Vaterschaftsurlaub: Dringend nötig oder auch keine Lösung? Die Antworten.
Vier Wochen Vaterschaftsurlaub, zwei Wochen, oder am besten gar keiner? Welche Chancen hätte Elternzeit? Wir geben Euch den Durchblick zurück.
Wir haben in der Schweiz als einziges europäisches Land keinen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub. Trotzdem hat die Volksinitiative für vier Wochen Vaterschaftsurlaub wenig Chancen.
Warum das so ist und was ihr dagegen tun könnt.
Die Ausgangslage: Mütter werden gebraucht
Der Schweiz werden bis in zehn Jahren die Arbeitskräfte ausgehen, weil unsere Eltern – beziehungsweise die Babyboomer – langsam alle in Rente gehen und die Zuwanderung gleichzeitig abnimmt. Ergo: Eine halbe Million Erwerbstätige werden mittelfristig fehlen.
Deshalb wollen die Arbeitgeber die teilzeit- oder zu Hause arbeitenden Mütter zurück an den Arbeitsplatz holen. Aktuell gibt es in der Schweiz 200 000 Mütter mit Kindern, die jünger als 15 Jahre sind, und 740 000 Mütter mit Teenagern über 15 Jahren – im Schnitt sind sie weniger als 50 Prozent erwerbstätig.
Mütter als Potenzial für die Wirtschaft – aber sind sie auch motiviert?
Die Mütter seien ein riesiges Potenzial, findet Valentin Vogt, Chef des Arbeitgeberverbandes. Aber wo bleibt die Motivation, wenn Teilzeitarbeit noch immer als Ausnahme gilt, die verfügbaren Positionen gut ausgebildete Frauen oft unterfordern und sie obendrein in die «Mütterschublade» gesteckt werden?
Was, wenn die Schweizer Gesellschaft noch immer die Nase rümpft, wenn die Mutter mehr als 60% arbeitet? Die Schweiz ist doch eine Vereinbarkeitswüste – es fehlen Tagesschulen, flexible Arbeitsmodelle, und selbst wer wirklich will, muss Ausdauer haben, um einen Job zu finden.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Ein Schritt sei der finanzielle Anreiz, meint Valentin Vogt. Ein zweites Einkommen von über 40%, lohnt sich im Verhältnis von externen Betreuungskosten vs. Lohn finanziell meist nicht. Die Kosten für die Krippen will Vogt deshalb senken. Dafür aufkommen sollen selbstredend nicht die Arbeitgeber, sondern der Staat.
Genau da liegt aber der Haken: Familie ist Privatsache
Der Staat? Familie ist hierzulande nämlich vor allem Privatsache. Es wird hingenommen, dass es für viele Mütter und Kinder eigentlich zu früh ist, 14 Wochen nach einer Geburt wieder voll arbeiten zu gehen. Dass spätestens mit dem zweiten Kind viele junge Mütter ihren Job an den Nagel hängen, weil es einfach nicht mehr geht, ist natürlich deren Schuld, weil «sie nicht belastbar sind».
Zwar hat sich auch einiges gebessert: Stillen am Arbeitsplatz ist heute möglich, unbezahlter Urlaub nach der Geburt wird meistens immerhin bewilligt und ja, Teilzeit arbeiten wir Mütter ja sowieso fast alle.
Trotzdem geht einer immer vergessen: der Vater.
Der Vater darf wegen der Geburt seines Kindes gerade einmal einen Tag vom Arbeitsplatz fernbleiben. Damit gehört die Schweiz in Europa zu den Schlusslichtern. Keine Überraschung, oder? Die Schweizer waren ja auch die Letzten, die uns Frauen das Stimmrecht (1971, Kanton Appenzell Innerhoden 1990!) einräumten oder das Eherecht reformierten (1988).
Wie lange haben wir auch den Mutterschaftsurlaub gewartet! Es brauchte viele Anläufe an der Urne und zahlreiche Vorstösse im Parlament, bis es 2004 für 14 Wochen reichte. Frankreichs Mütter haben das schon seit 1946 und jene aus Deutschland seit 1952. Die Schwedinnen kennen seit 1963 gar sechs Monate Mutterschutz – seit 1974 auch die schwedischen Väter. Nur in den USA ist es arger als bei uns in der Schweiz, dort gibt es bis heute gar keinen bezahlten Mutterschaftsurlaub.
Vaterschaftsurlaub jetzt? Bitte sofort!
Dabei wollen in der Schweiz die meisten Väter gerne öfter für ihre Kinder da sein. Das würde auch den Müttern den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt massiv erleichtern. Deswegen hätten wir gerne jetzt sofort mehr Teilzeitarbeit für Väter, bezahlbare und qualitativ hochstehende familienerweiternde Betreuungsmöglichkeiten, Tagesschulen, Strukturen während der Schulferien und ein anderes Steuersystem. Ach ja, und einen Vaterschaftsurlaub. Der liegt ja bereits auf dem Tisch.
Beziehungsweise lag. Mehrmals.
Die Sache ist so: Im Parlament gab es zu diesem Thema schon über 30 Vorstösse und ihr könnt Euch vorstellen, was damit passiert ist: Sie wurden abgeschmettert. So auch jener des Bündner CVP-Nationalrats Martin Candinas, der zwei Wochen forderte. Das war im April 2016. Die Gegner sagten damals, ein Ausbau der Sozialversicherungen liege nicht drin – im Hinblick auf die vielen Senioren, die bald in Rente gehen würden. (Deren Rente dann wer genau bezahlen sollte – die Teilzeit-Mütter, womöglich?)
Da war das Fass voll. Das Komitee «Vaterschaftsurlaub jetzt!» – ein Zusammenschluss der vier Dachverbände Travail.Suisse, männer.ch, Alliance F und Pro Familia Schweiz sammelte in Rekordzeit die Stimmen für eine Volksinitiative und reichten diese im Juli 2017 ein.
Leider fand der Bundesrat ein Jahr später, dass er die Initiative zur Ablehnung empfehlen werde. Die Arbeitnehmer sollten freiwillig einen Vaterschaftsurlaub ermöglichen, einen gesetzlichen Zwang wollte der Bundesrat nicht. Und zudem würde das die Unternehmen vor «zu grosse organisatorische Herausforderungen stellen», schrieb der Bundesrat. (Vielleicht könnten in punkto Organisation ja einige der Teilzeit-Mütter dereinst hier Nachhilfe in den Unternehmungen leisten?)
Der Killer: ein Gegenvorschlag
Auch wenn der Bundesrat nein gesagt hatte, konnten die Initianten immer noch guter Hoffnung sein, dass das Volk zustimmen würde. Nur hatten die Initianten um den SP- Nationalrat und Travail.Suisse-Gewerkschaftspräsidenten Adrian Wüthrich einen Fehler gemacht: Sie hatten die Bürgerlichen (also die FDP und die SVP) nicht mit an Bord.
Deshalb hatten die Politiker in Bern leichtes Spiel: Die Kommission für Soziales aus dem Ständerat beschloss kurzerhand einen indirekten Gegenvorschlag. Statt vier Wochen sollten es zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sein. Das sei ein «massvoller Kompromiss» und damit würden «Kleinstbetriebe und KMU weniger stark finanziell und organisatorisch belastet».
Aha. Jetzt plötzlich? Die Kommission wusste: Ihre verkürzte Version hatte gute Chancen, sie ist halb so teuer. Mittlerweile ist die Gesetzesvorlage für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub in der Vernehmlassung: Das heisst, alle politischen Player können nun nochmals ihre Meinung dazu einbringen. Voraussichtlich debattiert das Parlament in der Sommersession des nächsten Jahres darüber, zusammen mit der Volksinitiative von vier Wochen. Es werden also beide Varianten besprochen.
Ein gewagter Blick in die Zukunft
Wollen wir eine Prognose stellen? Glaubt ihr, in einem Land, das eine Woche mehr Ferien ablehnt, in dem die meisten Frauen ihre Kinder schon grossgezogen haben und bald in Rente gehen, in dem Kinder Privatsache sind, Freiwilligkeit grossgeschrieben wird und das Parlament von Konservativen dominiert ist, glaubt ihr, da werden zwei oder vier Wochen Vaterschaftsurlaub durchkommen?
Immerhin zwei Wochen, könnte man sagen (und tun auch viele). Dann wäre man ja wieder beim ursprünglichen Vorschlag von CVP-Mann Candinas. So positiv versucht es zumindest Initiant Adrian Wüthrich zu sehen: «Wir hatten die Initiative lanciert, als der Vorstoss für zwei Wochen im Parlament versenkt worden ist. Nun scheint es zum ersten Mal eine Mehrheit mit den Bürgerlichen im Parlament für einen Vaterschaftsurlaub zu geben. Ohne unsere Initiative wäre dies sicher nicht geschehen.» Babysteps, also.
Aber es könnte auch sein, dass die Initiative nun den Bach runter geht, wenn eine günstigere Alternative vorliegt. Wüthrich gibt zu, dass der Gegenvorschlag ein «Killer» für die Initiative sein könnte. Wird die Initiative abgelehnt, würde nämlich automatisch das neue Gesetz des Parlaments für zwei Wochen in Kraft treten. «Ich hoffe trotzdem, das Volk wird sich für vier Wochen entscheiden».
Bitte, geht wählen!
Aber wird es überhaupt ein «Entweder-Oder» geben? Nur wenn das Referendum gegen den indirekten Gegenvorschlag ergriffen wird, kann das Volk 2020 über beide Vorschläge gleichzeitig abstimmen. «Vielleicht», fügt Wüthrich hinzu, «wenn das Geschäft erst nach den nationalen Wahlen behandelt würde, könnte ein aufgeschlosseneres Parlament ja auch für 4 Wochen sein: Mit mehr jungen Frauen und Männer im Parlament gäbe es eine Chance!», sagt Wüthrich.
Und deshalb, bitte, geht wählen! Und wählt keine Listen, sondern setzt Euch vor den Smartspider und sucht Leute aus, die so politisieren werden, wie ihr das wollt! DAS ist direkte Demokratie.
Und schlimmstenfalls? Schlimmstenfalls würden sowohl die Initiative als auch der indirekte Gegenvorschlag abgelehnt. Durch das Parlament, und durch das Stimmvolk.
Und jetzt doch noch die Frage aller Fragen: Wäre Elternzeit eigentlich nicht besser?
…Doch, ich finde schon.
Während die Mütter den gesetzlichen Mutterschaftsurlaub beziehen, sich um das Baby kümmern, gleichzeitig den Haushalt besorgen und später wieder in den Beruf einsteigen, und damit eine völlig neue Rolle einnehmen müssen, verändert sich im Erwerbsleben der Väter: nichts.
Selbst mit einem Vaterschaftsurlaub – egal ob zwei oder vier Wochen – würde der Staat immer noch einseitig die Verantwortung für ein neugeborenes Kind und das Risiko des Ausfalls am Arbeitsplatz einseitig der Frau übertragen. Es ist egal, wie lange ein Vaterschaftsurlaub dauert. Solange Mami und Papi mit einer gesetzlichen Elternzeit nicht genau gleich lang zu Hause ausfallen nach der Geburt, entscheidet die Politik, was für ein Familienmodell wir leben: nämlich das kleinbürgerliche Modell der Nachkriegszeit.
Diese Anfangszeit hat grosse Auswirkungen auf die Aufgabenaufteilung zwischen Mann und Frau, die sich später ganz besonders auch bei der Beteiligung am Arbeitsmarkt niederschlägt. Wenn Arbeitgeberpräsident Vogt also mehr Frauen am Arbeitsplatz will, dann müsste er konsequenterweise diesen Aspekt genauso beachten.
Der Vaterschaftsurlaub ist also ein Anfang, aber tatsächliche Gleichberechtigung wird er uns nicht bringen. Und ergo wahrscheinlich auch keine grössere Veränderung am Arbeitsmarkt.
Reality Check: Die Wirtschaft checkt es noch nicht
Um ehrlich zu sein, stehen die Chancen für eine Elternzeit womöglich noch schlechter als für einen Vaterschaftsurlaub. Die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy hatte bereits 2016 eine parlamentarische Initiative für eine Elternzeit von 14 Wochen für beide Elternteile bei beidseitiger Erwerbstätigkeit eingereicht.
«Günstiger als die Lösung 14/14 geht für die Wirtschaft eigentlich fast nicht», sagt Kathrin Bertschy. «Ein Elternurlaub ist entgegen des weitverbreiteten Glaubens eben kein Ausbau des Sozialstaates, sondern eine Investition in unsere Volkswirtschaft», sagt die Ökonomin. Langsam wäre es an der Zeit, dass auch die selbsternannte Wirtschaftspartei FDP dies erkennt, findet sie. «Für die Infrastruktur des Verkehrs geben wir jährlich Milliarden aus, damit wir an unserem Arbeitsplatz gelangen. Eine bessere Vereinbarkeit, wozu eine moderate Elternzeit gehört, ist aber genauso Teil der staatlichen Infrastruktur für die ökonomische Wohlfahrt unseres Landes», sagt Bertschy.
Nur so könne man erreichen, dass beide Eltern nach der Babypause wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Nach zwei oder vier Wochen Vaterschaftsurlaub, sei das Kind noch zu klein für eine Kita – und das Problem bliebe weiterhin ungelöst, sagt Bertschy. Die Lösung 14/14 wäre zudem massvoll: Die eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) empfiehlt gar eine Elternzeit von 38 Wochen.
Bertschys Vorstoss wurde trotzdem abgelehnt: «Es wurde noch nicht verstanden, dass dieses Modell viele Mütter im Arbeitsprozess behalten würde.» Die Grünliberale kämpft politisch gegen zwei Seiten: Auf der einen die Linken, die einen Ausbau des Sozialstaates wünschen und auf der anderen gegen die Konservativen, die entweder gar nichts wollen oder aber nur Ja zu einer Lösung sagen, wenn sie quasi gratis ist.
Und jetzt, was tun? «Immerhin» oder «Alles oder nichts?»
Sollen wir nun, wenn die Elternzeit eigentlich mehr Sinn machen würde, gegen einen Vaterschaftsurlaub stimmen? Und uns so womöglich nicht mit einer unheiligen Allianz mit konservativen Rechten verbünden? Oder die Variante «immerhin» fahren, im Wissen, dass der Ursprung der Probleme so nicht gelöst wird?
Die «richtige» Lösung gibt es leider nicht. Aber eine falsche: Das Nichtstun.
Wenn wir wollen, dass sich die Politik in Bern verändern kann, mit neuen Kräften, müssen wir diese PolitikerInnen wählen, damit sie für uns laut sein können. Und wir diskutieren weiter – im kleinen Kreis, in Kommentarspalten, auf sozialen Medien.
Bis sich eben DOCH etwas ändert.
Ebenfalls von Nadine Jürgensen: Mütter, arbeitet oder heiratet!
Die Kampagne #helvetiaruft motiviert übrigens junge Frauen, an den eidgenössischen Wahlen anzutreten. www.helvetia-ruft.ch
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Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 7. Januar 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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