«Ich wollte alles richtig machen als Mutter und bin fast daran zerbrochen»
Maya hatte eine Vorstellung, wie die perfekte Mutter sein muss. Sie erfüllte diese Ansprüche nicht und verzweifelte daran. Dann liess sie sich in die Mutter-Kind-Abteilung einer Psychiatrie einweisen. Ein Erfahrungsbericht.

Ich war eine Mutter nah am Zusammenbruch. Und alles, was ich wollte, war stark zu sein, für meinen Mann und ganz besonders für unseren Sohn, damals neun Monate alt. Es war an einem Montag im August, als ich entschied, dass es so nicht weitergehen kann, und ich mich selbst in die Mutter-Kind-Abteilung einer Psychiatrie einweisen liess.
Vor mir lag ein langer, steiniger Weg, Momente der puren Verzweiflung, gefolgt von Scham und der nicht erlöschen wollenden Hoffnung, mein altes Ich irgendwann doch wiederzufinden.
An die über einstündige Autofahrt erinnere ich mich nicht, dafür aber noch genau an die Ankunft, wie man mir alles gezeigt hat und wie schrecklich wertlos ich mich damals gefühlt habe. Wie ich dachte:
Jetzt bist du in der Psychiatrie, noch tiefer kann ein Mensch kaum fallen.
So gerne wäre ich die perfekte Mutter gewesen.
Wie gerne wäre ich eine dieser Mütter gewesen, denen es nichts ausmacht, ihr gesamtes Leben von einem Tag auf den anderen neu zu ordnen. So sehr hätte ich mir gewünscht, den Schlafmangel, den komplett neuen Alltag, die Unplanbarkeit und all die anderen Veränderungen, die das Muttersein für mich mit sich brachte, ohne Weiteres wegzulächeln.
Aber ich war und bin keine dieser Frauen, denen das Muttersein scheinbar angeboren ist und die, gleichzeitig ihr Baby im Tragetuch stillend, schon den Rüeblikuchen für den dritten Geburtstag der Nachbarstochter vorbereiten.
Ich bin eine Frau, die extrem Mühe hatte mit dem veränderten Alltag einer Neu-Mama. Ich fand es unheimlich anstrengend, alle drei Stunden aus dem Schlaf gerissen zu werden, und konnte dann auch nicht mehr gut weiterschlafen.
Die gut gemeinten Ratschläge, sich doch tagsüber immer dann hinzulegen, wenn das Baby schläft, halfen mir leider auch nicht, denn selbst wenn ich mich hinlegte, entspannen konnte ich nicht.
Ich war immer in Alarmbereitschaft.
Auch das «Alleinsein» machte mir Schwierigkeiten. Nach nur wenigen Wochen ging mein Mann wieder arbeiten, ich war erstmal zu Hause – im sogenannten Mutterschaftsurlaub; wobei von Urlaub hier nun wirklich nicht die Rede sein kann.
Ich weinte viel und kämpfte mit starken Selbstzweifeln.
Hinzu kamen immer mehr Ängste, mangelnder Appetit und ein nicht enden wollendes, sorgenvolles Gedankenkarussell.
Ich bin eine Mutter, die das Glück hatte, sofort eine innige Bindung zu ihrem Kind zu spüren, und die dennoch mit der neuen Situation als Mutter heillos überfordert war. Ich bin eine Frau, die alles richtig machen wollte und an den Erwartungen anderer sowie den überhöhten eigenen Ansprüchen fast zerbrochen wäre. Heute versuche ich, besser wahrzunehmen, was ich brauche und dies auch einzufordern – von anderen oder auch von mir selbst.
Ich bin eine Frau, die sich gewünscht hätte, ihr Mann hätte sie nach der Geburt länger zu Hause unterstützen können. Allen werdenden Eltern wünsche ich eine Elternzeit und ich finde, die Schweiz braucht ein breiteres Hilfsangebot für Mütter und Väter, die an Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten erkrankt sind.
Bevor ich mich in eine Mutter-Kind-Abteilung einweisen liess, war ich in ambulanter psychologischer Betreuung.
Die Panikattacken, Angstzustände, Weinkrämpfe sowie die psychosomatischen Beschwerden liessen den Alltag mit Kleinkind für mich aber mehr und mehr zur unüberwindbaren Hürde werden. Es ging nicht mehr.
Ich war eine Mutter kurz vor dem Zusammenbruch.
Die nächste Einrichtung mit Mutter-Kind-Angebot befand sich im Nachbarkanton, die Wartezeit für ein Zimmer dort betrug sechs bis acht Wochen – in einer Notsituation viel zu lang. Ich hatte Glück und stiess im Internet auf eine Einrichtung mit Mutter-Kind-Abteilung, in der gerade ein Platz frei geworden war. Diese lag allerdings rund zwei Stunden Fahrzeit von meinem Zuhause entfernt.
Dies und die Tatsache, dass ich mit der Suche und der Organisation des Aufenthalts komplett auf mich allein gestellt war, machten die Situation nicht gerade einfacher.
Für die Zukunft wünsche ich mir einen offeneren Umgang mit psychischen Krankheiten. Ich wünsche mir eine Welt, in der sich jemand, der in der Mutter-Kind-Abteilung oder einer anderen Station in der Psychiatrie war, genauso wenig zu schämen braucht wie jemand, der sich im Krankenhaus hat behandeln lassen. Ich gehe offen um mit meinen Erlebnissen – Freunde, Familie, Arbeitskollegen sowie mein Vorgesetzter kennen meine Geschichte.
Ich möchte ein Vorbild für meinen Sohn sein.
In einer Welt, in der er keine Angst haben muss, Schwäche zu zeigen und Hilfe anzunehmen, wenn er sie braucht. Ich möchte, dass er weiss, dass es okay ist, auch mal nicht okay zu sein. Und tue mein Bestes, ihm dies vorzuleben.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 28. Juli 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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