Dauerstress vor den Sommerferien: Spinnen wir?
In den letzten Wochen eines Schuljahres sind viele Eltern überlastet wegen Abschiedsgeschenken, Veranstaltungen und Co. Eine Mutter erzählt vom absurden Organisationsmarathon.
Pling, pling, pling, macht mein Telefon – eine Sprachnachricht nach der anderen trudelt ein, von einer erschöpften Bekannten. Was sie schildert, fühlen viele. Du auch?
Sie erzählt:
«Ich drehe bald durch, packe meine Sachen und nehme den nächsten Zug nach Irgendwo! Heute hat mich meine Fünfjährige gefragt, wie lang es noch geht bis zu den Sommerferien.
Wir haben die Tage gezählt und ich musste weinen. Es geht noch fünf Wochen und ich habe keine Ahnung, wie ich die überstehen soll!
Als mein Mann und ich überlegten, ob wir das Leben mit drei Kindern schaffen, dachten wir an Windelberge und Magen-Darm-Attacken, an ruhelose Nächte und schimmliges Teenagerchaos. Aber:
Seit dem Wochenbett hat mich nichts mehr so fertig gemacht, wie es diese Wochen vor den Sommerferien tun.
Drei schulpflichtige Kinder haben, eine Tochter im Kindergarten und zwei Jungs in der ersten und dritten Klasse, das bedeutet: Ein Elternteil muss eigentlich vor den Sommerferien nur noch Management-Aufgaben übernehmen.
Denn immer macht es pling, pling, pling, in unseren Köpfen und Smartphones.
«Sie haben 1000 neue Nachrichten.»
Wer hat wann Abschlussfest? Theatervorführung? Kennenlerntag mit der neuen Klasse?
Wo muss man noch an einem Geschenk für eine Lehrperson mitdenken? Wo mithelfen? Wem Geld twinten?
Haben die Kinder Hobbys oder Gspänli, wird es noch komplizierter.
Es braucht noch eine Extra-Verkleidung für die Pfadi-Abschlussübung! Einen Proviant-Rucksack für den Ausflug des Bike-Klubs! Alte Plüschtiere für den Flohmarkt des Unihockey-Teams! Und Ideen für neue Trikot-Sujets!
Ja, klar, lasst uns doch für alles einen eigenen Eltern-Chat eröffnen. Ich habe erst 753 offene Chats.
Ah, ihr habt nicht alle Whatsapp? Gut, dann organisieren wir die Plüschtiere auf Signal, das Geschenk bei Threema und, äh, Moment… ich bekomme soeben eine Nachricht via Klapp.
Aaaah, so toll! Die Kindergartenlehrerin schreibt, sie brauche noch einige Bastelhelferinnen fürs Abschlusstheater – ja, sie schreibt nur Frauen an.
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Wobei, da fällt mir grad ein: Die Schule will ja jetzt von Klapp auf ein anderes Messenger-System wechseln, am liebsten vor den Sommerferien, damit es nachher reibungslos funktioniert.
Wo war nochmals der Flyer für dieses neue Kommunikationsprogramm? Auf dem Stapel mit den Verkleidungs-Ideen für die Pfadiübung? Unter dem Formular des Bike-Klubs, wo ich noch bestätigen muss, dass der Zehnjährige nach dem Ausflug allein heimfahren darf? Oder hab ich das schon gemacht?
Hilfe, wo ist das Formular?!
Oder habe ich aus Versehen das Bike-Klub-Formular dem Siebenjährigen mitgegeben, der noch eine Bestätigung brauchte fürs Schwimmen im nächsten Schuljahr, inklusive detaillierter Auflistung aller bisherigen Schwimmerfahrung?
Ich drehe durch! Und das vor jeden Sommerferien!
Täglich tauche ich ein in ein Meer aus Messages, Formularen, Zetteln. Meine Kinder gehen nicht in Sommerferien-Kurse, das ist, wie ich höre, nochmals ein krasser Organisationsaufwand.
Früher dachte ich: Je schneller ich alles abarbeite, desto eher bin ich fertig.
Ha, Irrtum!
Vor Jahren war ich die Mutter, die als Erste ans Abschiedsgeschenk der Lehrperson dachte.
Aber ich habe gelernt, dass man schon zuerst etwas anreissen kann, aber dann auch sofort und unwiederbringlich hauptverantwortlich ist.
Die Fäden laufen dann bei dir zusammen. Und alle 1000 Messages auch. Meist noch ein paar mehr. Für all die Leute, die etwas ganz Wichtiges sagen möchten, aber nicht im offiziellen Chat. Mit denen hast du noch einen exklusiven Chat. Toll.
Andere Eltern flüstern dir eine Entschuldigung zu, wenn sie dich mit dem Kram allein lassen und einfach ein paar Franken twinten.
Du bist wütend, aber dann siehst du in ihre müden Augen und weisst: Sie können auch längst nicht mehr.
Sie haben seit vielen Tagen auch bis spätnachts irgendwelche Termine koordiniert, Chatnachrichten geschrieben und sind durch die Formular-Wogen gekrault.
Wir alle können nicht mehr! Die Sommerferien sind nah und unser Kollaps auch.
Aber, stopp. Weisst du was?
Ich lüge ein bisschen. Oder auch sehr.
Nein, nicht mit dem Stress, der ist real. Aber ich rede oft von Eltern. Doch wenn ich ehrlich bin…
Eigentlich sind es zu 99 Prozent Mütter, die all diese Dinge tun. Oder Bonusmütter, Stiefmütter. Weibliche Betreuungspersonen.
Auch in meiner Beziehung bin ich Chefin vom Prä-Sommerferien-Endspurt. Obwohl wir im Alltag recht gleichberechtigt unterwegs sind: Vor den Sommerferien schmeisse ich den Laden und übernehme alle zusätzlichen Tasks.
Kürzlich habe ich auf Instagram einen Aufruf an Väter gesehen. Sie sollten sich bitte auch in all die Chats integrieren, wo Mütter gerade die Abschiedsgeschenke für Lehrpersonen organisieren.
Ich fand das unglaublich wichtig. Und merke aber, dass mir grad so fest die Energie fehlt, um mich auf diese Beziehungsdiskussion einzulassen.
Ich habe das früher gemacht und von meinem Partner zur Antwort erhalten, all die Geschenke und Abschlussfeste und Kuchen zur Theatervorführung seien schlicht unnötig und er würde diese spinnerten Rituale aus einer früheren Zeit nicht mitmachen.
Spinnen wir? Ja, vielleicht schon.
Weil dieser Dauerstress vor den Sommerferien ist total absurd und ich habe das Gefühl, wir alle möchten am liebsten hinschmeissen.
Wollen Lehrpersonen wirklich gebastelte Geschenke? Oder den dreissigsten Gutschein fürs Thermalbad?
Braucht wirklich jede Klasse ein Theater zur selben Zeit, könnte sowas nicht gestaffelt während des Schuljahrs gemacht werden?
Und müssen tatsächlich Kuchen gebacken werden für diese Anlässe, reichen nicht ein paar Chipstüten?
Vielleicht sollten wir all diese absurden Aufgaben nicht gerechter aufteilen. Sondern mit einem beherzten Jauchzer komplett streichen.
Spinne ich, wenn ich mir ernsthaft überlege, einfach aus diesem irren Spiel auszusteigen?
Was denkst du?»
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Veröffentlicht am 15. Juni 2024
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