Nie allein und mit allem allein – die Einsamkeit von Alleinerziehenden
«Ich bin verdammt einsam, aber ich bin nie allein.» Klartext darüber, was es wirklich bedeutet, alleinerziehend zu sein.
(Dieser Text erschien zuerst bei Mutterseelesonnig.)
Ob ich bereit wäre, zum Thema Einsamkeit und Alleinerziehende vor die Kamera zu treten? Hm, ja, hab ich erst mal gesagt. Denn vor die Kamera ist eigentlich immer gut: Im Auftrag der Alleinerziehenden PR zu machen, macht Sinn, denn Alleinerziehende und ihre strukturellen und politisch fabrizierten Probleme brauchen dringend Öffentlichkeit, damit sich mal was ändert.
Und gerade Einsamkeit ist ein strukturelles Problem bei Alleinerziehenden. Alleinerziehende sind die gelebte Dialektik: Sie sind nie allein und mit allem allein.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Sie sind nie allein, weil da ja immer die Kinder sind.
Bei jedem Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Sonn- und Feiertags, Kinder haben nie geschlossen. Ich bin oft den ganzen Nachmittag mit den Kindern zu Hause und kann mich trotzdem keine 20 Sekunden gedanklich auf etwas einlassen. Einer kommt um 14 Uhr, einer kommt um 15 Uhr von der Schule, jeder hat Hunger. Einer braucht Hilfe bei den Hausaufgaben, dem Anderen fehlt ein Heft, ein Stift, ein Buch. Die Küche muss aufgeräumt und die Wäsche aufgehängt werden, ich muss Zahnarzttermine machen und einkaufen, ich muss das eine Kind ermahnen, dass die Medienzeit zu Ende geht und das andere Kind möchte sich mit mir unterhalten, über den Tag, die Freunde und die Welt.
Dann muss das andere Kind zum Sport und braucht mal kurz meine Hilfe beim Tasche suchen, Sportsachen suchen – und vergiss die Trinkflasche nicht. Wir trinken Tee und quatschen, wir spielen das Spiel des Lebens, es wird Abendessen-Zeit, und wie: Du musst jetzt noch Vokabeln lernen? Wie war’s beim Sport, geh bitte duschen, ja, mit Haare waschen, Deine Freundinnen wollen am Freitag hier übernachten? Okay, wo sind die Matratzen, bin ich überhaupt zu Hause oder muss ich Freitagabend arbeiten, wie Du findest das cool wenn ich nicht da bin, was wollt Ihr denn gucken und hast Du auch an Deinen Bruder gedacht?
Natürlich gibt es kinderfreie Zeiten. Die Kinder sind in der Schule und ich auf der Arbeit. Die Kinder sind bei Freunden und ich beim Einkauf. Die Kinder sind sogar manchmal beim Vater und ich allein zu Hause.
Was bleibt, ist die Verantwortung.
Und zwar nicht für das Allernächste, für das Abendessen oder die sauberen Ohren. Sondern für die Kindheit, die Gesundheit, das Wachsen, die Zukunft dieser Kinder. Da sind immer so 2-10 Sachen, die in meinem Kopf rumtanzen und mehr oder weniger Aufmerksamkeit von mir fordern. Wenn ich arbeite, denke ich daran, dass ich auf dem Rückweg noch Salat kaufen und die Schuhe beim Schuster abholen muss. Wenn ich arbeite, weiss ich, dass ab 14 Uhr das erste Kind allein zu Hause ist und mich bald anrufen wird.
Natürlich kann ich dem Kind sagen, dass es den Salat kauft und die Schuhe beim Schuster abholt, das ist eine Erleichterung. Aber dran denken, dass das getan werden muss, das muss ich. Und ich bin die einzige, die an etwas denkt. Mit ihren 12 und 13 Jahren fangen die Kinder erst langsam an, das gesamte komplexe Konstrukt unseres Familienalltages zu überblicken.
In meinem Kopf ist ein permanentes Grundrauschen, die Kinder sind immer präsent. Mental Load nennt sich das, hab ich gelernt, aber im Gegensatz zu verpartnerten Frauen mit Mental Load, die mit ihrem Partner diskutieren, wie sie die Verantwortlichkeiten besser und paritätischer aufteilen können, kann ich nix abgeben.
Keiner da. Nur Einsamkeit.
Gleichzeitig zu der Tatsache, dass ich nie allein bin, bin ich immer allein. Allein mit allem. Weil da kein zweiter Erwachsener ist, der sich kümmert und sorgt, der organisiert und vorliest, der die Steuererklärung und den Haushalt macht, der dem Probevortrag des Referates im Wohnzimmer lauscht, während in der Küche die Nudeln überkochen. Ich kann nix teilen, nix abgeben, nix delegieren.
Und ich kann nix besprechen, mich nicht austauschen, mich nicht ausheulen. Probleme besprechen oder gar mal reflektieren, was bei dem Mordskrach eben hier so dermassen aus dem Ruder gelaufen ist.
Ich hab auch niemandem, der mich fragt, wie es auf der Arbeit war und mit dem ich meinen Tag auf Augenhöhe besprechen könnte. Gottseidank habe ich sehr empathische Kinder, die mich tatsächlich fragen, wie mein Tag war, und dann fällt mir auch was ansatzweise Altersgerechtes ein, was ich erzählen kann. Was echt schön ist. Aber Stress in der Vorstandssitzung? Personalangelegenheiten? Der Haushaltsplan fürs nächste Jahr? Wohl kaum ein Thema für Teenies.
Und mein persönlicher Kram?
Ich werde die Schmerzen am Auge nicht los, eine Freundin meldet sich nicht mehr, oder gar: Die Eltern von Freunden meiner Kinder gehen mir schlichtweg auf die Nerven. Das kann ich nicht mit den Kindern besprechen. Das bleibt hübsch in meinem Herzen verschlossen und gräbt sich da alles tief rein. Damit bin und bleibe ich alleine.
Aber halt: ich kann doch Freunde treffen! Ja genau, aber wann? Um Freunde zu treffen, muss ich meine Kinder allein lassen. Nein, an den kinderfreien Wochenenden arbeite ich. Klar sind die Kinder alt genug, aber ich lasse die Kinder bereits wegen meines Jobs ein bis zwei Abende pro Woche alleine, ich lasse sie Sonntags tagsüber alleine, weil ich arbeite und oft genug mittags, weil ich erst gegen 16 Uhr nach Hause komme. Mein Kontingent an „Kinder alleine lassen“ ist mit meinem Job gänzlich ausgefüllt, und dann war ich noch auf keinem Elternabend.
Und WENN ich dann mal Zeit hätte, müssen die anderen ja auch Zeit haben. Die, die ich treffen will. Ich mach’s kurz: Die haben auch nie Zeit. Und zwar völlig egal, ob die alleinerziehend oder in Partnerschaft leben: Familien haben nie Zeit.
Das ist das strukturelle Problem: Familien haben nie Zeit. Weil alle immer arbeiten und Termine für und mit den Kindern haben. Hätten wir eine 30-Stunden-Woche bei Vollzeitgehalt für Eltern, hätten wir alle etwas mehr Luft. Wäre Wohnraum günstiger, dann müssten wir nicht so viel arbeiten und wir hätten alle etwas mehr Luft. Würden Familien und besonders Alleinerziehende gerecht besteuert, hätten sie netto mehr Kohle auf dem Konto und etwas mehr Luft. Gäbe es mehr, besserer und flexiblere Kinderbetreuung, hätten wir alle etwas mehr Luft.
Das haben wir aber alles nicht. Und deshalb rödeln Eltern sich dumm und dusslig im Vereinbarkeitstanz um Kinder, Job und Haushalt. Paare sind dabei wenigstens noch zu zweit, Alleinerziehende kommen bei dem Theater nicht mehr vor die Tür. Oder nur, um zu arbeiten oder mit den Kindern zum Schwimmen zu gehen. Ich verlasse die Wohnung eigentlich nur zum Arbeiten, zum Einkaufen oder für kindbedingte Wege und Termine. Oder um den Müll rauszubringen.
Das macht einsam. Einsam und alleine.
Daran würde übrigens auch ein neuer Partner so schnell nix ändern. Eine Beziehung würde zunächst nur an der einen Seite der Einsamkeit etwas ändern: Ich hätte jemand Erwachsenes zum Austausch, zum Reden und zum zusammen nicht-kindertaugliche-Serien-Gucken. Jemanden, mit dem ich nicht circa ein Jahr brauche, um einen Termin zu finden, sondern der einfach da ist. Das wär schon cool.
Schritt zwei wäre allerdings die Verantwortung, mit der ich hier alleine bin. Die nimmt mir so schnell keiner ab. Denn zwischen „zusammen Pizza essen“ und „ich geh mit K1 morgen zum Kinderarzt“ oder „ich übernehme das Elterngespräch mit dem Klassenlehrer“ liegen nochmal Welten. Meine letzten Patchwork-Versuche haben es ja nicht mal geschafft, den Müll rauszubringen. Und so ein neuer Partner müsste sich hier im Rudel auch erst mal hinten anstellen, denn die Kinder haben hier ganz klar die Priorität. Oder wie mein letztes Date so schön sagte: „Ich weiss sowieso nicht, wo in Deinem Leben noch Platz für einen Mann und seine Ansprüche ist.“
Seine Ansprüche. Ich lache immer noch.
Alleinerziehende sind einer tief sitzenden Einsamkeit ausgeliefert. Manche haben Glück und ein gutes Netzwerk, andere (ich) haben einen Job, in dem sie wenigstens unter Leute kommen. Aber berufsbedingte Kontakte sind für das private Gefühlsleben nur eher so mittelgut geeignet und ersetzen echte Beziehungen nicht.
Das Hamsterrad aus Job, Kindern, Geldproblemen, Haushalt, Stress mit dem Ex und Ämtern sowie mangelnde Kinderbetreuung lassen den wenigsten Alleinerziehenden die Luft, um Freundschaften zu pflegen und Beziehungen aufzubauen. Wenn man dann noch, so wie ich, des Mannes wegen in eine andere Stadt gezogen ist und dort sofort Kinder bekommen hat, hat man nicht mal mehr die Kontakte aus der Zeit vor dem Familienleben.
Meine privaten Kontakte sind allesamt aus Kindergedöns und Berufsumfeld erwachsen. Als wir die Kita und den Hort verlassen haben, sind 95% der Kontakte eingeschlafen, auf der weiterführenden Schule wird sich unter Eltern eher gesiezt als das Herz ausgeschüttet. Ich kriege maximal noch Whatsapp-Anfragen von ehemaligen Kita-Eltern, ob ich einen DJ organisieren könne, ohne auf selbige Party eingeladen zu werden – schwäbische Herzlichkeit, so schön.
Das Klischee der Alleinerziehenden, die sich abends treffen, die Kinder zusammen ins Bett bringen und sich mit einem Gin Tonic auf dem Sofa kichernd einen schönen Abend machen, ist Mumpitz.
Sobald die Kinder in der Schule oder gar Teenies sind, kann ich die nicht einfach irgendwo hinschleppen. Die wollen ihren Abend selber gestalten und früh ins Bett, die müssen nämlich am nächsten Morgen ihre gepackten Ranzen haben und ziemlich früh in die Schule, am Wochenenden wollen sie ausschlafen bis zum get-no.
Zusammenziehen statt Einsamkeit?
Die brillante Idee „Zieht doch zusammen“ ist genauso Quatsch: Es gibt keine bezahlbaren Wohnungen, die gross genug sind für zwei Alleinerziehende und mehrere Kinder. Im Gegensatz zu einem Paar wollen die beiden Alleinerziehenden nämlich nicht in einem Zimmer schlafen, für 2 x 2 Kinder braucht man ebenfalls mehr Raum als für vier Geschwisterkinder. Nachdem mir mal ein Makler trotz meines unbefristeten Geschäftsführerinnen-Vertrages ins Gesicht sagte, bei mir als Alleinerziehender käme dann ja wohl die Miete nicht, stehen die Chancen für zwei Alleinerziehende samt Kinder und Katzen kaum besser.
Es ist im Übrigen auch ein Gerücht, dass alle gleichaltrigen Kinder sich gut verstehen, ebenso wenig wie alle Alleinerziehenden beste Freundinnen sind. Es müsste also nicht nur räumlich, finanziell und geographisch passen, sondern auch zwischenmenschlich. Deshalb finde ich dieses „gründe doch eine WG“ ziemlich übergriffig, weil es gleichbedeutend ist mit dem Verlust von Privatsphäre für Mütter und Kinder. Ich habe als Studentin jahrelang in WGs gelebt und stelle es mir verdammt spassig vor, mit 2-4 pubertierenden Teenagern und zwei berufstätigen Müttern zusammenzuleben.
Nein, es bleibt der Fakt: Als Alleinerziehende bin ich nie allein, denn da sind immer meine Kinder. Und ich bin immer allein, denn ich habe weder Zeit noch Kapazitäten, um Freundschaften und Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.
Und das macht das Ganze so verdammt schwer.
Denn für ein oder zwei Jahre, oder auch drei, geht das alles mal. Ich bin jetzt seit 8 ½ Jahren alleine mit den Kindern, und es zehrt mich aus. Ich habe viel Energie in Freundschaften und Beziehungen gesteckt, und sie versacken trotzdem alle langsam im Sand. Meine Gesundheit ist dahin, ich werde ständig krank und die wunderlichen Symptome, die ich habe, sind am Ende immer auf Stress und Verspannung zurückzuführen.
Mein Alltag ist geprägt von Kommunikation und Rödelei, ich habe den Kopf voll mit tausend Dingen und ich komme zu nix. Schon gar nicht dazu, abends noch ein Glas Wein trinken zu gehen. Mit wem auch, sind ja alle so beschäftigt.
Ich bin verdammt einsam, aber ich bin nie allein. Ich hab ja meine Kinder, und wir spielen zusammen das Spiel des Lebens. So oder so.
P.S.: Ich habe dem Fernsehsender abgesagt, denn es sollte eine recht persönliche Geschichte erzählt werden. Die Geschichte von mir und meinen Kindern, mit Babyphotos, Bildern aus der Zeit der Trennung und mit mir als Talk-Gast im Studio. Die einsame Alleinerziehende und der schlagfertige Moderator, der in 5 Minuten mein Seelenleben einem Millionenpublikum darlegt. So wichtig war mir die Sache im Namen der Alleinerziehenden dann doch nicht. Aber wichtig genug, darüber zu schreiben, wo ich jedes Wort wenigstens nochmal lesen kann, bevor es veröffentlicht wird.
Unser Podcast zum Thema Trennungen: Väter, die um ihre Kinder kämpfen
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 5. Februar 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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