Anna möchte Mutter werden
Anna möchte Mutter werden. Doch «es» klappt nicht. Sie erzählt uns, wie sich ihr unerfüllter Kinderwunsch anfühlt, und was sie sich von ihrem Umfeld wünschen würde.

Nachdem wir einen Post zum unerfüllten Kinderwunsch publiziert hatten, hat sich Anna* bei uns gemeldet. Sie und ihr Partner warten seit Jahren auf ein Baby, und wie sich das anfühlt, möchte sie mit Euch teilen. Wir danken ihr ganz herzlich für ihren Mut und ihre Offenheit und freuen uns, dass sie Any Working Mom dafür als Plattform gewählt hat. Das ist Anna’s Geschichte:
Mein Mann und ich sind ein Paar, seit ich 15 bin. Das sind mittlerweile 16 Jahre – mehr als mein halbes Leben. Wir stammen beide aus intakten und glücklichen Familien. Mutter, Vater, Geschwister – alle lieben sich sehr und es gibt keine dunklen Familiengeheimnisse. Wir, mein Mann und ich, haben unsere Jugend zusammen genossen, viel gefeiert, die Welt bereist, haben Ausbildungen absolviert, sind in unseren Jobs erfolgreich aufgestiegen und haben vor nunmehr vier Jahren geheiratet. Was in unserem Umfeld längst erwartet wurde, haben wir somit teilweise erfüllt.

Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Teilweise, sage ich. Der nächste Schritt, den wir uns beide wünschen, lässt auf sich warten und stellt uns auf eine harte Probe. Nun stehen wir da, ein Paar dass sich in- und auswendig kennt und sich liebt, zwei weitgereiste und erfahrene Menschen, die gerne eigenen Kindern die Welt erklären und zeigen würden, abgesichert mit guten Jobs, mit schöner familientauglicher Mietwohnung, mit grossem und sicherem Familienauto – nur leider fehlt das Kind, das uns zur Familie machen würde.
Und immer die Frage: Warum wir?
Mit einem unerfüllten Kinderwunsch zu leben, ist schwierig.
Früher hatte ich davon gehört oder gelesen, jedoch hätte ich – wie wohl jede und jeder von uns – nie daran gedacht, dass es mich, dass es uns treffen könnte. Psychische Krankheiten aufgrund solcher Probleme waren für mich vorher schwer nachvollziehbar, mir ging es gut und ich dachte mir immer, «ds Lebe isch doch schön» – also was soll’s, geniesst doch was ihr habt!
Mittlerweile weiss ich, wie es sich anfühlt, wenn vier Jahre lang kein einziger Tag vergeht, an dem man sich nicht Gedanken um dieses EINE Thema macht. An dem ich nicht irgendetwas google, meinen Zyklus zum x-ten Mal nachrechne, mir überlege, welches Mittagessen nun gesünder für meinen Uterus sein könnte. Sperma-Untersuchungen, Hormonspritzen und Geschlechtsverkehr nach Kalender gehören zu unserem Leben.
Dazu kommt der Alltag. Ich erlebe ihn anders, seit ich den Kinderwunsch in mir trage, der sich nicht erfüllen will. Überall sehe ich schwangere Frauen auf der Strasse in schicker Kleidung und überlege mir, was ich wohl mit diesem schönen, grossen Bauch anziehen würde. Ich höre Namen und frage mich, wie ich wohl mein Kind taufen würde. Wir buchen Ferien und überlegen uns dabei, ob wir sie überhaupt antreten können.
Der Gedanke an mein ungezeugtes Kind durchdringt alles, was ich tue.
Tausend Meinungen von Fachpersonen und anderen Paaren machen die Situation nicht einfacher. Wir merken zwar, dass es vielen Paaren genauso geht wie uns, aber niemand redet wirklich darüber. Es ist eine Schwäche, sich einzugestehen, dass das Leben für einmal nicht nach Plan verläuft.
Die ersten beiden Jahre verstrichen ziemlich schnell. Wir sprachen von unserem Kind, als wäre es schon ein Teil von unserer kleinen Familie. Dann kam das Eingeständnis, dass es ohne Behandlung wohl nicht geht.
Der logische erste Schritt war eine Untersuchung des Spermas meines Mannes. Nach unserem Empfinden war dies die einfachste und günstigste Variante, um annähernd 50% der „Problemquelle“ zu eliminieren. Als die Bestätigung kam, bei ihm funktioniere alles bestens, war es einerseits eine Erleichterung – juhuu wir müssen nicht zur Samenbank –, und andererseits doch auch die Ernüchterung: Nun würden bei mir die Untersuchungen losgehen.
Unzählige Abstriche, Blutuntersuchungen, Ultraschalle und schliesslich Hormonspritzen, um den Eisprung auszulösen, waren die Konsequenz. Parallel liess ich mich mit Akupunktur behandeln, was mir die Stärke gab, die nötige Geduld für alles andere aufzubringen.

Und plötzlich bist du Patientin
Zu diesem Zeitpunkt kamen verschiedene Gefühle hoch. Einerseits die Enttäuschung über den eigenen Körper – wir sind beide gesund, hatten bis auf ein paar Sportverletzungen noch nie wirklich mit Ärzt:innen geschweige denn mit Spitälern zu tun – und dann plötzlich bist du Patientin. Du brauchst Hilfe, weil dein Körper nicht tut, was er aus deiner Sicht tun sollte.
Dazu kam das Gefühl, den Partner zu enttäuschen. Ich kann seinen Wunsch nicht erfüllen. Den ersten Gedanken, „es liegt an mir“, habe ich nach Gesprächen mit meinem Mann zum Glück schnell wieder verworfen. Ich weiss, dass er mich unterstützt und bereit ist, den Weg zusammen zu gehen. Trotzdem, nun kann nur ich etwas tun. Mehrmals pro Woche muss ich aus dem Büro schleichen und mir immer neue Ausreden ausdenken, um Behandlungstermine wahrzunehmen.
Wir, das Paar
Mir ist bewusst, dass andere nach vier Jahren viel mehr versucht haben, dass sie Operationen oder Behandlungen in Kinderwunschzentren hinter sich haben. Wir möchten unser Leben aber nicht einem unerfüllten Wunsch unterordnen. Ich möchte nicht zehn Jahre meines Lebens gestresst, schlecht gelaunt und frustriert verbringen, um dann mit oder ohne Kind zurückzublicken und zu sehen, was ich alles verpasst habe. Wir versuchen, unser Leben zu geniessen, planen Reisen und Aktivitäten, treffen uns mit unseren Freunden und tun, was uns als Mensch und als Paar gut tut.
Trotzdem, manchmal wünsche ich mir echt die Unbeschwertheit von vor unserer Hochzeit zurück. Ich möchte einfach wieder nur in den Tag leben, ohne mich dabei zu ertappen, wie ich innerlich rasend eifersüchtig werde, wenn ich von der nächsten Schwangerschaft im Freundeskreis erfahre oder Sätze höre wie «es ist halt einfach so passiert – eigentlich wollten wir gar keine Kinder» oder «tja, jetzt muss ich halt die neun Monate ohne Zigaretten und ohne Alkohol durchstehen“.
Oft kann ich mich selber nicht leiden für die Gefühle, die in solchen Situationen hochkommen. Aber sie sind einfach da.
Das Umfeld
Natürlich ist es auch für unser Umfeld nicht einfach, mit unserer Situation umzugehen. Ändern können auch sie sie nicht.
Einige unserer Freund:innen gehen mit der Sache ziemlich locker um. Sie bitten uns, die Patenschaft ihrer Kinder zu übernehmen, feiern mit uns Geburtstage, Weihnachten und lassen uns unser Leben leben.
Andere begegnen mir (selbst schwanger oder nicht) mit Blick auf meinem Bauch, danach knickt der Kopf leicht zur Seite und der Gesichtsausdruck wechselt auf Mitleid. Diese Begegnungen sind für mich die schlimmsten. Ihr sollt nicht Mitleid mit uns haben, ihr sollt keine Rücksicht auf uns nehmen! Es verstärkt nur mein Gefühl, einen Mangel zu haben, für den man bemitleidet werden muss.
Dann gibt es gut gemeinte Ratschläge: Auf Sätze wie «ja aber habt ihr das untersuchen lassen?» oder «meine eine Kollegin, die hat auch lange geübt, bis sie bei diesem Guru XY war…» können wir gut und gerne verzichten. Es ist ja nicht so, dass wir nach vier Jahren immer noch Monat für Monat auf ein Wunder à la unbefleckte Empfängnis hoffen. Wir tun, was wir können.
Was können Andere tun?
Wie soll man auf Paare wie uns reagieren? Meine ganz persönliche Antwort darauf: gar nicht oder ganz normal! Behandelt uns nicht mitleidig, nicht wie Kranke. Geniesst es einfach, mit Freund:innen zusammen zu sein.
Wenn heute euer Highlight war, dass der kleine Luca selbst aufs Töpfchen konnte, so erzählt es uns, lasst uns teilhaben! Unser Ereignis des Tages war vielleicht ein erfolgreicher Vertragsabschluss, oder ein feines Mittagessen mit den Kolleg:innen – umso schöner ist es natürlich, wenn ihr uns dabei auch zuhört und euch auch mit uns freut! Lasst uns an eurer Welt teilhaben und nehmt gleichzeitig auch an unserem Leben teil.
Das Wichtigste: Liebt eure Kinder, geniesst die Zeit mit Ihnen. Vielleicht könnt ihr ab und zu innehalten und euch einmal mehr bewusst werden, dass das, was ihr da habt, leider nicht jedem gegönnt ist.
Ich habe immer noch die Hoffnung, dass auch uns dieses Glück eines Tages findet.
…und dann, eineinhalb Jahre später
Nach fast fünf Jahren hat uns unser Glück gefunden! Dass ich die Kraft und Geduld hatte, verdanke ich nicht zuletzt Any Working Mom. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie oft ich meinen Beitrag und die Kommentare dazu durchlas. Die Kommentare Eurer Leserinnen haben mir enorm geholfen und ich habe mir jeweils vorgestellt, dass ich mit meinem Beitrag zu diesem Thema vielleicht das eine oder andere Paar vor gewissen unschönen Situationen verschonen konnte, oder die Leute zumindest dazu bewegen konnte, kurz über dieses Thema nachzudenken, bevor sie urteilen.
Wir hatten eine schwere Zeit. Als Paar hat sie uns aber zusammengeschweisst und gestärkt. Wir freuen uns auf die neue Herausforderung und aufs Windeln wechseln, aufs Geschrei, die schlaflosen Nächte und das unbezahlbare Grinsen unseres kleinen Wunders!
Anna und ihr Mann sind im Dezember 2018 Eltern eines Buben geworden. Wir gratulieren herzlich!
*Anna heisst nicht wirklich so. Wir haben aber gemeinsam beschlossen, dass sie unter einem Pseudonym freier schreiben kann.
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Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 14. April 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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