Elternzeit oder es bleibt dabei: Papa scheffelt Kohle, Mutti rüstet Kohl
Weil von Anfang an die Spiesse nicht gleich lang waren, managed Reto Vogt’s Frau heute den Haushalt und er ist Befehlsempfänger. Er findet das ungerecht, und fordert Elternzeit. Auch wenn Roger Federer dafür zurücktreten muss.
Nein, kein Lotto-Sechser. Ich hatte nach der Geburt meiner Zwillinge tatsächlich drei Wochen statt nur einen Tag Vaterschaftsurlaub.
Crazy, nidwahr?
Man muss aufgrund der hiesigen Gesetzeslage tatsächlich von Glück reden, wenn man sich als frischgebackener Vater volle drei Wochen seiner Familie widmen darf. Tatsächlich sind die drei Wochen aber nur etwa so viel Wert, wie wenn nach einem Unfall nur ein Beinbruch statt einer Amputation diagnostiziert wird. Es tut nicht ganz so weh und wächst wieder zusammen, hinterlässt aber trotzdem Spuren.
Kaum hatte die Familienzeit angefangen, war sie auch schon wieder vorbei.
Und ich musste meiner Frau das Feld überlassen und zurück in mein Vollzeitpensum, das ich zunächst über Jahre nicht reduziert bekam. Genau deswegen steht die Schweiz im internationalen Vergleich himmeltraurig da: In einer aktuellen Unicef-Studie landen wir abgeschlagen auf dem letzten Platz. Kritisiert werden darin vor allem Mutter- und Vaterschaftsurlaub, die hierzulande beide zu 100 Prozent aufs traditionelle Rollenbild – Papa scheffelt Kohle, Mutti rüstet Kohl – ausgerichtet sind.
Doch hoppla!
Es gibt politische Kräfte, die dies ändern wollen: Hängig ist eine Volksinitiative für vier Wochen Vaterschaftsurlaub, ein Gegenvorschlag aus dem Parlament sieht immerhin noch 2 Wochen vor. Beides eine Verbesserung zum Status Quo und zu beidem sagt der Bundesrat: Nä-ä. Wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Und, tatsächlich, offen gestanden sehe ich das auch so.
Aber mit einem anderen Argument als unsere stockkonservative Regierung. Diese sagt, die Gesamtarbeitsverträge regelten das schon. Ich sage: Es kommt überhaupt nicht drauf an!
Solange zwischen Mutter- und Vaterschaftsurlaub unterschieden wird, ist es schlichtweg egal ob Papa zwei, vier oder minetwäge auch acht Wochen bezahlt daheim bleiben darf! So bleibt quasi gesetzlich zementiert, dass sich Frau vornehmlich um den Haushalt und Mann ums Einkommen zu kümmern hat.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Ich bin der Befehlsempfänger
Ich habe das seinerzeit selbst gemerkt. Ich bin wie erwähnt nach fünf Wochen (zwei davon unbezahlt) wieder Vollzeit arbeiten gegangen, meine Frau blieb zunächst daheim. Und seitdem ist sie die Haushaltsmanagerin und ich, so gern ich das ändern wollte, ihr Befehlsempfänger.
Es hat nichts damit zu tun, wer sich wie fest engagiert. Wer öfter zu Hause ist, entwickelt Strategien, richtet sich bequeme Abläufe ein und weiss am Besten, wann wie was zu tun ist. Wer hingegen wie ich nur morgens, abends und am Wochenende präsent ist, kann dies unmöglich verinnerlichen.
Und das nur, weil wir von Anfang an per Gesetz nicht gleich lange Spiesse hatten. Dabei steht sogar in der Bundesverfassung, Artikel 8, Absatz 1: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.»
Diese Gleichberechtigung gibt’s aber so nicht und das ist brutal ungerecht.
Elternzeit! Utopisch.
Die einzige Lösung, die dies ändern würde, ist offensichtlich: Elternzeit! Unabhängig vom Geschlecht erhalten frischgebackene Eltern beispielsweise ein Jahr Zeit, für sich das beste Familienmodell zu finden. Wer wie viel des bezahlten Urlaubs bezieht, bleibt den Paaren überlassen.
Klingt nicht nur gut, sondern funktioniert auch in der Praxis bestens. Namentlich in Schweden, Dänemark oder Deutschland. Wieso nicht auch in der Schweiz? Dachten sich wohl die Initianten der Elternzeit-Initiative, für die aktuell Unterschriften gesammelt wird. Diese ist zwar unbedingt unterstützungswürdig und hat meinen vollen Support, aber sie ist leider auch total utopisch.
Selbst wenn die 100’000 nötigen Unterschriften zustande kommen: Die Gegner*innen werden lauthals schreien: «Erziehung ist doch nicht Sache des Staates!» (Nein, die Erziehung nicht. Aber dass diese gleichberechtigt möglich sein muss, schon.)
Kinder vs. Kühe
Und sollte nichts mehr helfen: Ein lautes «Wer soll das bezahlen?» killt jede Initiative, sogar in der reichen Schweiz. Dies zumindest, wenns um Kinder, statt um Kühe geht.
Darum wette ich, dass folgende fünf Dinge in dieser Reihenfolge passieren, bevor eine Initiative zur Elternzeit von Volk und Ständen angenommen wird:
1. Roger Federer tritt zurück.
2. Ein*e Grüne*r wird Bundesrätin.
3. Die Schweiz qualifiziert sich für eine Fussball-WM oder -EM, und der Blick schreibt nicht: «Hurra, der Titel ist möglich!»
4. Meine durchtrennten Samenleiter wachsen wieder zusammen
5. Der Papst heiratet seine Jugendliebe Karl-Valentin.
Weitere Beiträge zum Vatersein: «Keifende Mütter – entspannte Väter» oder «Männer, wollt ihr neue Väter sein?» oder «Endlich Teilzeitmann – mein allererster Papitag» oder «Maternal Gatekeeping – Realität oder Ausrede?».
Und ein tolles Buch zum Wert von Betreuungsarbeit: Was noch zu tun ist / Anne Marie Slaughter.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 4. Juli 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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