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Selbständigkeit: Verdammt, ich lieb’ sie

Was ist eine grosse Schwierigkeit beim Selbständig-Sein? Nein sagen. Tipps für mehr Abgrenzung und finanzielle Sicherheit.

Welche Hürden gibt es in der Selbständigkeit - und wie überwindet man sie? mal ehrlich

Manchmal verfluche ich meine Selbständigkeit. Warum?

Weil sie gnadenlos spiegelt, wo meine wunden Punkte liegen, und ich in den letzten zehn Jahren mehr über mich gelernt habe, als ich ursprünglich erfahren wollte. Weil sie mich zwingt, hinzuschauen. Und zu handeln.

Wenn ihr euch überlegt, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen, empfehle ich erst mal die Tipps von Simone Brand in unserem Artikel «Du willst dich selbstständig machen? 10 Dinge, die du wissen musst». Wie hilfreich wäre der Text von Simone vor zehn Jahren für mich gewesen!

Denn statt mich zu informieren, bin ich ziemlich reingeschlittert in die Selbständigkeit, mit einer Riesenportion Halbwissen. Mit ein bisschen «Fake it till you make it», einigem Haare-Raufen und so manchen Heulattacken klappte es dann doch irgendwie. Beruflich lief es immer rund, nur nervlich teilweise holprig.

In all diesen Jahren habe ich mit vielen Selbständigen darüber geredet, was unsere grössten Herausforderungen sind. Simone hat vieles davon angetönt. Aus eigener Erfahrung und aus den vielen Gesprächen würde ich behaupten, die allergrösste Hürde ist:

NEIN sagen.

Selbständigkeit bedingt Selbstverantwortlichkeit. Autsch.

Die Selbständigkeit entspricht mir in vielerlei Hinsicht: Ich bin gern ungebunden und selbstbestimmt, war als Angestellte zuweilen anstrengend, weil vieles hinterfragend. Ich kann nur schwer Motivation aufbringen für Tätigkeiten, die ich ineffizient oder uninteressant finde. Viel lieber lasse ich mich von meiner Neugier treiben.

So weit so gut. Blöderweise ist meine Neugier immens, und meine Selbstüberschätzung auch. Wenn also eine interessante Anfrage an mich herantritt, dann kreischt mein Hirn begeistert: Ja!

Rein organisatorisch bin ich gut im Planen, wahnsinnig strukturiert. Bei mir geht fast nie was unter und ich halte Deadlines ein. Aber meine eigenen Ressourcen kann ich extrem schlecht einkalkulieren. Ich mache komplett unrealistische To-do-Listen für einen Arbeitstag und nehme sogar dann noch Aufträge an, wenn ich eigentlich schon übervoll bin.

Und grad dann, wenn ich eh schon viel zu tun habe und mein Gehirn auf Hochtouren läuft, kommen mir noch eigene Ideen für neue Projekte. Die ich dann nicht stichwortartig aufschreibe und irgendwo ablege, sondern sofort auch anreisse.

3, 2, 1… System overload.

Also übe ich jetzt das Nein-Sagen.

Wenn eine Anfrage kommt, gucke ich auf einen Pin auf meinem Pult. NON steht drauf. Jedes Mal, wenn ich eine Anfrage erhalte für einen Auftrag, schaue ich ihn an.

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Mein NON-Pin – ein Geschenk von einer Freundin, die mich bestärken wollte im Nein-Sagen. Hat sowas von geklappt!

Er stoppt mich, gibt mir die Erlaubnis, nicht sofort reagieren zu müssen. Ich bitte um Bedenkzeit.

Erst mal: warten, bis sich der Gedankenstrudel legt, der in meinem Hirn rumort: «Sag sofort ja, die fragen dich sonst nie mehr!» «Du wirkst unmotiviert, wenn du Bedenkzeit brauchst!» «Sei dankbar für jeden Franken, den du verdienen kannst!»

Dann setze ich mich in Ruhe hin und erinnere mich daran, dass ich nicht mehr 25 bin, nicht mehr kinderfrei, nicht mehr ausgeschlafen und flexibel. Dass ich auch Zeit für mich allein brauche, und diese nicht mit Arbeiten verbringen will. Ich schaue meine Projektliste an und frage mich selber, laut:

Habe ich Zeit und Lust? Oder ist es ein NON?

Das klingt relativ einfach, aber es ist ein ständiges Ausprobieren und Justieren. Mal gelingt es mir, dann rassle ich wieder voll rein. Und frage mich, warum es mir und anderen so geht. Darum:

Selbständigkeit heisst Unsicherheit.

Auch wenn ich in den vergangenen zehn Jahren noch nie einen Monat ohne Arbeit hatte: Jedes Mal, wenn ich einen Auftrag absage, mahnt eine Stimme in meinem Kopf: «Und wenn jetzt dann eine Flaute kommt?»

Diese latente finanzielle Sorge. Sie lässt sich nicht aus der Welt räumen. Durch Inputs von anderen habe ich eine Lösung gefunden, die mir etwas mehr Ruhe gibt: vorsorgen, vorsorgen, vorsorgen.

Ja, es hat mich ein bisschen Aufwand gekostet, mich zu informieren und alles aufzugleisen – aber seither kann ich in Ruhe mein Ding machen, ohne ständige Existenzängste.

  1. Ich habe mir einen Notgroschen angespart, mit dem ich sechs Monate über die Runden käme, auch wenn alle Aufträge ausblieben.
  2. Da ich nun nicht mehr durch einen Arbeitgeber gegen Berufsunfälle und Nichtberufsunfälle versichert bin, ist eine private Unfallversicherung notwendig. Damit nicht plötzlich immense Kosten für Rettung, Transport und Heilung auf mich zukommen.
  3. Eine Krankentaggeld-Versicherung sorgt dafür, dass ich bei längeren Ausfällen trotzdem meine Fixkosten begleichen kann. Man kann sehr individuell einstellen, ab wann sie zum Tragen kommt, bei mir ist es nach 30 Tagen Arbeitsunfähigkeit. Als ich in meiner zweiten Schwangerschaft zwei Monate lang liegen musste, war so beispielsweise der zweite Monat durch die Versicherung gedeckt.
  4. Ich habe mich ausführlich informiert, was ich unternehmen muss für eine gute Altersvorsorge. Die Beiträge an die AHV sind sowieso Pflicht. Zudem habe ich mich einer Pensionskasse für Freelancer:innen angeschlossen, um auch in die zweite Säule einzahlen zu können. Und auch an die Säule 3a entrichte ich Gelder – und bin dank meiner persönlichen Vorsorgelösung gleichzeitig gegen Invalidität und Todesfall versichert.
  5. Ich habe einen wichtigen Unterstützer an meiner Seite: meinen Mann. Ein Problem von vielen selbständigen Eltern ist nämlich: Wenn ein Kind krank ist, werden automatisch sie als Betreuungsperson auserkoren. Sie können sich die Zeit ja freier einteilen, heisst es gern. Schon richtig. Aber ein angestelltes Elternteil hat im Krankheitsfall Anrecht auf drei bezahlte Betreuungstage, Selbständige hingegen verzeichnen einen Verdienstausfall. Und auch wenn ich mir die Zeit frei einteilen kann: Produktiv und konzentriert bin ich abends um neun nicht mehr wirklich. Also war es wichtig, dass mein Mann bei seinen Arbeitgebern jeweils verdeutlichte, dass er als Vater auch daheimbleiben darf, wenn Kinder krank sind. Manche Vorgesetzte kannten diese Regelung gar nicht, vielleicht hatte zuvor noch kein Mann davon Gebrauch gemacht.

All diese Massnahmen helfen mir massiv dabei, mehr Nein zu sagen.

Mir ist aber bewusst, dass viele Selbständige mit gravierenderen finanziellen Sorgen kämpfen als ich. Besonders am Anfang.

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Ein Pult, ein PC – viel mehr brauche ich nicht. Manche Selbständige aber müssen erst mal grössere Anschaffungen machen – und brauchen Geld dafür.

Selbständigkeit muss man sich erst mal leisten können – stimmt das?

Ja, dieser Schritt kann finanziell herausfordernd sein. Aber es gibt Unterstützungsmöglichkeiten:

Die Wege in die Selbständigkeit sind sicherlich teilweise holprig.

Aber ich finde, es lohnt sich. Der Entwicklungsprozess ist zugleich anspruchsvoll und supertoll.

Grad kürzlich hab ich wieder was gelernt: Eine Freundin verriet mir, wie sie es jeweils schafft, sich selbst trotz langer To-do-Liste etwas Fürsorge zu geben. Auf ein Post-it schreibt sie drei Dinge, die sie an diesem Arbeitstag unbedingt erledigen muss – und eines davon ist etwas für sich selber, und wenn es noch so klein sein mag.

Auch das versuche ich jetzt einzubauen. Weil es sich besser anfühlt am Ende des Tages, wenn ich zwar nicht die gesamte, unrealistische To-do-Liste abhaken konnte, aber immerhin mir etwas zuliebe tat.

Werde ich wieder reinrasseln, mich übernehmen? Die Selbständigkeit verfluchen? Sicher.

Wäre mein Alltag ausbalancierter mit einer Festanstellung? Vermutlich.

Will ich die Selbständigkeit aufgeben? NON!

Porträtfoto von Anja Knabenhans - Chefredaktorin mal ehrlich AG

Autorin

Anja Knabenhans ist die Content-Chefin von mal ehrlich. Sie war viele Jahre Journalistin bei der NZZ und NZZ am Sonntag – als Schreibende oder Tätschmeisterin, manchmal auch vor der Kamera oder hinter dem Podcast-Mikrofon. 2017 stieg sie bei Any Working Mom ein. Neben ihrer Tätigkeit bei mal ehrlich macht sie ihr eigenes Ding mit ding ding ding. Während sie beruflich ihre Freude am Tüpflischiss auslebt, zelebriert sie daheim das familiäre Chaos. Sie ist Mutter von zwei Kindern im Schulalter.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 26. Oktober 2022 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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