«Fuck your Feelings». Vote Trump.
Es war absehbar, dass Trump wiedergewählt wird. Warum macht es mich dann doch so unglaublich lähmend wütend? Und warum kann ich es irgendwie verstehen? Eine Aufforderung zum Mitschreien.
Ich bin so wütend. Frustriert. In mir drin sträubt sich alles, es fühlt sich tatsächlich so an, als würde sich die Lunge aufblasen, das Herz pöpperlen, die Galle, sie will hoch. Und meine Tränen, sie streiken aus Protest.
AGAIN. So der Slogan. So die Realität.
Nicht, dass ich es nicht erwartet hätte. Nicht, dass ich es nicht verstehe. Nicht, dass ich es auch aus einem konkreten Grund nicht nur schlecht finde – aber mehr dazu später.
Vor vier Jahren war ich mittendrin.
Trucks mit Aufklebebannern «Fuck your Feelings. Vote Trump». Rote MAGA-Hüte in der Backwarenabteilung. Diskussionen mit Steve, meinem Nachbarn mit dem grossen Hund, denen ich nur mit viel europäischer Distanziertheit ausweichen konnte.
Hawai’i wählt in der Gesamtheit blau. Aber viele Menschen an kleinen Orten, wo der Blick vor allem auf das Hier und Jetzt, das Meins und Deins, die Auswirkungen auf die eigene Unmittelbarkeit gerichtet sind, wählen die Person, von der sie denken, dass sie persönlich am meisten profitieren. Wir lebten am kleinsten Ort der kleinen Orte.
Und deshalb ist es vielen egal. Egal, ob er es okay findet, Frauen ungefragt an die Pussy zu fassen. Egal, ob er findet, er werde Frauen beschützen, ob sie das wollen, oder nicht. Egal, ob man diskriminiert, veräppelt, verurteilt, verhöhnt.
Hauptsache, weniger Steuern.
«Alle meine Freundinnen haben für Trump gevotet», schreibt mir heute Morgen meine Freundin Petra von drüben.
«Es ist schwierig für mich. Ich spreche das Thema einfach nicht an, bleibe schwammig.»
Ich weiss genau, wie sie sich fühlt. Isoliert, alleine unter Menschen, die man wirklich mag, respektiert, die für einen da sind. Die man plötzlich nicht mehr zu 100 Prozent versteht. Es ist ein Tanz, um Themen, um Werte, ein Thema, das eine Freundschaft zerstören kann, weil man laut schreien möchte: Warum? Und schütteln. Schütteln möchte ich sie, die Frauen, die einen solchen Mann wählen. Vor einer Frau! Ich mache Fäuste.
Sie tun es, weil sie der Frau nicht trauen. Weil sie zu laut lacht, weil sie gelogen habe (in einem System, in dem Opportunismus das Salz in der Suppe ist), weil man «sie nicht sympathisch» finde – hach, der Klassiker. Weil zu links, ohne zu wissen, wo man eigentlich selber steht. In der Schweiz wäre Kamala Harris wahrscheinlich gerade mal Mitte-rechts.
«It’s fear», schreibt Petra.
Angst. Und ich verstehe sie sogar, diese Angst vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, vor noch höheren Immobilienpreisen oder Nahrungsmitteln. Ich kenne so einige Menschen, die ihr Haus verloren, ihren Job, ich war dabei, als wir gemeinsam die Kreditkartengesellschaft angerufen haben. «Hi, ich kann die Rechnung nicht bezahlen, ja, ich würde gerne einen Abzahlungsplan mit Ihnen besprechen.» Der Call of Shame. Meine Freundin zitterte.
Angst, vielleicht auch, was es bedeuten würde, eine Frau an der Spitze zu haben. Neues Terrain, das Unbekannte, auch nach 235 Jahren noch zu früh. Auch wenn die Alternative eine Diktatur in Aussicht stellt.
«I think I care more about this country than he does.» Ich glaube, mir ist dieses Land wichtiger als ihm, sagte ich einmal zu wiederum einer anderen Freundin, wir waren am Auto fahren. Der Moment veränderte unsere Freundschaft für immer, oder zumindest für mich. Damals wusste ich das nicht, als wir gemeinsam die Kurve nahmen.
Sie starrte mich übers Steuerrad verwundert an: «Why?!» Ich sprach über Werte, über einen emotional verkümmerten Mann, über den moralischen Kompass. Wir wurden unterbrochen und das Thema beerdigt. Ich spürte, sie sieht das anders. Wir wollten unsere Freundschaft retten.
Dann sprach ich mit ihrem Mann, nennen wir ihn Joe. Ein wunderbarer Vater, hilfsbereit, nett, etwas verschlossen. Self Made Man, die Mutter Alkoholikerin und früh verstorben, er kämpfte sich durch die Schule, baute ein eigenes Geschäft auf, hat jetzt Haus und Kinder. The American Dream – man kann es schaffen, wenn man nur will. Unternehmertum, das imponiert ihm.
Auch wenn er Trump als Mensch nicht mag, das müsse man ausblenden, sagt er. Der Erfolg, er sei die Messlatte.
Fast ironisch deshalb, wer Biografien des Wieder-Präsidenten gelesen hat oder Filme wie «The Apprentice» gesehen hat – Erfolg, das einzige Ziel und der einzige Wert, an dem sich Trump messen will, an dem sein Vater ihn gemessen hat. Erfolg, den er nicht hatte, der ihm aber von geschickten Fernsehproduzenten auf den Leib geschneidert wurde. So glaubhaft, dass sich die Prophezeiung erfüllte.
Here we are.
Mein Gespräch mit Joe wurde lauter, den anderen Anwesenden wurde es unangenehm. Er stampfte mich mit Daten und Statistiken in den Boden, er hört viele Podcasts, in dem ein wütender Mann mit schneller Stimme viele Zahlen runterbetet – auf der Metaebene, meinem Terrain, war nichts zu holen.
Der Appell an Werthaltung wurde unterbunden mit: Was nützen mir Werte, wenn ich mein Haus verkaufen muss? Als wir beim Klimawandel angelangt waren (gibt es nicht), mussten wir das Gespräch abbrechen und die Beziehung schonen. Ich mag ihn wirklich, er hat ein gutes Herz, aber wir sind uns nicht einig. Agree to Disagree, so sind wir verblieben. Bis heute.
Und so muss ich heute diese Wahl akzeptieren. Frustriert, traurig, desillusioniert, bestätigt. Ich dachte, dass es so kommt. Ich «hoffte» es im Sinne von einer friedlichen, anständigen Übergabe ohne Verletzte, ohne Aufstände, ohne Bürgerkrieg, im schlimmsten Falle. Alles mögliche Szenarien, hätte Harris die Kurve knapp gekriegt.
Aber auch: Was wäre möglich gewesen, hätte sie es tatsächlich geschafft? Welches Zeichen hätte es für uns Frauen, für unsere Kinder gesetzt?
My feelings are fucked. Ich fühle mich machtlos.
Und vielleicht hätte sich genau DAS geändert.
Schreien als Kommentar ist absolut erlaubt. Auch gerne GROSSBUCHSTABEN.
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Veröffentlicht am 6. November 2024
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