«Ich möchte kein Vater sein. Wie oft darf man das denken?»
Das Kind ist da, aber die Gefühle sind anders als erwartet. Über «Regretting Motherhood» wird eher gesprochen, aber auch Väter kämpfen mit Gefühlen der Reue und schämen sich dafür.
Ich habe Angst, meine Geschichte zu erzählen. Weil ich schon ahne, was gesagt wird: «Ach, ihr Väter habt es doch einfacher. Wenn ihr kein Vater sein wollt, dann zieht ihr euch einfach raus. Bisschen mehr arbeiten, weniger daheim sein, den Stress der Mutter überlassen.»
Und ich streite gar nicht ab, dass die Gesellschaft es uns leichter macht.
Aber ich will ein Vater sein, der da ist, sich einbringt, möglichst gleichberechtigt. Das wollte ich schon immer und deshalb war ich genauso erpicht aufs Kinderhaben wie meine Partnerin. Vielleicht habe sogar ich etwas mehr Druck gemacht, sie hätte auch noch ein, zwei Jahre warten können, ihr Kinderwunsch war nicht drängend.
Aber ich, ich wollte unbedingt.
Kinderhaben, das höchste der Gefühle, dachte ich.
Unser Sohn ist sieben Jahre alt. Die strengste Phase ist vorüber. Also genau weiss ich das natürlich nicht. Aber befreundete Eltern sagen es uns und viele von ihnen wirken auch wieder etwas entspannter. Die meisten haben etwas ältere Kinder.
Wir haben alles recht gut gemeistert und sind auch als Paar einigermassen unbeschadet über die Runden gekommen. Aber ich ertappe mich so oft beim Gedanken, dass ich besser kein Vater sein sollte.
Ich träume sehr oft davon, wie ich allein durchs Leben gehe. Und erwache wahnsinnig glücklich.
Und dann schäme ich mich für meine Träume.
Aber auch tagsüber kommt mir immer wieder der Gedanke und ich stelle mir ein Leben ohne Kind vor.
Lieber kein Vater sein… Wie oft darf man sowas denken? Wann muss man mit jemandem darüber reden? Oder ist das komplett normal?
Ich weiss, es gibt Regretting Motherhood. Darüber wurde schon einiges geschrieben.
Warum ich kein Vater sein will?
Weil es natürlich streng ist und ich fast keine Zeit mehr habe für mich. Das wusste ich irgendwie schon aus den Gesprächen mit befreundeten Menschen, die wie schon gesagt bereits früher Eltern wurden.
Natürlich kennt man das Ausmass des Elternseins erst, wenn man richtig drinsteckt.
Aber ich dachte, es gibt einen Ausgleich. Und nun ist all das, was ich mir unter dem spassigen Teil des Vaterseins vorstellte, überhaupt nicht wahr geworden. Was ich mir super ausgemalt hatte, finde ich jetzt doch recht öde: zusammen Velofahren, im Wald bräteln, Musik machen, ja sogar gamen.
Also natürlich mache ich all diese Dinge mit meinem Sohn, aber ich verliere so schnell die Geduld. Ich dachte, ich kann ganze Tage mit ihm durch den Wald streunen. So wie ich es als Kind gemacht habe.
Oder dass wir zusammen die Filme gucken, die ich auch schon toll fand. Oder dass ich stundenlang mit ihm diskutieren möchte über das, was ihn begeistert.
Hm, vielleicht muss ich kurz einhaken. Ich bin kein geübter Erzähler, deshalb merke ich erst jetzt: Ich muss erwähnen, dass ich meinen Sohn über alles liebe.
Die Liebe zu meinem Kind ist so, wie ich es erwartet hatte. Riesig!
Umso mehr trifft es mich, dass mich die gemeinsame Zeit oft langweilt. Spätestens nach 30 Minuten Zusammensein möchte ich eine Pause einlegen. Ich muss mich die ganze Zeit zurückhalten, nicht mein Handy zu zücken, wenn wir zusammensitzen.
An den zwei bis drei Tagen, wo ich die Sorgearbeit daheim mache, das Morgen- und Mittagessen zubereite und mit meinem Sohn gemeinsam esse, wo ich mich um Hausaufgaben und alles Weitere kümmere, da bin ich abends oft so unglaublich kaputt. Dann ist die Reue über die Vaterschaft besonders gross.
Oder auch in den Ferien, wo ich mir jedes Mal Erholung erhoffe und dann merke, dass dieses Bedürfnis wohl noch sehr lange Zeit nicht vollkommen erfüllt wird. Weil wir nun halt mit einem Kind verreisen.
Man könnte meinen, ich lerne dazu, aber ich bin jedes Mal wieder neu erstaunt, wie viel weniger erholsam Ferien nun sind. Und ich habe das Gefühl, ich komme einfach nicht so richtig damit klar.
Geht es anderen Vätern auch so? Ich traue mich nicht, herumzufragen.
Was, wenn alle meine Kollegen den Kopf schütteln? Dann wäre das ein vernichtendes Urteil für mich.
(Ja, ich glaube auch nicht, dass ich der Einzige bin. Rein rational weiss ich das. Aber trotzdem habe ich solche Angst, mich laut zu äussern.)
Ich habe mal gegenüber dem Hausarzt mein Hadern erwähnt und wollte wissen, ob ich damit zu einem Psychologen gehen soll. Aber er reagierte nicht und sprach einfach weiter über meine Blutwerte. Sie zeigten einen Vitamin-D-Mangel an und vielleicht fand er: «Ach, der Kerl ist einfach müde«.
Und das stimmt schon auch. Ich bin sehr, sehr müde.
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Meine Partnerin kennt meine Gedanken und findet sie nicht so schlimm. Sie sagt, ich sei zu streng mit mir und beobachte so pingelig all meine Gedanken, dass ich mich darin verrenne. Das hilft mir ein bisschen. Aber nicht so fest, wie erhofft.
Auch Prominente wie Bradley Cooper und Sebastian Tigges sprechen über Reue. Aber das sind Menschen, die sind so weit weg. Ein paar vereinzelte Personen und viele der Beispiele drehen sich um Babys und Kleinkinder.
Drum frage ich mich ständig: Gibt es solche wie mich? Oder bin ich ein Rabenvater mit diesen Gedanken?
Ja, ich weiss, ich stelle ständig Fragen.
Ja, ich sollte etwas tun.
Ich möchte nicht, dass es mir weiterhin so geht. Ich weiss gar nicht, was schlimmer ist: Die Reue-Gedanken oder die Scham danach.
Darum schreibe ich diesen Text. Und hoffe, es schütteln jetzt nicht alle den Kopf. Sondern haben Tipps oder ermutigende Worte für mich.
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Veröffentlicht am 21. Mai 2024
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