Papa hui, Mama pfui! Wie mein Sohn vor mir fremdelt
Papa, Kita-Betreuerin, ja sogar der Kinderarzt gleich nach der Impfung: Wenn der kleine Sohn lieber bei andern Menschen ist, als bei seiner eigenen Mutter.
In seinen ersten Lebensmonaten war unser Sohn ein grosser Fan von mir. Beziehungsweise von meinen Brüsten. Doch bald zeichnete sich ab: Papa ist viel spannender, toller und lustiger. Busen hin oder her.
Zunächst fand ich das super, rühmte mich im Stillen als besonders ungluckenhafte Mutter, die drüberstand, dass der Sohn seine dicken Ärmchen nie in meine Richtung streckte.
Doch dann fing es an, mich zu stören.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Abholen in der Kita: Eigentlich der dankbarere Job…
Ich beobachtete neidisch, wie manche Kinder eifersüchtig reagierten, wenn ihre Mutter ein anderes Kind auf dem Schoss hielt. Ich wünschte mir, mein Sohn würde hin und wieder fremdeln und bei mir Sicherheit und Geborgenheit suchen.
Nur einmal hatte ich das erlebt: Während eines Besuches im Tierpark Goldau wollte ein Reh den Sohn beschnuppern. Dieser erschrak so sehr, dass er sich fest an mich klammerte und sich ausnahmsweise nicht darum scherte, dass ich nicht Papa war.
Ich genoss den Schreckensmoment meines Sohnes in vollen Zügen. Wir sollten öfters grosse Tiere anschauen, dachte ich mir. Münchhausensyndrom lässt grüssen.
Mein Mann brachte den Sohn jeweils in die Kita und ich holte ihn am Abend ab, hatte also die dankbarere Aufgabe inne. So schien es mir jedenfalls, denn der Nachwuchs anderer Eltern rannte ihnen in die Arme, so schnell es die kurzen Beinchen erlaubten.
Bei mir verhielt es sich anders: Manchmal blickte mein Sohn auf, wenn er meine Stimme hörte, und wenn ich Glück hatte, krabbelte er in meine Nähe und zeigte mir ein Spielzeug.
Doch kaum realisierte er, dass er mit mir mitkommen musste, ging das Drama los.
Ich konnte weder ihn noch meine Tränen kontrollieren.
Nahm ich ihn auf den Arm, schlug er mir ins Gesicht, bis ich seine Händchen festhielt. Eine Mutter schaute mich traurig-mitfühlend an, während der Kopf ihrer Tochter seelig auf ihrer Brust ruhte.
Mein Sohn schrie derweil weiter, als wollte ich ihm etwas antun, und streckte währenddessen die Arme zur Betreuerin aus. Sie wirkte beschämt, sagte ein paar aufmunternde Worte, die im Geschrei untergingen. Ich klemmte mir das tobende Kind unter den Arm und konnte weder ihn noch meine Tränen kontrollieren.
Ein weiteres Beispiel: Der Arztbesuch. Mein Sohn hatte drei Spritzen bekommen. Zwei Minuten später streckte er die Arme nach dem Doktor aus und wollte zu ihm auf den Schoss. Der Kinderarzt schaute mich verdutzt an und meinte, das hätte er also wirklich noch nie erlebt. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
Ich dachte, mein Sohn fände mich erst in der Pubertät uncool.
Mir war schon klar, dass mein Sohn mich irgendwann ziemlich uncool finden würde. Bloss ging ich davon aus, dass das erst in 10 bis 15 Jahren der Fall wäre, nämlich in der Pubertät. Und natürlich weiss ich auch, dass man von seinen Kindern nichts erwarten darf, dass sie mir als Mutter nichts schuldig sind.
Und es war ja auch nicht alles schlecht. Waren wir alleine, kamen wir wunderbar zurecht. Wir verbrachten richtig tolle Tage zusammen, konnten ein grossartiges Mutter-Sohn-Gespann sein. Aber kaum erschienen Papa, Grosi oder sonst jemand auf der Bildfläche, wurde ich wieder zum Dienstleister degradiert.
Ich fühlte mich, als hätte man mir mein Kind weggenommen.
In den Sommerferien in Portugal wollte mein Sohn dann gar nichts mehr von mir wissen. Näherte ich mich ihm, schrie er wie am Spiess. Die portugiesische Familie, entfernte Bekannte und gänzlich Unbekannte: Er wollte bei allen sein, bloss nicht bei Mama. Eines Abends stand ich vom Tisch auf, verliess das Restaurant, setzte mich an den Strand und heulte. Heulte und heulte.
Einerseits, weil ich mich als Versagerin fühlte. Was hatte ich dem Kind bloss angetan? Ich konnte die Blicke der anderen nicht mehr ertragen – genauso wenig wie die Vorstellung, dass mich alle als gescheiterte Mutter betrachteten.
Doch das allerschlimmste war: Ich vermisste meinen Sohn. Ich vermisste seine Nähe, seine warme Haut, seinen ureigenen Geruch, seinen Sabber auf meinem T-Shirt. Ich fühlte mich, als hätte man mir mein Kind weggenommen.
Papa hat ein schlechtes Gewissen.
Mein Mann litt derweil nicht weniger. Er hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er mich so traurig sah, obwohl er nichts dafür konnte. Immer wieder versuchte er, zwischen mir und unserem Sohn eine Brücke zu schlagen, er zog sich zurück und wollte uns Raum geben. Vergebens. Unser Sohn wollte nichts ausser Papa. Papa, Papa, Papa.
Ich liebe dieses Kind über alles und litt Höllenqualen. Alles nur eine Phase, bekam ich oft gut gemeint zu hören. Und die lieben Leute scheinen recht zu behalten.
Ich will hier nichts verschreien, aber seit rund zwei Wochen scheint sich die Situation zu entspannen. Schon vier Mal streckte mein Sohn die Arme nach mir aus. Mein Mann und ich versuchen, dann ganz cool zu bleiben und uns nur heimlich bedeutungsvoll zuzunicken.
Ich muss jeweils wahnsinnig grinsen und strecke hinter dem Kinderrücken schon mal den Daumen in die Luft. Was für andere Mütter Alltag ist, beflügelt mich regelrecht. Es tut so gut, wenn etwas zurückkommt.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 22. Januar 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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