Vereinbarkeit? Schön wär’s!
Carla hat ihren Job aufgegeben und ist jetzt 100 Prozent für ihre Kinder da. Ob sie das für eine gute Entscheidung hält? Absolut. Und wie sie sich dabei fühlt? Miserabel.
Ab sofort bin ich eine 100-Prozent-Mutter. Eine Hausfrau. Voll und ganz für die Kinder da. Und ich fühle mich dabei wie eine Versagerin.
Nicht, weil Muttersein nicht anspruchsvoll oder erfüllend genug wäre. Ganz im Gegenteil. Und: Es wird mir gut tun. Den Kindern sowieso. Es ist ein Privileg, Zeit zu haben, sich um die Kinder zu kümmern. Und dafür bin ich dankbar. Denn natürlich stehen meine Kinder an erster Stelle.
Aber: Ich hatte keine Wahl.
Was mich schmerzt ist die Tatsache, dass ich keine andere Wahl hatte. Ich habe mich nicht dazu entschieden, zu Hause zu bleiben. Die Lebensumstände haben mich dazu gezwungen. Ich musste mir eingestehen, dass ich es nicht schaffen kann, Job und Familie unter einen Hut zu bringen.
Deswegen stehe ich jetzt hier, mit meiner Kündigungsbestätigung in der Hand, und empfinde Ohnmacht, Scham. Ich habe es bereits einigen meiner Verwandten und Freunde am Telefon erzählt. Immer wieder sagte ich den Satz: «Ich werde aufhören zu arbeiten». Und immer wieder schossen mir dabei die Tränen in die Augen. Doch diese Tränen bleiben unbemerkt.
Das wird bestimmt schön mit den Kindern.
Sätze wie «Das wird bestimmt schön mit den Kindern» oder «Das ist grossartig, dass du für deine Kinder auf deinen Job verzichtest» helfen mir dabei nicht. Im Gegenteil. Solche Aussagen machen mich wütend! Woher wollt ihr wissen, wie sich meine Kinder fühlen? Auch wenn sie sich freuen, dass ich zu Hause bleibe, so lieben sie auch ihre Grosseltern, Gottis und Göttis – und sie finden es imfall überhaupt nicht lässig, aus der KiTa und dem Hort genommen zu werden.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Ich war nicht die Mutter, die ich sein wollte.
Ich bin Sozialpädagogin. Mein Mann ist Koch. Wir beide haben also unregelmässige Arbeitszeiten, was das Zeitmanagement mit Kindern stark erschwert. Vereinbarkeit ist bereits bei Nine-to-Five-Jobs keine einfache Sache. Bei Früh-, Spät- und Nachtschichten fast nicht mehr machbar.
Die Folge: Ich genügte nicht mehr. Auf der Arbeit war ich immer wieder auf Nadeln. Regelmässig musste ich überstürzt gehen, weil mein Mann länger arbeiten musste und er deshalb die Kinder nicht aus der KiTa holen konnte, weil ein Kind krank wurde oder weil werweisswasnochalles passiert ist. Gerade neulich fiel mein Kind auf den Kopf und zog sich eine Gehirnerschütterung zu. Eine liebe Arbeitskollegin sprang ein, damit ich nach Hause eilen und mich um meinen Sohn kümmern konnte.
Ich war nicht die Mutter, die ich sein wollte. Ich war nicht die Sozialpädagogin, die ich hätte sein können. Ich war nicht die Ehefrau, Tochter, Schwester oder Freundin, die ich gerne gewesen wäre. Viel zu viel Raum hat die permanente Organisation meines Familienlebens eingenommen. Viel zu oft rief ich meine Bekannten nur aus dem Grund an, sie zu bitten, meine Kinder zu betreuen. Und viel zu stark kämpfte ich mit meinem schlechten Gewissen, weil ich keine Aufgabe mehr voll und ganz erfüllen konnte.
Ich wurde niemandem mehr gerecht. Am allerwenigsten mir selbst.
Es ist normal, dass man als Mutter Augenringe hat.
Ich war übermüdet. So sehr, dass ich keine Energie mehr für das Abendessen mit den Kindern oder für Sitzungen im Büro hatte. Bei der Arbeit konnte man sich nicht mehr voll und ganz auf mich verlassen. Bei der KiTa und im Hort war man inzwischen sauer, weil ich die Kinder des Öfteren zu spät abholte. Und mitten in diesem Trubel fühlte ich mich furchtbar einsam.
Es ist eine Einsamkeit, die in der Gesellschaft nicht wahrgenommen wird. Der überarbeitete Mann, der im Haushalt «mithilft», wird gerne gesehen. Die Frau, die auf dem Zahnfleisch geht, jedoch nicht. Es ist schliesslich normal, dass man als Mutter Augenringe hat.
Und mittlerweile sind auch die letzten Versuche gescheitert, das Familien- und Berufsleben unter einen Hut zu kriegen: Mein Mann ist zum Küchenchef befördert worden! Das ist grossartig und freut mich für ihn – doch es bedeutet auch, dass sein Job noch anspruchsvoller und unflexibler geworden ist als sowieso schon.
Ich habe den Kürzeren gezogen.
Wir haben lange diskutiert.
Das gleichberechtigte Familienmodell würde uns gefallen, doch es ist in unserem Fall nicht umsetzbar. Vereinbarkeit adé! Und trotz aller Diskussionen ist mein Mann auch nicht mehr bereit, zeitlich festgelegt Verantwortung für unsere Kinder zu übernehmen. Diese Ansage kam zwei Wochen vor seinem Stellenantritt. Ich hatte keine Zeit mehr, nach Alternativen zu suchen. Ich muss mich nun geschlagen geben. Mein Mann hat mich in dieser Situation allein gelassen und mir jede Möglichkeit genommen, eine Lösung zu finden.
Ich habe keine Wahl. Ich finde es unfair und fühle mich manipuliert. Und ich habe keine Kraft, für ein gerechteres System zu kämpfen.
Und jetzt.
Meine Kinder brauchen Zuverlässigkeit und Kontinuität. Das kann ich ihnen jetzt bieten. Damit bin ich im Moment zufrieden, ich genüge wieder. Meine Kinder sind dankbar, dass ich zu Hause bin. Es sei so viel gemütlicher, sagen sie. Das wärmt mein Herz und bestätigt mir, dass die Entscheidung richtig war.
Ich hätte sie nur gerne selbst getroffen.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 6. März 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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