getrennt zu sein, obwohl sie ihren Job gern macht und sehr viel Gestaltungsfreiraum hat.
Die Aufteilung zwischen Sorge- und Erwerbsarbeit
Hattet ihr die Aufteilung von bezahlter Erwerbs- und Sorgearbeit besprochen, bevor ihr Eltern wurdet?
Nicht explizit. Im Vorfeld dachten wir: Wer mehr verdient, arbeitet mehr.
Wir konnten nicht voraussehen, dass meine Frau dann vor allem fürs Kind da sein wollte. Ich blieb bei meinen 100 Prozent Erwerbstätigkeit und sie schwenkte um auf 40 Prozent Beschäftigungsgrad.
Da sie anfangs Mühe hatte, wieder zu arbeiten, wollte ich sie nicht noch zusätzlich mit meinen Bedürfnissen belasten.
Ich sagte mir, ich stehe für den Moment hinten an und irgendwann wird meine Zeit kommen.
Mittlerweile bist du nicht mehr bei einem konservativen Arbeitgeber und ihr seid bereits seit drei Jahren ein Elternteam. Was hat sich verändert?
Während der zweiten Schwangerschaft habe ich meiner Frau sehr klar kommuniziert, dass die aktuelle Lösung nicht meinen Vorstellungen vom Vatersein entspricht. Sie wollte es nicht so recht einsehen. Für sie war die Situation in Ordnung, so wie sie war.
Seit anderthalb Jahren arbeite ich in einer Firma, die sich Agilität und flexible Arbeitsmodelle auf die Fahne schreibt. Bereits in den Bewerbungsgesprächen hatte ich mich abgesichert, dass ich mit der Zeit von 100 auf 80 Prozent reduzieren darf.
Das Gespräch mit meiner Frau damals war sehr emotional. Ich wollte runterschrauben, ich konnte ja jetzt! Und ich erwartete, dass sie mir entgegenkam, weil ich ihr während der ersten Zeit als junge Mutter den Rücken freigehalten hatte. Sie hatte hingegen das Gefühl, als Mutter sei es ihr Vorrecht, mehr Zeit mit den Kindern zu Hause zu haben.
Und wie sieht die Situation heute aus?
Kurz vor der Geburt des zweiten Kindes erhielt meine Frau das Angebot, ihr Pensum um 10 bis 20 Prozent zu erhöhen, die zusätzlichen Prozente aber auf zwei Tage die Woche oder auf Wochenendeinsätze zu verteilen. Dieses Angebot hat sie nun angenommen.
Nachdem meine Frau wieder einen sechsmonatigen Mutterschaftsurlaub gemacht hat, sind wir neu gestartet. Seit drei Wochen arbeite ich nur noch 80 Prozent. An den Tagen, an denen wir beide ausser Haus arbeiten, werden die Kinder von den Grosseltern abwechslungsweise betreut.
Ich hatte bereits zwei Montage allein mit meinen Kindern. Die Tage, an denen ich sie allein betreue, sind super anstrengend, aber auch unglaublich erfüllend für mich.
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Und ist diese Lösung und Aufteilung jetzt genug befriedigend für dich?
Ich bin zufriedener. Die Situation ist besser als die letzten drei Jahre, aber noch nicht perfekt. Dennoch sind wir auf einem guten Weg.
In einer perfekten Welt wären wir beide 70 Prozent beschäftigt und würden uns die Sorgearbeit aufteilen.
Was würde deine Frau auf meine Fragen antworten?
Sie würde sagen, dass ich an meinem früheren Arbeitsort nicht die Möglichkeit zum Reduzieren hatte. Ich würde sagen, ich habe die Flexibilität nicht bis aufs Äusserste ausgereizt, weil ich sah, dass sie emotional nicht bereit war.
Wieso sprechen Männer nicht über ihre Einstellung zur Ernährerrolle?
Was hat dich dazu gebracht, dich mehr für deine eigenen Wünsche einzusetzen?
Seit anderthalb Jahren arbeite ich mit einer Psychologin zusammen. Ich habe stark daran gearbeitet, meine Bedürfnisse zu formulieren und nicht zu ignorieren. Ich durfte einsehen, dass mein Verantwortungsgefühl für die Zufriedenheit anderer sehr tief in mir verankert ist. Um hier Gegensteuer zu geben, musste ich erst eine Entwicklung in Bewegung setzen.
Schlagen wir den Bogen vom Individuum zum Kollektiv. Hast du das Gefühl, es geht auch anderen Vätern so wie dir?
Ich frage mich oft: Sind andere Männer voll okay mit der Ernährerrolle?
Ich hätte beispielsweise auch gern 14 Wochen Vaterschaftsurlaub gehabt! Ich hatte Glück und konnte mir beim ersten Kind zwei, beim zweiten Kind sechs Wochen nehmen.
Aber ich hätte gerne mehr Zeit gehabt, um in meine neue Rolle als Vater hineinzuwachsen und mich an die Veränderungen zu gewöhnen. Ich frage mich oft: Wie erleben das andere Männer?
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Wieso sprechen Männer untereinander nicht mehr darüber?
Weil wir dumm sind! (lacht)
Frauen sind viel stärker in der Selbstauseinandersetzung. Für mich hat das damit zu tun, dass sie ab der Pubertät durch die hormonellen Veränderungen einen engeren Bezug zu ihrem Körper haben. Ich glaube, Frauen sind dadurch auf vielen Ebenen sensibilisierter und reflektierter.
Männer hingegen bemerken vielleicht, dass sie Scham- und Barthaare bekommen. Aber wir gehen erst zum Arzt, wenn wir uns ernsthaft Sorgen machen. Wir gehen stumpf durch die Welt. So sind auch Männerfreundschaften.
Das heisst, du hast keine persönlichen Gespräche mit Freunden?
Ich habe vereinzelt Freunde, mit denen ich auch übers Mentale spreche. Aber diese Beziehungen machen vielleicht fünf bis zehn Prozent von meinem Freundeskreis aus.
Wenn Frauen sich treffen, wird über alles gesprochen. Wenn Kumpels zusammensitzen, spricht man über Fussball, im besten Fall vielleicht über den Job.
Wie kommt es, dass du eine so niedrige Hemmschwelle hast in der Auseinandersetzung mit dir selbst?
Ich ging schon immer gerne Trends nach. Durch meine grosse Leidenschaft fürs Marathonlaufen habe ich mich immer sehr an der nordamerikanischen Kultur orientiert. Regelmässige Psychotherapie oder auch Selbsthilfegruppen sind dort viel etablierter. So fiel es mir nicht schwer, eine Psychologin aufzusuchen.
Gibt es etwas, was du ändern würdest, wenn du eine Zeitmaschine hättest und in die Vergangenheit reisen könntest?
Ich werde es bis ans Ende meines Lebens bereuen, dass ich die Anfangszeit mit den Kindern verpasst habe.
Die ersten Jahre kann man nicht zurückhaben. Meine Tochter ist schon sehr viel mehr auf ihre Mama fixiert. Sie liebt ihren Papa auch, aber ihre Mama liebt sie noch mehr.
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Veröffentlicht am 25. Juni 2024
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