So funktioniert Vereinbarkeit – 5 Tipps
Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Davon sind wir als Gesellschaft noch weit entfernt. Aber diese fünf Strategien helfen Andrea dabei, nicht komplett die Balance zu verlieren.
Ha! Reingefallen.
Selbstverständlich war das übelstes Clickbaiting und ich habe selber keine Ahnung, wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie leicht fallen soll. Für uns alle ist es ein täglicher Spagat, der manchmal gut funktioniert, und regelmässig mit einem emotionalen Bänderriss endet.
Damit Vereinbarkeit wirklich etwas einfacher würde, muss sich noch vieles ändern.
Eine anständige Elternzeit muss her, damit mit dem traditionellen Rollenbild gebrochen werden kann und die Hauptlast des Familienmanagements nicht weiterhin hauptsächlich von der Frau getragen wird, sonder sie auf Wunsch früher und vor allem mit gutem Gewissen wieder arbeiten kann.
Gute, qualifizierte Betreuung muss bezahlbar sein und sich lohnen. Und vor allem muss sich in den Köpfen etwas ändern. Care Work muss als das angesehen werden, was sie ist: Arbeit, und zwar keine Arbeit, die man nebenher erledigt, sondern als Vollzeitjob.
Aber das nur ein paar Beispiele.
Ja, wir sind also noch weit davon entfernt, dass Vereinbarkeit «leicht» wird.
Weit davon entfernt, dass die berühmte (und verhasste) Frage nach dem «alles unter einen Hut bringen» ehrlich mit Ja beantwortet werden kann. Aber.
Aber in den letzten fünf Jahren habe ich doch so einige Lehren für mich gezogen, die mir helfen, nicht jeden Tag aufs neue die Balance zu verlieren. Und die verrate ich euch gerne:
#1 Den Schalter komplett umlegen
Eine der grössten Herausforderungen: die sekundenschnelle Transformation vom Arbeitsmodus in den Daheim-Modus. Das arbeitende Ich will effizient, schnell, präzis sein. Als Mutter möchte ich geduldig sein, muss Fehler zulassen und mich von jeglicher Effizienz komplett – komplett, denn es dauert auch mal gut 20 Minuten, eine Socke anzuziehen! – verabschieden.
Diesen Schalter im Kopf umzulegen, ist nicht einfach. Vor allem dann, wenn «nur noch schnell ein Mail» zu machen wäre. Oder ein dringendes Telefonat, während dem die Kinder selbstverständlich ruhig zu sein haben.
Die riechen solche Situationen aber wie Hyänen ihre Beute und stürzen sich mit Geheul darauf, um sich die verdiente, aber nicht erhaltene Aufmerksamkeit einzufordern. Notfalls auch mitten in einer Livesendung:
Es hat bei mir drei Kinder gebraucht, aber mittlerweile wird der Schalter mit dem Fuss auf der Türschwelle komplett um- und das Handy zur Seite gelegt. Bin ich zu Hause, dann bin ich zu Hause. Und im Notfall beginnt die zweite Arbeitsschicht dann halt um neun Uhr abends.
Die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist, hat mich ruhiger und präsenter gemacht. Sowohl im Job wie auch zu Hause.
#2 Outsourcen
Wer kann all die Dinge erledigen, für die ich keine Zeit habe? Oder Zeit haben will? Viele alltägliche Dinge lassen sich outsourcen.
Einkaufen? Heimlieferdienst.
Putzen? Putzhilfe.
Essen? Einmal pro Woche kommt bei uns der Pizzakurier und das ist okay so.
Daneben gibt es auch für Organisatorisches oder Büroarbeiten Hilfe: Virtuelle Assistenten erledigen von kleineren Fleissarbeiten bis hin zur PowerPoint-Präsentation alles mögliche. Meine Steuererklärung macht schon lange jemand, der das total spannend (!) findet. Und im World Wide Web findet sich dank Twitter oder Fiverr immer sehr schnell jemand, der es besser kann als ich.
Und, das sei hier extra noch vermerkt: Wer outsourced, soll das nicht auf Kosten anderer tun, sondern die gewonnene Zeit entsprechend vergüten.
#3 Whatever works: Sich vom eigenen Perfektionismus verabschieden
Fällt mir nach wie vor unglaublich schwer, aber man muss sich damit abfinden, dass einfach nicht genügend Zeit für alles bleibt und Prioritäten auch als solche wahrgenommen werden müssen.
Nein, meine Kinder haben keine Kyaraben-Znüniböxli, die wie Kunstwerke aussehen. Und um ehrlich zu sein, der Sohn hat momentan genau noch ein paar Jeans ohne Löcher (weder er noch ich sehen allerdings den Sinn, diese zu stopfen. Weil die nächsten Löcher ja sowieso gleich wieder da sind.) Wir kochen weder zuckerfrei noch supergesund, sondern halt einfach so, dass es nicht jeden Abend Tränen gibt. Findet sogar Jesper Juul okay.
Auch was mich selber betrifft, muss ich mich von alten Idealen und jeglicher Form von Perfektionismus verabschieden. Nein, es bleibt keine Zeit für eine frische Pediküre alle zwei Wochen. Der Mombod ist, wie er ist, und auch das ist gut so. Und Trockenshampoo finde ich IMMER noch eine ganz wunderbare Erfindung. Whatever works.
#4 Mut zur Ehrlichkeit und Hilfe annehmen
Ein alter Hut? Tausend Mal gehört? Klar, aber trotzdem ist es unglaublich schwierig, die Hilfe auch aktiv einzufordern. Gemeint ist damit auch nicht per se Hilfe in der Kinderbetreuung (Au-Pair, Babysitter, Grosseltern), sondern Hilfe, mit den immer wieder neuen Veränderungen als Familie klarzukommen.
Wer so tut, als hätte sie oder er alles im Griff, tut sich selber keinen Gefallen. Und fühlt sich auch oft alleine. Die Chance, dass bei den besten Freund:innen, den Nachbar:innen (und mir selber, ja!) auch nicht alles glatt läuft, ist gross. Deshalb: Sharing is caring. Oder getreu dem Claim unserer Plattform: Seien wir mal ehrlich.
Auch für die Beziehung ist der Familienalltag Zyanid. Nicht wenige Paare suchen Hilfe bei Paartherapeut:innen. Was sich vielleicht im ersten Moment als Niederlage anfühlt («WIR brauchen doch sowas nicht!»), kann eine riesige Chance für die Beziehung bedeuten. Denn wer sich in einem ruhigen Rahmen auf Augenhöhe begegnen kann, ohne, dass nebenbei Kinder betreut werden müssen oder ein anstrengender Tag zu Ende geht, lernt plötzlich ganz neu zu kommunizieren.
Wie so etwas ablaufen kann, haben wir in unserer Podcastfolge Nörgeln ist ein Liebesbeweis! besprochen.
#5 Man kann nicht alles haben – oder zumindest nicht gleichzeitig
Die Erkenntnis streift alle neuen Mütter irgendwann. Wir hatten es uns ALLE ein wenig einfacher vorgestellt. Dachten, es wäre eine Frage der Organisation. Bis wir gemerkt haben, dass da auch noch andere Faktoren hineinspielen.
Ein System zum Beispiel, das nach wie vor von einer allzeit verfügbaren Stay-at-Home-Mom ausgeht. Unsere Emotionen, die unseren Plänen plötzlich einen Strich durch die Rechnung machen, weil sich unser ganzes Wertesystem verschoben hat. Und die Zeit, die plötzlich davon rennt, und schlicht keinen Platz für alles lässt, was man gerne machen würde oder sollte.
Ein Konzept spricht von der Four Burners Theory – die Theorie, dass wir nicht überall gleichzeitig Vollgas geben können, sondern eine Herdplatte halt eine Zeit lang kalt bleibt. Bei den vier Herdplatten Familie, Beruf, Freunde und Gesundheit köcheln entweder alle auf niedriger Stufe, oder zwei werden stärker beheizt.
Wer auf allen Platten gleichzeitig Gas geben will, brennt irgendwann aus.
Die einzige Lösung für den Moment heisst deshalb leider: Akzeptanz.
Und für die Zukunft: Ein Wandel der Werte in unserer Gesellschaft, und daraus folgend auch des Systems. Womit wir dann aber wieder beim Anfang dieses Textes wären.
Und ehrlich gesagt leider auch an dem Punkt, an dem die Mütter vor zehn Jahren schon waren.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 15. März 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
1x pro Woche persönlich und kompakt im mal ehrlich Mail.