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TV-Zombies: Über den Umgang mit Kindern und Fernsehen

Die Kinder lieben Fernsehen, die Eltern hingegen haben dabei oft ein schlechtes Gewissen. Ausser in Portugal: Dort gehört TV zum Alltag. Und vielleicht ist das gar nicht so schlimm.

Kinder lieben es, fernzusehen. Und das ist gar nicht so schlimm.

«Es ist eine tolle Schule, aber etwas musst du wissen: Die grösseren Kinder sehen am Mittag fern, damit die kleineren in Ruhe schlafen können.» Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte darüber, was mir unser Nachbar erzählte. Über die Schule, die wir für unsere Kinder ins Auge gefasst hatten.

Fernsehen in einer Privatschule? Hier in Portugal nicht ungewöhnlich, in der Schweiz wohl undenkbar. Und für mich ganz und gar. 

Ein Leben ohne Fernseher

Ich war ein Bücherkind. Natürlich schaute ich auch fern. Das «Guetnachtgschichtli» zum Beispiel, und später entdeckte ich, dass am Sonntag schon frühmorgens Zeichentrickfilme liefen, dann, wenn alle noch schliefen.

Als Teenie schaute hin und wieder eine Serie, aber so richtig angefixt hat mich Fernsehen nie. Ich zog Bücher vor und schaltete den Fernseher manchmal wochenlang nicht ein.

TV spielte in meinem Leben keine Rolle.

Das änderte sich, als ich meinen Mann kennenlernte. Und mit ihm einen ganz neuen Umgang mit der Flimmerkiste. Ich erinnere mich daran, wie ich bei einem meiner ersten Besuche bei seinen Eltern in Lissabon in der engen Küche sass.

Wir waren alle am Tisch versammelt zum Essen und der Fernseher lief. Nur stand er in meinem Rücken und ich sah somit nichts als die Gesichter, die gebannt die Nachrichten verfolgten.

Das war überhaupt nicht unhöflich oder böse gemeint.

So ist es in Portugal einfach. Ständig läuft der Fernseher.

Das hat mich nicht gestört, ich fand es viel mehr amüsant. Bis unsere Kinder so gross waren, dass sie Fernsehen so ziemlich das Allertollste auf der Welt fanden, und wann immer wir in Portugal waren, ihre Screentime massiv zunahm. Auch nicht weiter schlimm, sind ja Ferien, sagte ich mir. 

Und dann sind wir vor einigen Monaten nach Portugal gezogen. Und das Fernsehthema hat sich bei uns als Dauermieter eingenistet.

Trigger TV

Ich habe nichts dagegen, wenn meine Kinder gelegentlich fernsehen. Aber ich merke, wie sehr es mich triggert, wenn es – meiner Meinung nach – zu viel wird. Ich kann das rational kaum erklären, aber ich habe wahnsinnige Angst davor, dass meine Kinder lethargische Zombies mit viereckigen Augen werden, die dümmlich grinsend irgendwelche TV-Helden zitieren, die ich schon längst nicht mehr kenne.

Mein Mann beschwichtigt mich jeweils: «Mach dir keine Sorgen, ich habe als Kind auch viel ferngesehen und bin doch super rausgekommen.» Hat er natürlich recht.

Der Fernseher ist in Portugal omnipräsent. Unser Sohn hat sich bereits so sehr daran gewöhnt, dass er neulich in einem TV-freien Restaurant fragte: «Äh, wo ist denn hier der Fernseher?»

Warum läuft der Fernseher ständig?

Bei den Schwiegereltern läuft der Fernseher – oder besser gesagt zwei, einer in der Küche, einer im Wohnzimmer – fast immer. Sogar unser Sohn wunderte sich irgendwann einmal: «Warum ist der Fernseher eingeschaltet, obwohl gar niemand schaut?» Ich zuckte mit den Schultern. Ich verstehe es auch nicht, mein Kind! 

Einmal waren wir auf einem Geburtstagsfest und ich suchte nach einem ruhigen Plätzchen, damit ich mit den Kindern eine Runde Uno spielen konnte. Die Gastgeberin sah uns auf dem Weg ins Wohnzimmer und griff sofort zur Fernbedienung.

«Was möchtet ihr denn schauen?», fragte sie. Als ich mit «gar nichts, wir wollen Karten spielen» antwortete, schaute mich ein grosses Augenpaar erstaunt, und zwei kleinere, na ja, sagen wir, nicht ganz glücklich, an. 

Mein Schwiegervater schickt mir gerne Fotos von den Kindern, wie sie – herzig aneinander geschmiegt, das schon – vor dem Fernseher sitzen, wenn sie bei ihnen zu Besuch sind. Ich habe mich daran gewöhnt und zugegebenermassen auch etwas resigniert.

Lernen mit der Flimmerkiste

Vor einer Weile sassen wir in einem Restaurant – der Fernseher war selbstredend an – und in den Nachrichten wurden über die Präsidentschaftswahlen in Frankreich berichtet. Mein Mann und ich redeten kurz darüber, als unser vierjähriger Sohn sagte: «Ich weiss, was Wahlen sind. Bei Wahlen wird der Chef eines Ortes gewählt. Wie der Herr Besserwisser bei Paw Patrol. Der wurde gewählt und war dann Bürgermeister.»

Ich staunte und mein Mann schaute mich triumphierend an. Und ich wusste, was er dachte:

Gsehsch, gar nicht so schlimm, dieses Fernsehen.

Und natürlich hat er wieder recht. Es macht die Kinder nicht kaputt und im besten Fall lernen sie sogar etwas dabei.

Und ich auch: Mich diesbezüglich lockerer zu machen, nicht alles so streng und eng zu sehen. Grosszügiger mit den Kindern und mit mir sein und die Zeit, welche die Kinder gebannt – und still! – vor dem Fernseher verbringen, zu geniessen. Einen Kaffee zu trinken, einen Powernap zu machen, auf dem Handy durch Social-Media-Feeds zu scrollen. Oder – was auch sehr sinnvoll wäre – mir für einmal über meine eigene Screentime Gedanken zu machen. 

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Autorin

Michelle ist freie Journalistin, Textcoach, Yogini, Mutter von zwei Kindern und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Seit sie mit ihrer Familie an der Atlantikküste Portugals wohnt, ist der Blick aufs Meer ihre liebste Meditation. www.michelledeoliveira.com

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 14. September 2022 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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2 Antworten

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  1. Avatar von Nemo
    Nemo

    Spannender Beitrag!
    Ich denke das rundherum trägt doch auch immer viel bei. TV ist bei uns auch immer ein Thema, vA mit meinem 4-Jährigen.
    Der TV läuft nicht ständig aber es gab Zeiten wo er viel geschaut hat und es dann auch schwierig wurde auszuschalten ohne Wutausbrüche. Wir haben nun einen Wochenplan und da hat er 7 TV-Einheiten (1 Einheit = 1 Folge) die er sich einteilen kann wie er möchte. Wenn er halt an einem Tag mehrere schauen will, hat er dann für gewisse Tage halt keine TV-Zeit mehr. Das klappt echt super, so kann er auch einordnen wie viel er noch übrig hat. 🙂

    Wir sind aber auch viel draussen im Wald oder sonst unterwegs und entdecken die Welt und treffen andere Kinder. Bücher haben wir auch viele und die schauen wir auch zusammen an oder es wird vorgelesen, je nach Buch. Und der Teil überwiegt dem TV deutlich. Daher darf er an einem sehr regnerischen Tag auch mal etwas länger schauen ohne, dass er TV-Einheiten opfern muss. 🙂 Hab mir da zu Beginn echt viele Gedanken drüber gemacht und hatte auch ein schlechtes Gewissen als er als sein kleiner Bruder noch Baby war etwas viel TV geschaut hat, mittlerweile seh ichs gelassener und bin der Meinung – geschadet hats ihm nicht.

    Btw. er hat letztens die Kasperli Folge “De Mänggeli hat Glotzitis” gehört und hat mich dann am SA nach einer etwas längeren TV-Phase gefragt ob er jetzt auch viereckige Augen hat und wollte den TV ausschalten… 😉 So Gschichtli machen dann ja doch irgendwie eindruck.

  2. Avatar von Tania
    Tania

    Danke, das war ein interessanter und lustiger Text. Bei meiner Schwiegerfamilie geht es ähnlich: TV, Trickfilme, Videogames laufen konstant. Ich persönlich kann da aber weniger gelassen umgehen als du 😉
    Ich habe gesehen, wie der Cousin meines Sohnes schon als Baby für Stunden fast Tage Trickfilme guckte. Es war halt billiger als eine Kita. Er geht kaum raus und spricht mit fünf Jahren noch wie ein 2-jähriger. Anderen Kinder der Familie geht es ähnlich. Es kommt natürlich alles auf das Mass an. Ich denke, dass konstanter TV-Konsum vor allem kombiniert mit wenig oder gar keinen Aktivitäten ausser Hauses für die Entwicklung eines Kindes schädlich ist. Ich treffe die Familie wenig und getraue mir deshalb nicht wirklich etwas zu sagen aus Angst, dass dies als Kritik und Besserwisserei rüberkommt.