Vier Fehlgeburten in zwei Jahren – ein Erfahrungsbericht
Der Wunsch nach einem zweiten Kind war gross. Doch die Natur entschied anders: Vier Schwangerschaften endeten innerhalb von zwei Jahren mit Fehlgeburten. Ein Erfahrungsbericht.
Ja, das ist mir passiert.
Fehlgeburten sind ein sehr heikles und persönliches Thema. Wobei: heikel – warum eigentlich? Wird einem das von der Gesellschaft eingeredet? Ist es ein Tabuthema, weil kaum jemand öffentlich darüber spricht? Weil man sich schämt? Weil eine Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen unter dem Deckel gehalten wird aufgrund der Risiken?
Sollte man vielleicht nicht genau deshalb früh darüber sprechen? Öffentlich, ohne Scham, und ohne Zögern? Deshalb tue ich es hier.
Wir sind noch nicht komplett.
Mein Sohn ist jetzt vier Jahre alt. Schon seit über zwei Jahren ist der Wunsch da, ein Geschwisterchen für ihn zu bekommen. Da schlummert ein Gefühl in mir, noch nicht komplett zu sein. Mein Mann sieht das genauso. Es hat noch Platz in unseren Herzen, in unserer Familie und in unserem Haus.
Im Juni 2017 wurde ich zum zweiten Mal schwanger. Die Freude war gross! Es war der absolut richtige Zeitpunkt: Der Hausumbau war in vollem Gange, der Umzugstermin geplant. Auch der Altersabstand zum ersten Kind schien ideal. Es war einfach perfekt und stimmig für uns!
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Einige Tage nach der freudigen Nachricht: die Ernüchterung.
Ich hatte Blutungen, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Eine Fehlgeburt.
Es wäre ein vollbepackter Arbeitstag gewesen, mit unzähligen Sitzungen und Gesprächen. Komplett im Funktionsmodus fuhr ich zum Gynäkologen, nur, um nach meinem Abort weiterzuarbeiten. Ich tat, als sei nichts. Erst zu Hause folgte der Zusammenbruch. Die Natur hat es geregelt, sagte ich mir. Eine Fehlgeburt in der sechsten Schwangerschaftswoche. Da kann man nichts machen, nichts stoppen, nicht eingreifen. Man muss es hinnehmen und akzeptieren.
Und trotzdem, mir ging so viel durch den Kopf: «Warum? Wieso ich? Es wäre der perfekte Zeitpunkt! Ich bin langsam zu alt! Es muss doch jetzt einfach klappen. Es ist so gemein. Wieso klappts bei allen anderen?» Ich fühlte mich elend und total allein gelassen. Mein Mann war zwar auch traurig. Doch was ist ein Teststäbchen mit zwei Strichen in den Augen eines Mannes, der keine hormonelle Achterbahnfahrt kennt?
Der Kinderwunsch blieb.
Es folgte ein Kreislauf aus Hoffnung und Enttäuschung – Monat für Monat. Wir versuchten es immer wieder. Und immer wieder wurden unsere Hoffnungen zerschlagen. Alles hat sich nur noch um das eine Thema gedreht. Aus dem liebenden Ehepaar wurde eine Baby-Produzier-Maschine, die nicht funktionierte. Unser unermüdliches Versuchen entwickelte sich zum Stressfaktor.
Im Dezember 2017 geschah es dann doch: Ich hielt einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Was für ein zauberhaftes Weihnachtsgeschenk! Die Freude war riesig! Vielleicht war der Zeitpunkt jetzt noch besser, sagte ich mir, denn der ganze Umbau- und Umzugsstress war vorbei und wir waren angekommen. Einige Schwangerschaftssymptome machten sich rasch bemerkbar: Ich wurde müde, schlapp und träge. Ich war positiv gestimmt und machte mir (noch) keine Sorgen. Ich genoss das Schwangersein und zelebrierte es – und fieberte dem ersten Termin beim Frauenarzt entgegen.
Nicht intakt.
Die Schwangerschaft sei nicht intakt, meinte mein Gynäkologe. Verdacht auf eine Eileiterschwangerschaft. Die finale Diagnose stand noch aus, auch heute weiss ich nicht mehr, denn auch ein zweiter Ultraschall brachte keine Klärung, nur die Gewissheit: Die Fruchtblase war leer.
Medikamentöse Austreibung also. Ich schluckte Tabletten, die die Ausschwemmung der leeren Fruchthöhle veranlassen. Das kann wehenartige Krämpfe und Schmerzen verursachen, die ich gottseidank als nicht so heftig empfand. Trotzdem lag ich eine Stunde lang mit Bauchkrämpfen auf dem Sofa, bekam dann Blutungen und einige Stunden später sah ich, was aus meinem Körper hinausgespült wurde.
Mein zweieinhalbjähriger Sohn war bei mir. Er verstand nicht, was mit Mami los war – warum seine Mutter heulend auf dem Sofa lag. Stundenlang guckten wir «Feuerwehrmann Sam».
Nach all diesen körperlichen (und seelischen) Strapazen entschloss ich mich dazu, mir und meinem Körper etwas Gutes zu tun. Ich gönnte mir Vitamine, Vitalstoffe und Mineralien und zudem eine Entschlackungskur. Ich wollte fit, frisch und voller Elan in den Frühling – und somit in einen neuen Versuch starten. Mein Mann und ich beschlossen, uns eine dritte Chance zu geben.
Noch hatte die Angst keine Überhand gewonnen.
Mitte April 2018 dann eher überraschend wieder ein positiver Test. Wir freuten uns wahnsinnig. Doch dann kam sie, die Angst. So, dass ich mich nicht ehrlich freuen konnte und die Gedanken an die Schwangerschaft immer wieder verdrängte.
Der erste Ultraschall-Termin stand an. Diesmal wollte ich auf jeden Fall meinen Mann dabeihaben. Ein drittes Mal alleine mit gebrochenem Herzen aus dieser Arztpraxis – nein, auf gar keinen Fall! Die Nervosität stieg, wir konnten aber schnell den erlösenden, blinkenden Punkt auf dem Monitor sehen. Das Herzchen schlug!
Und dann doch: das «Aber». Der Entwicklungsstand des Fötus sei nicht so, wie er hätte sein sollen. Ich wurde knapp zwei Wochen nach hinten korrigiert. Ein Schlag in die Magengrube. Die Angst. Dass darf doch alles nicht wahr sein.
Der Arzt meinte, das komme häufig vor. Es sei noch kein Grund zur Sorge. Trotzdem liess mich ein komisches, negatives Gefühl nicht los. Mein Mann – ewiger Optimist – machte mir Mut. Wir fuhren übers Wochenende weg, lüfteten den Kopf.
Eine Woche später bekam ich Blutungen.
Erst nur leichte Schmierblutungen. Es war Sonntag und ich machte mir grosse Vorwürfe, weil ich am Tag zuvor gröbere Gartenarbeiten gemacht hatte. Natürlich googelte ich. Das müsse nichts bedeuten, hiess es. Es könne harmlos sein.
War es aber nicht. Und so kam ich tatsächlich das verfluchte dritte Mal als Häufchen Elend zur Praxis raus. Alleine, da Notfall.
Ich hatte mein Kind verloren.
Das Herzchen hatte aufgehört zu schlagen. In der neunten Schwangerschaftswoche. Einfach so. Es hiess, eine sofortige operative Auskratzung sei nötig. Also direkt wieder ins Spital.
Es folgte eine manuelle und wortlos durchgeführte Ausschabung ohne Betäubung. Die Ärztin meinte, eine Operation sei nicht nötig, «da kommt einem ja alles entgegen». Es war ein Eingriff mit Schmerzen ohne Ende, ich hatte Angst. Am Ende sass ich heulend im Behandlungsraum und wartete auf die Ärztin. Da kamen zwei Frauen des Reinigungspersonals herein. Anstelle eines Grüezi sagt die eine: «Was ist das für ein Schlachtfeld hier?»
Ich sagte nichts. Ich hatte gerade mein Kind verloren.
Auch wenn ich dieses Mal kein Gift in mich hineinpumpen musste: Die seelischen und psychischen Folgen dieser Fehlgeburt waren viel härter. Keine Empathie, keine Betreuung, keine Hilfestellung in psychischer Hinsicht. Nicht einmal ein paar freundliche oder verständnisvolle Worte vom Spitalpersonal. Nichts. Auf der anderen Seite dieser seelische Schmerz. Dieses Gefühl, alleine zu sein, versagt zu haben. Warum bin ich nicht in der Lage, ein zweites Kind auszutragen?
Was stimmt mit mir und meinem Körper nicht? Was mache ich falsch?
Warum ich? Warum schon zum dritten Mal? Es war ein unbeschreibliches Gefühl der Leere und Lähmung. Verzweiflung. Traurigkeit. Scham.
Es war meine Schwägerin, die mir endlich den entscheidenden Tipp gab. Eine Gesprächsgruppe. Quasi die anonymen Alkoholiker für Frauen mit Fehl- oder Totgeburten. Das kam exakt zum richtigen Zeitpunkt und war genau das, was ich brauchte! Austausch mit Frauen, die Ähnliches erlebt hatten! Loswerden. Loslassen. Verstanden werden.
Drei Monate später stand ich wieder auf, nahm mir einiges vor. Für mich stand fest, dass ich mein Blutbild analysieren lasse. Habe ich eine erhöhte Blutgerinnungsgefahr oder andere Mängel? Eine Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse? Es folgten Arztwechsel, Ultraschall-Untersuchungen, Gebärmutter-Spiegelung, Spermiogramm, Chranio-Sacral Therapie und Gespräche bei einer Psychologin, um nur einige Massnahmen zu nennen. Medizinisch konnte man nichts feststellen. Auf genetische Abklärungen haben wir bis heute verzichtet.
Keine Selbstverständlichkeit
Im November 2018 hielt ich den vierten positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Meine vierte Fehlgeburt war am Samichlaustag 2018. Wieder ein natürlicher Abgang. Unfassbar traurig und mit gebrochenem Herzen, enttäuscht und mit vielen Fragezeichen im Kopf, ging ich durch die wohl schwerste Zeit meines Lebens.
Es geht mir heute gut, meinem Mann auch. Wir vermissen trotzdem etwas – oder jemanden. Wenn ich Babybäuche sehe, gibt es mir einen Stich und tut weh. Manchmal muss ich etwas neidisch wegschauen. Wenn mich jemand fragt: «Wollt ihr denn kein Kind mehr?», reagiere ich empfindlich und genervt. Wir sind als Familie jedoch näher zusammengerückt und zu einem unschlagbaren Trio geworden.
Bis heute ist ein erneuter positiver Test leider ausgeblieben. Ich bin mittlerweile 40 Jahre alt und wahrscheinlich bleibt es bei einem Einzelkind. Ich finde mich allmählich damit ab. Was mir schmerzlich bewusst geworden ist: Es ist und bleibt ein Wunder der Natur, ein gesundes Kind bekommen zu dürfen. Es ist keine Selbstverständlichkeit.
Vielleicht ist und bleibt unser Sohn der Sechser im Lotto.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 19. Oktober 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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