Das schauspielernde Kind, ein Film und was MAN daraus lernt
Das Kind will schauspielern und kriegt eine Rolle im Kinofilm. Machen oder sein lassen? Nicole Simmen und ihre Tochter haben es gewagt – und viel gelernt.
Weisch no? Wir sassen beim Znacht und kamen kaum zum Essen. Meine jüngere Tochter und ein Kinofilm, in dem sie eine Rolle hat, waren schuld, dass die Mezze-Platte warten musste. Du hast gefragt, ich habe erzählt, und dann sagtest du: Darüber musst du schreiben.
Also gut, ich schreibe. Aber nicht nur über den Film, sondern auch über Dinge, die MAN nicht tut. Wobei das eine mit dem andern untrennbar verbunden ist. Denn wenn ein 11-jähriges Kind einen Kinofilm dreht, dann kann es nicht in die Schule gehen. Und MAN geht in die Schule.
Was MAN tut
Du musst wissen: Ich bin durch und durch MAN. MAN hält sich an Regeln und tut nichts Verbotenes. (Ausser Parkscheibe-Nachstellen. Vielleicht. Aber das auch nur im äussersten Notfall und nicht, ohne das Auto ein paar Zentimeter zu verschieben.)
Auch die Schule sehe ich nicht als Ausgangslage für endlose Diskussionen, sondern als unverrückbare Institution. Da geht MAN hin. Und die Kinder fehlen nur, wenn sie krank sind oder zum Zahnarzt müssen. Das ist in unserem Wohnort besonders unlustig, weil wir keine Jokertage haben.
Trotzdem: Die Kinder fehlen nicht, weil es am Dienstag im Europapark so wenig Leute hat oder weil die Flüge zwei Tage vor Ferienbeginn halb so teuer sind. Das macht MAN nicht. Schule ist wichtiger als alles, was sonst noch glatt wäre im Leben. So wie eine grosse Rolle in einem Kinofilm zum Beispiel. Ein Film, der während der Schulzeit gedreht wird. Ein Film, für den man mehrere Castings gemacht hat und dann ausgewählt wurde.
Schule ist wichtiger… Oder?
«Drehzeit: August und September», sagt mir der Produzent am Telefon. Und ja, unsere Tochter sei definitiv dabei. Hopplaschorsch. Meine Hirnhälften schreien parallel «GEIL!» und «JESSES!». Das Kind ist natürlich ausser sich vor Freude und die ersten Wochen der 6. Klasse sind ihm auf einen Chlapf schnurzegal. Mir nicht so.
Ist es nicht das Semester, in dem sich seine weitere Zukunft entscheidet? Finanzwelt oder Fliessband? Studium oder Stempeln? Drei bis vier Wochen müssten wir sie aus der Schule nehmen und zu den Dreharbeiten begleiten. In diese und jene Ecke der Schweiz, aber auch nach Deutschland. Das bei zwei Vollzeitjobs und einem weiteren Kind. Unmöglich. Oder zumindest sehr schwierig. Oder vielleicht doch nicht?
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Ab ins Abenteuer
Der Rektor bewilligt unser Gesuch nach 24 Stunden. Man unterstütze Kinder, die im sportlichen oder musischen Bereich Ausserordentliches leisten und erleben dürfen. Was ich mit dem Gedanken «Luegemer emal» abgeschickt hatte, schiebt das MAN einfach zur Seite und bringt den Stein ins Rollen. Also ab ins Abenteuer.
Unter der Bedingung, dass das Kind an einzelnen drehfreien Tagen zur Schule geht und den verpassten Stoff selbst aufarbeitet. Sagt nicht die Schule, sagen wir. Verboten sind: Angeben, abheben oder sich darüber beschweren, dass man warten, schwitzen oder Haare schneiden und färben muss. Und: Die grosse Schwester bestimmt, wohin wir in den massiv verkürzten Sommerferien fliegen.
Die Dreharbeiten und ihre Folgen
Es waren verrückte, aufregende, anstrengende und zwischendurch doch recht surreale Wochen. Wenn das Kind, plötzlich mit leuchtend roten Haaren, morgens um halb sieben grinsend inmitten einer Horde schlechtgelaunter Anzugträger in den Flieger stieg. Oder wenn wir auf einem Spielplatz an der polnischen Grenze europäische Hauptstädte repetierten.
Aber meine Tochter hat in dieser Zeit noch ganz andere, nicht weniger wichtige Dinge gelernt: Geduld, weil Dreharbeiten oft aus Warten bestehen. Zuverlässigkeit, weil auch die zigte Wiederholung der Szene noch präzise sein musste. Sozialkompetenz, weil man wochenlang mit den unterschiedlichsten Menschen eng zusammenarbeitet. Verantwortung, weil jedes noch so kleine Teilchen wichtig ist fürs grosse Ganze. Und Verzicht, wenn das Set an einem heissen Sommertag direkt neben der Badi liegt.
Und mein Fazit?
Nichts ist unmöglich, wenn alle am selben Strick ziehen. Klingt kitschig, ist aber so. Ob MAN es glaubt oder nicht.
Der Film «Papa Moll» lief im Dezember 2017 in den Kinos.
Auch auf Any Working Mom von Nicole Simmen:
Bisch sicher? Eine Antwort auf Andrea Jansens Schulkritik.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 19. Juni 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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