Lohn für Hausarbeit – Was, wenn wir nicht mehr gratis arbeiten würden?
Schluss mit Gratis! Sibylle Stillhart fordert einen fixen angemessenen Lohn für die Hausarbeit. Damit fällt der wirtschaftliche Druck von den Familien und sie verfügen über deutlich mehr von den zwei zentralen Ressourcen: Zeit und Geld!
Ich habe mich immer gegen Hausarbeit gesperrt.
Schon der Hauswirtschaftsunterricht in der Sekundarschule war traumatisch. Während die Buben unserer Klasse frei hatten, mussten wir Mädchen während drei Stunden lernen, wie frau geschickt in der Küche hantiert. Meine Rebellion gegen diese augenfällige Ungerechtigkeit bestand darin, dass ich mich so wenig wie möglich am Unterricht beteiligte – ich war immer bloss für die Salatsauce verantwortlich, während sich meine Schulkameradinnen an anspruchsvollere Kochrezepte wagten.
Für mich aber war klar: Ich werde niemals für einen Mann oder für eine Familie kochen, so wie es meine Mutter tun musste.
Ich wollte einen gescheiten Beruf erlernen und mich darin verwirklichen. Mit Haushalt wollte ich so gut wie gar nichts zu tun haben.
Es kam anders.
Seit ich Kinder habe, stecke ich mitten drin in der täglichen Hausarbeit, obwohl ich sie bis heute alles andere als gern mache. Doch ich kann es drehen und wenden wie ich will: Hausarbeit gehört zum Leben mit Kindern – sie haben nun einmal Hunger, brauchen saubere Kleider und ebenfalls will ich nicht, dass die Wohnung aussieht wie eine Müllhalde, was sehr schnell der Fall sein kann, wenn Kinder zu ständigen Mitbewohnern gehören. Kinder verursachen Arbeit – und das nicht einmal wenig!
Auch am Samstag. Und am Sonntag.
Laut Bundesamt für Statistik sind Frauen mit Kindern, die unter 6 Jahre alt sind, 58 Stunden die Woche mit unbezahlten Tätigkeiten wie Hausarbeit und der Betreuung der Kinder beschäftigt – trotz Erwerbsarbeit. Wird diese hinzugerechnet, haben Frauen ein wöchentliches Arbeitspensum von rund 70 Stunden. Das sind zehn Stunden Arbeit pro Tag. Auch am Samstag. Und am Sonntag.
Ähnlich verhält es sich bei den Männern. Auch sie arbeiten unbezahlt – durchschnittlich 34 Stunden in der Woche. Ihre Erwerbsarbeit ausser Haus umfasst zusätzlich (mindestens) 38 Stunden. Die «zeitliche Gesamtbelastung» für alle Väter und Mütter hat zwischen 1997 und 2013 zugenommen, stellt das BfS fest. Mütter und Väter von kleinen Kindern arbeiteten insgesamt durchschnittlich rund 70 Stunden pro Woche.
Deshalb war ich Feuer und Flamme, als ich in der NZZ den Artikel über die Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit las. Anders als die Journalistin bin ich davon überzeugt, dass mich ein Lohn für die tägliche Hausarbeit nicht an einen Herd ketten würde, sondern ganz im Gegenteil: Ich könnte mich endlich von ihm befreien!
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Erst seit den 1970er Jahren dürfen Frauen in der Schweiz mit einem Stimmzettel am politischen Leben teilnehmen.
Zuvor war es ihnen verboten. Erst seither haben Mädchen nach und nach denselben Zugang zur Bildung bekommen wie Buben. Aber noch in den 1980er Jahren wurden Mädchen ausführlich in Handarbeit und Hauswirtschaft unterrichtet, während Buben technisches Zeichnen und Mathematik büffelten.
Zudem wurde im hiesigen Ehegesetz festgehalten, dass Ehefrauen dafür verpflichtet seien, den Haushalt zu führen und nur einer Erwerbsarbeit nachgehen durften, wenn es der Mann erlaubte. Dieses Ehegesetz wurde erst 1987 aufgehoben. Frauen hatten lange Zeit kaum Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Sie waren zu Hause eingeschlossen und der Willkür des Ehemannes ausgeliefert.
Die heutige Arbeitswelt – ein Paradies?
Heute können Mädchen dieselben Ausbildungen absolvieren wie Buben. Jede zweite Uni-Absolventin ist mittlerweile eine Frau. Soweit so gut. Trotzdem möchte ich ebenfalls einen Blick auf die Arbeitswelt werfen: Unsere Sozialisation läuft darauf hinaus, dass wir einen «guten» Beruf erlernen, möglichst «Karriere» machen, «unabhängig» oder «selbstverantwortlich» unser Leben bestreiten sollten.
Uns wird suggeriert, dass die Arbeitswelt ein Paradies sei, in dem jede und jeder seinen Neigungen nachgehen könne.
Ohne Mucksen nehmen wir hin, dass wir täglich mindestens acht Stunden bei der Arbeit verbringen; es ist für uns normal, uns den Regeln der Arbeitgeber zu unterzuordnen. Das mag solange aufgehen, bis ein Kind auf die Welt kommt. Plötzlich erhält die Zeit eine neue Dimension und die Definition von «Arbeit» wird eine andere. Sobald ein Kind auf der Welt ist, verdoppelt sich die Anzahl Arbeitsstunden zu Hause. Es stimmt nicht, dass sich mit einer zusätzlichen Erwerbsarbeit die Arbeitsstunden im Haushalt reduzieren.
Die Erwerbsarbeit hat uns nicht befreit – im Gegenteil
Es kam nicht, wie erhofft, zu einer Befreiung von der Hausarbeit – sondern zu einer Kumulation zweier oder sogar dreier Arbeitsbereiche: Der Hausarbeit und der Kinderbetreuung und der Erwerbsarbeit. Familie und Beruf zu vereinbaren, bedeutet heute sowohl für Väter wie auch für Mütter ein sich unaufhörlich drehendes Hamsterrad, aus dem kaum mehr der Ausstieg gefunden wird.
Wir arbeiten alle immer mehr – und das oft zum Leidwesen unserer Kinder.
Wir Frauen konnten uns also weder von der Hausarbeit befreien – noch bietet die Erwerbsarbeit die Möglichkeiten, die wir gewünscht haben. Frauen verdienen nach wie vor weniger als Männer, werden oft mit sinnentleerten Aufgaben abgespeist und haben kaum Gelegenheit, Karriere zu machen. Lange Präsenzzeiten verunmöglichen, die Erwerbsarbeit mit unseren Kindern zu vereinbaren.
Anmerkung von Any Working Mom: Die Gratisarbeit hat eine weitere gravierende Auswirkung: Vielfach verschlechtert sich die Altersvorsorge von Frauen massiv. Es entstehen Vorsorgelücken, die eine tiefere Rente zur Folge haben. Alle Infos dazu haben wir hier zusammengefasst.
Auch wenn uns das lange gesagt worden ist: Die Erwerbsarbeit hat uns nicht befreit – das gilt für Frauen wie auch für Männer. Wir müssen uns, ohne Rücksicht auf unser Familienleben, an die Regeln unserer Arbeitgeber halten.
Die unbezahlte Arbeit bezahlen – warum nicht?
Würde man aber Mütter und Väter für die unbezahlte Arbeit, die sie zu Hause mit ihren Kindern ohnehin verrichten, bezahlen – für eine Familie mit zwei Kindern wären das monatlich 7000 Franken wie Ökonomin Mascha Madörin ausgerechnet hat – wäre die Ausgangslage eine bedeutend andere: Männer könnten selbstbewusster fordern, ihr Arbeitspensum zu reduzieren, weil sie nicht mehr ausschliesslich dem Chef ausgeliefert wären. Frauen könnten ihren Beruf so ausüben, wie sie es für richtig erachten – vor allem aber müssten sie nicht mehr nach 14 Wochen Mutterschaftsurlaub ihr Kind in eine Kita eingewöhnen und im Büro erscheinen, so als ob nichts passiert wäre.
Sowohl für Frauen wie auch für Männer bestünde die Möglichkeit, ihren Beruf auf selbständige Weise auszuüben. Mit dem Geld wäre ein Grossteil der anfallenden Kosten (Mieten, Krankenkassenprämien, Steuern, Kita-Auslagen und Altersvorsorge) bezahlt, so dass der wirtschaftliche Druck nicht mehr Überhand nähme.
Familien verfügten plötzlich über das, was ihnen am meisten fehlt: Zeit und Geld.
Die Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit (vom Staat) ist weder reaktionär noch von gestern. Er ist bislang die einzige Lösung, wie wir – sowohl Männer wie Frauen – Familie und Beruf tatsächlich vereinbaren könnten; und zwar, ohne uns dem Diktat der Arbeitgeber unterwerfen zu müssen.
Autorin
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 21. August 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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