Ich. Will. Nicht. Basteln!
Mütter sitzen angestrengt auf Kinderstühlen und kämpfen mit Glitzer und Pailletten. Sie «dürfen» noch etwas Basteln in der Spielgruppe. Wo ist der Fehler?
«Sooodeli, und alle Mamis dürfen jetzt noch etwas basteln!»
Die Spielgruppenleiterin ist ganz aus dem Hüüsli.
Und ich sehe rot. Roten Glitzer, rote Herzchen, Wollfäden, Pfeifenputzer. Zehn Mamis (ja, es sind leider ganz klischeehaft nur Mütter, die sich da auf die Kinderstühlchen zwängen – nicht ein einziger Quotenvater. Meiner war im Ausland – clever, clever! – und konnte sich vor dem Bastelzwang erfolgreich drücken).
Fleissig wird geklebt und «gmöggelet». Das Töchterli greift auch nach den Stiften, aber nein, es soll jetzt laut Gruppenleiterin spielen gehen, während das Mami sich den Glitzer in die Haare streicht. Später werde ich den auch noch in den Unterhosen finden.
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Niemand spricht, in typisch schweizerischer Manier. Man könnte sich zum Beispiel ja mal darüber amüsieren, was für ein Bild wir da gerade abgeben. Oder uns über unsere Kinder unterhalten. Ich versuche es zwei Mal, aber meine Scherze bleiben am Boden kleben wie die Riesenpailletten in Schildchrötliform.
Lustig wird’s erst, als sich ein Mädchen den Leim auf die Zunge schmiert
«Kein Problem, das ist Kinderleim!», meint die Leiterin fröhlich. «Viel Spass beim Windeln wechseln heute Mittag», grinse ich und die Leimkindmutter grinst zurück. Eine verwandte Seele. Immerhin.
Mir erschliesst sich der Sinn der Sache einfach nicht – ganz grundsätzlich. Warum Krippen»apéros» veranstalten (sie haben diesen Namen ja nicht verdient – nächstes Mal mache ich BOB), wenn man dort weder ein Apéro kriegt noch die Kinder mitnehmen kann (für alle Veranstaltungen ohne Alkohol organisiere ich per se nie wieder ein Hüeti)?
Wozu die Eltern beim Elternabend Kinderlieder singen lassen (true story: mein Freund D. durfte in Anzug und Schneidersitz «Schnapp schnapp schnapp, das kleine Krokodil» singen, während seine Tochter schon im Bett lag)?
Warum zwingt ihr uns, noch einmal Kleinkind zu sein?
Und ich weiss, das Gröbste haben wir ja noch vor uns. Die Schule hat noch nicht mal angefangen. Da blühen uns dann Räbeliechtli-Schnitzmorgen (zu denen man dann bitte die kleineren Geschwister nicht mitbringen soll, wie anderndorfs am Elterninfomorgen informiert wurde) und wenn ich den amerikanischen Fernsehserien glauben will, ganze Pappmaché-Vulkane.
Also, liebe Betreuer:innen: Ich bastle gerne. Zu Hause. Mit meinen Kindern. Auf einem Stuhl für Erwachsene. Gerne auch mit einem Glas Wein. Vielleicht fange ich dann auch an zu singen, ein Kinderlied, mit meiner Tochter.
Und nicht mit Frau Müller, dem Mami von der Sonja, die an ihrem Orangensaft nippt und verbissen Hörnli auf einen Karton klebt.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 29. August 2016 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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