«Mein Mann geht fremd und ich weiss es schon ewig»
Bei einem Seitensprung kochen oft die Emotionen hoch. In diesem Fall reagiert die Betrogene anders. Warum? Ein Erfahrungsbericht.
Ich stelle mir eure mitleidigen Blicke vor und verstehe, woher sie kommen. Ihr denkt: Ihr Mann geht schon länger fremd und das muss die Hölle sein.
Ja, irgendwie schon – und irgendwie auch nicht.
Als ich es herausfand, war es schlimm. Sehr sogar. Es passierte vor zweieinhalb Jahren. Ja, das ist lange her! Ich werde erklären, weshalb ich es schon so lange weiss, habt Geduld, ich möchte vorne starten.
Ich hatte ein Wochenende mit Freundinnen geplant, ein bisschen Sport, Wellness und Quatschen. Mein Mann wäre mit den Kindern daheim geblieben. Das machten wir schon lange so, jede und jeder von uns kriegte regelmässig freie Tage zum Alleinsein oder um etwas mit anderen Leuten zu unternehmen.
Zusammensein mit anderen auf freundschaftlicher Ebene, wohlgemerkt. Das war ganz klar abgesprochen, dass wir monogam leben, uns aber Bescheid geben würden, falls sich die Bedürfnisse ändern. Kann ja vorkommen, kann man ja drüber reden.
Wir sind ein Paar, das offen über Bedürfnisse spricht. Dachte ich.
Wir waren immer so stolz auf uns, dass wir uns genügend Freiraum geben, uns gegenseitig diese Auszeiten ermöglichen. Jedenfalls dachte ich, wir seien beide stolz auf unser Beziehungsleben – vielleicht war das auch nur ich.
Ich wollte vielleicht einfach stolz sein auf die Beziehung und nicht so genau hinschauen.
Ach ja, zurück zum entscheidenden Wochenende. Am Tag davor rief meine Schwiegermutter an und bot an, die Kinder zwei Tage zu sich zu nehmen.
Ich fand es schade, dass ihr Angebot so spontan kam, weil ich ja schon verplant war mit meinen Freundinnen und gerne etwas mit meinem Mann unternommen hätte.
Mal wieder nur wir zwei. Aber ich mochte es ihm auch gönnen, dass er unverhofft selbst zu mehr Me-Time kam.
Also wünschte ich ihm schöne Stunden und fuhr ins Wellnesshotel. Am Nachmittag lag ich mit meinen Freundinnen im Sprudelwasser und schwärmte ihnen von meiner Beziehung vor.
Wir haben es tatsächlich geschafft, Eltern zu sein und ein Paar zu bleiben. Glaubte ich.
Dann wurde mir übel, mein Bauch krampfte, meine Verdauung rebellierte. Mist, Magen-Darm-Virus.
Wenn ich krank bin, möchte ich daheim sein, nicht im Hotelzimmer. Also packte ich meine Sachen zusammen, eine der Freundinnen fuhr mich heim. Die Wohnung war leer, ich dachte: Mein Mann ist vermutlich unterwegs, schön.
Kaum angekommen, rannte ich ins Badezimmer, noch voll angezogen, mit Jacke, Schuhen und dem Reiserucksack. Man sah im Eingang der Wohnung also nicht, dass ich daheim war.
Ich sass wohl eine ganze Weile auf der Toilette, hatte die Tür geschlossen und die Kopfhörer drin. Als ich die Ohrstöpsel rauszog, waren da Stimmen. Zwei.
Ich hörte Lachen, Stöhnen, Dirty Talk.
Ich stand auf, wollte zuerst die Klospülung drücken, hielt dann inne. Stand eine ganze Weile still. Verharrte mit heruntergelassener Hose in meinem Badezimmer.
Mein Mann geht fremd? Bei uns daheim? Spinne ich jetzt?
Noch heute komme ich mir blöd vor, wenn ich mich an diese Gedanken erinnere. Ich hörte so genau, was er da tat. Und trotzdem fragte ich mich eine ganze Weile, ob ich halluziniere.
Doch, doch, er ging gerade fremd.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte – und dann hörte ich Schritte. Im Badezimmer neben der Toilette wurde der Wasserhahn aufgedreht, jemand wusch sich die Hände. Dann wieder Lachen, Worte, Kussgeräusche. Dann fiel die Haustür zu, der Schlüssel wurde umgedreht. Sie waren weg.
Ich stand immer noch da, Hose an den Knien, Tränen in den Augen.
In meinem Kopf ein Tornado an Gedanken, immer dieselben: Und jetzt und jetzt und jetzt und jetzt?
Was tut man, wenn der Partner fremdgeht?
Ich bin kein feuriger Mensch. Andere hätten vielleicht Geschirr zerdeppert, seine Kleider auf die Strasse geworfen, Fotos verbrannt. Zumindest machen das Betrogene in Filmen.
Ich setzte mich an den Küchentisch. Schaltete den Laptop ein und googelte nach Gründen für Untreue.
Es ist so ein Klischee, aber leider wahr: Ich überlegte zuerst, was ich falsch gemacht hatte. Ich. So absurd.
Irgendwie stiess ich auf den Artikel von Any Working Mom (bzw. nun mal ehrlich) mit dem Titel «Mütter: arbeitet! Eine Heirat sichert euch nicht mehr ab» und erschrak. Weil ich merkte: Wenn wir uns jetzt trennen, dann bin ich nicht nur die betrogene Ehefrau, sondern schlittere auch in finanzielle Probleme.
Ich habe immer gearbeitet, aber seit Beginn der Mutterschaft nur in Teilzeit. In einem so tiefen Pensum, dass keine Gelder in die Pensionskasse flossen. In die dritte Säule habe ich deswegen auch nicht einbezahlt.
Und ich wusste nicht, dass seit 2021 gilt: Frauen müssen nach einer Trennung oder Scheidung eigenständig für ihren finanziellen Unterhalt aufkommen – auch dann, wenn sie mehrheitlich die Kinder betreuen.
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Untreue = Trennung?
Nein, nicht unbedingt. Das fand ich zumindest früher immer. Ich sagte: So ein Ausrutscher kann mal passieren. Oft genug habe ich Freundinnen oder Freunde begleitet, wenn sie über einen Seitensprung hinwegzukommen versuchten. Bei vielen gelang es auch.
Ich staunte selber, wie felsenfest meine Überzeugung war: Mit diesem Mann habe ich keine Zukunft mehr.
Der Bruch war wohl umso stärker, weil ich so lange geglaubt hatte, wir seien ehrlich miteinander. Könnten offen darüber reden, dass ausserehelicher Sex eine Option ist, aber dann abgesprochen. Dass es nie ein kategorisches Nein gab. Trotzdem hatte er mich betrogen.
Auf einen Schlag verlor ich jegliches Vertrauen. Ich wollte in Ruhe überlegen, wie ich da bestmöglich rauskomme. Ich beschloss, erst mal zu schweigen.
In meinem Umfeld weiss niemand, dass mein Mann fremdgeht.
Ich habe mich noch keiner Freundin anvertraut, nur einer Anwältin. Sie berät mich darin, alles so aufzugleisen, dass ich bei einer Trennung nicht in die Armutsfalle tappe.
Meine engsten Freundinnen möchte ich nicht zu Mitwisserinnen machen, sie haben teilweise momentan sehr grosse eigene Probleme und es stimmt für mich so, es für mich zu behalten.
Mein Mann muss nun regelmässig Dokumente unterschreiben, die ich als Vorsorgemassnahmen tarne. Sie belegen, wie viel ich in die Kinderbetreuung investiere, was ich zu seiner Karriere beigetragen habe. Wie viel Geld mir zusteht, wenn er sein Unternehmen dereinst verkauft. Ganz viele kleine, individuelle Massnahmen, um mich abzusichern.
Er unterschreibt alles. Ich bin sicher, er ahnt gar nichts.
Immer wieder sagt er mir, wie sehr er mich liebt. Ich glaube ihm sogar. Aber wenn ich ihm antworte, lüge ich.
Ich liebe ihn nicht mehr.
Kurz nach diesem schlimmen Wochenende lebte noch ein Fünkchen Liebe in mir. Aber jetzt schaue ich genauer hin und merke, dass der Sex in unserem Daheim nicht seine einzige Eskapade war. In den zweieinhalb Jahren seither habe ich viermal gemerkt, dass mein Mann fremdgegangen ist.
Ich erwidere seine Liebesworte, seine Küsse, manchmal haben wir sogar noch Sex. Das fühlt sich nicht mal schlimm an. Es ist einfach eine Lustbefriedigung für mich, es ist praktisch.
Und irgendwie fühlt es sich auch machtvoll an. Dass ich all das tun kann, und er keine Ahnung hat, wie viel ich weiss.
Vielleicht fühlt sich das Fremdgehen für ihn ähnlich an. Machtvoll. Ein spannendes Spiel. Wenn ich bereit bin, mich zu trennen, könnte ich ihn danach fragen.
Vielleicht frage ich trotzdem nicht, werde ich ihm nicht erzählen, was ich alles weiss. Denn was ich nicht will, ist einen Rosenkrieg. Die Kinder sind zwar schon Teenager, aber trotzdem soll es möglichst friedlich ablaufen.
Kann also gut sein, dass ich ihn einmal gezielt erwische und all die anderen Male unerwähnt lasse. Weil sich mittlerweile meine Gedanken nicht mehr primär darum drehen, warum er das macht.
Ich habe aufgehört, die Schuld bei mir zu suchen. Und das tut so gut.
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Veröffentlicht am 7. Mai 2024
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