Mein Körper, meine Geburt – der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung
Gastautorin Meera Drey hatte keine Angst vor der Geburt. Ohne Eingriffe, ohne Medikamente, selbstbestimmt. Sie fordert mehr Vertrauen in den eigenen Körper.
Ich schaue jede Frau mit Baby im Bauch ein bisschen neidvoll an, weil ich weiss, was für wundervolle Stunden sie vor sich hat, wenn sie sich auf das Wunder der Geburt einzulassen vermag. Manche – zum Beispiel Any Working Mom Andrea – würden mir schon für diesen einen Satz den Vogel zeigen, denn sie verbinden mit dem Geburtsvorgang vor allem viel Schmerz.
Zwei Mal schon durfte ich jedoch eine schöne, angstfreie Geburt erleben, 2012 und 2014. Beide Male an einem Ort, der mir Vertrauen und Geborgenheit gab: einem Geburtshaus. Eine Entscheidung, die wenige Frauen treffen, und viele auch nicht nachvollziehen können.
Vielleicht kann ich erklären.
Anmerkung von Any Working Mom: Wir hatten einige Rückmeldungen zu diesem Text. Manche Leser:innen empfinden ihn als zu abwertend in Bezug auf Spitäler, PDAs usw. Uns ist wichtig zu betonen: Jede Gebärende soll ihren eigenen Weg wählen und sich nicht rechtfertigen müssen. Dieser Text bildet die Meinung der Autorin ab – und wir sind dafür, dass Themen von verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und auch mal kontrovers diskutiert werden. Wenn ihr eure Meinung dazu äussern wollt, dürft ihr dies sehr gern in den Kommentaren tun.
Unser Körper weiss, was er tut
Mit meiner ersten Schwangerschaft kam der Wunsch nach einer nicht instrumentalisierten Geburt. Ich freute mich, dass die Geburtshäuser gerade auf die Spitalliste aufgenommen worden waren. Das Geburtshaus Zürcher Oberland war für mich der ideale Ort der Entspannung und des Vertrauens – in mich und in die Frauen, die seit Jahrzehnten viele, viele Kinder zur Welt bringen. In Familienzimmern, die sich wie ein Zuhause anfühlen. Übrigens für jeden, ich bin nämlich auch nur in kleinen Teilen Ökotante (beispielsweise dann, wenn ich wie dort feines Bioessen serviert bekomme) – Kumbaya ist nicht so meins.
Ich hatte keine Angst vor der Geburt. Der Gedanke an ein Spital, an eine PDA oder an einen Eingriff sind Dinge, die ich mit Angst verbinde. Ich weiss, da empfinden viele Frauen anders.
Natürlich hatte auch ich Schmerzen. Und ja, vielleicht ist man gerade bei der ersten Geburt nie gut genug darauf vorbereitet, was da wirklich mit einem geschehen wird. Doch in den meisten Fällen könn(t)en wir darauf vertrauen, dass unser Körper genau weiss, was er tut! Dass er genau dazu gemacht ist, und wir ihm eigentlich nur folgen müssen. Dass dies aber nur geschehen kann, wenn wir ihm und uns vertrauen.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Die Angst vor der Geburt
Was ich nicht nachvollziehen kann: Warum ist es so normal geworden, dass eine Geburt im Spital stattfindet? Warum werde ich selbst quasi für verrückt erklärt, wenn ich sage, dass ich meine beiden Geburten genossen habe und keinerlei medizinische Maßnahmen nötig waren (obwohl das zweite Kindchen 4,7 kg wog)?
Es scheint, als hätten viele Frauen ein Misstrauen ihrem eigenen Körper gegenüber. Die Geburt als furchteinflössende Unbekannte – die Ärzte «werden dann schon wissen», was der eigene Körper eigentlich tun soll.
Nein – und hier provoziere ich bewusst – ich kann nicht nachvollziehen, warum man sich einen Kaiserschnitt ohne Notwendigkeit wünschen würde. Dass man es tatsächlich vorzieht, den Risiken einer grossen Operation ausgesetzt zu sein; in Kauf zu nehmen, dass der Bauch aufgeschnitten- oder gerissen wird; einen Termin festzulegen, der für immer der Geburtstag des Kindes sein wird und zu akzeptieren, dass die Schmerzen nach diesem Eingriff oft ungeheuerlich sein können und man erstmal damit klar kommen muss, selbst wieder irgendwie auf die Beine zu kommen, anstatt sein Kind herumtragen zu dürfen. Und nein, ich bin deshalb nicht kategorisch gegen Kaiserschnitte – ich bin froh und dankbar, dass es diese Möglichkeit gibt, denn ohne Kaiserschnitt hätte ich heute eine Freundin und zwei Spielgefährten meiner Kinder weniger.
Was frau wissen sollte
Dass sich trotzdem viele Frauen den Eingriff wünschen, kann ich mir nur damit erklären, dass Ihnen viele wichtige Informationen zur Entscheidungsfindung vorenthalten werden.
Im Schwangerschaftskurs oder beim Gynäkologen weist selten jemand darauf hin, dass eine PDA zum Geburtsstillstand führen kann, dass das Oxytocin, welches sonst über die Nabelschnur ans Kind weitergegeben wird, möglicherweise nicht mehr richtig fliessen kann und das Kind also noch mehr Arbeit hat während wir meinen, dass wir die Geburt leichter machen. Die meisten werdenden Mütter sind sich nicht bewusst, dass eine PDA die Geburt bei Erstgebärenden um durchschnittlich 2 Stunden verlängert und dass nach einem Stillstand meist wieder Wehenförderer nötig sind, die wiederum zu einem Absinken der kindlichen Herztöne führen können. Die Folge: eine Zangen – oder Saugglockengeburt.*
Während der Schwangerschaft machen wir Yoga, hören Meeresrauschen, spielen dem Kind im Bauch die Melodie der Spieluhr vor, trinken keinen Schluck Alkohol mehr, haben das Rauchen sowieso mit dem ersten Verdacht aufgegeben haben und überlegen bei jedem Bissen, ob da wohl rohes Ei/Fisch/Rohmilch drin stecken könnte. Wir tun alles, unser Ungeborenes vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. Da scheint es mir ein wenig absurd, dass wir im Moment der Geburt so viele Fremdeinflüsse in Kauf nehmen?
Geborgen gebären
Dass man für die Geburt ins Spital geht, ist die allgemeine Annahme. Eine Frau sollte sich aber genauso für die natürliche Geburt zuhause oder im Geburtshaus entscheiden dürfen. So sollten Geburtshäuser und (freischaffende) Hebammen ebenso unterstützt werden – sind sie doch nachweislich eigentlich die sichersten Geburten, mit den wenigsten Komplikationen, der geringsten Kaiser- und Dammschnittrate und mit den geringsten Kosten. Hier wird die Wahlfreiheit aber von den Krankenkassen eingeschränkt: Leistungen werden reduziert, Kosten nach Übertragen nicht mehr übernommen – selbst wenn Frau und Kind gesund, glücklich und munter sind.
Eine Geburt soll selbstbestimmt sein. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die zukünftigen Mütter mehr informiert werden, dass sie sich und ihrem Körper wieder vertrauen lernen. Und ihre Geburt, wo und wie sie auch verläuft, ein positives Erlebnis wird.
*Kaminski H.M., et al: The effect of epidural analgesia on the frequency of instrumental Obstetrik delivery. Obstet Gynecol. 1987.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 31. Mai 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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