Kolumne
Olivia El Sayed ist nie ganz fertig: 33 Jahre Menstruation – und jetzt soll einfach Schluss sein?
Vielleicht war es das bald mit der Periode. Fertig Badezimmer-Desaster. Fertig gepolsterte Unterhosen. Doch statt der Menstruation grätscht jetzt die Hormonpille in mein eigentlich schönes Leben rein.

Gut 30 Jahre lang hatte ich starke Regelblutungen. In dieser langen Zeitspanne gab es einerseits missglückte Versuche, dies zu ändern oder geglückte Versuche, es zu akzeptieren. Und jetzt nehme ich — aus Gründen — mit 44 wieder die Pille und frage mich, ob ich den ganzen Kladderadatsch nun wirklich hinter mir lassen kann (und will)?
Meine Tage bekam ich mit 11. Und jetzt, schnapszahlige 33 Jahre später, spazierte ich nach meinem letzten Frauenarztbesuch tatsächlich mit einer Schachtel Pillen aus der Praxis. Damit sollte ich bald keine Blutungen mehr haben und entsprechend weniger Zysten, die ich regelmässig operativ entfernen lassen müsste.
Was für eine Vorstellung! Einfach fertig – ich, die ich drei Dekaden lang jeden Monat mit meinem Körper rang wie ein blutiger Racheengel aus einem Tarantino Film? Waghalsig träume ich von meiner neuen Zukunft:
- nie mehr Tampons dabei haben müssen.
- nie mehr eine Hose verbluten.
- nie mehr morgens die über Nacht umgeklappten Seitenflügel der Binde aus den Schamhaaren friemeln müssen.
- nie mehr meinen, man sei der letzte Depp, weil man auch nach gefühlt tausendmal die Tampons nicht aufbekommt ohne die kleine Feile im Nagelchlupper.
- nie mehr denken, man sei das Allerletzte, nur um am nächsten Morgen zu merken: Ah nei, ich bin toll, es ist nur der Zyklus.
- nie mehr am langen Ende einer fremden Hand voller Blut ein entsetztes Gesicht sehen müssen.
- nie mehr in einer Sitzung sein und spüren: Oje, doch schon heute.
- nie mehr das Badzimmerboden-Desaster.
- nie mehr in der Dusche kauern und verzweifelt fluchend in sich hineingreifen, weil man vergessen hat, dass eigentlich schon ein Tampon drin war, als man den letzten reinpfefferte.
An diesem verheissungsvollen Punkt war ich tatsächlich schon einmal, als ich mich vor ein paar Jahren einer sogenannten Endometriumablation unterzog: Da bekommt man eine Vollnarkose und derweil wird die Schleimhaut in der Gebärmutter abgetragen und dann kommt irgendwas in die Gebärmutter, das man dann unter Strom setzt, um die Innenwände zu veröden. (Für medizinische Genauigkeit bitte googeln, denn ich habe im Spital immer so Angst vor jeder möglichen nächsten Nadel, dass ich nie richtig zuhöre und wenn es vorbei ist, interessiert es mich auch nur noch so halb, weil ich so froh bin, dass es eben vorbei ist und mir keine Infusion mehr im Arm steckt.)
Vielleicht will die Natur, dass ich fruchtbar bleibe?
Dieser Eingriff zeigt statistisch gesehen bei vier von fünf Frauen Wirkung und die Menstruation bleibt bei ihnen danach für immer aus. Ich habe aber vermutlich einmal zu oft ins Universum geflüstert, dass ich bissogut auch mal ganz aussergewöhnlich sein möchte, und da dachte das Universum: «Also Oli, hier darfst du jetzt speziell sein und einfach weiter menstruieren, trotz Eingriff, als wäre nichts gewesen.»
Und so wären also weder die Vollnarkose, noch das mühsame Erwachen, noch das Ziehen im Bauchraum, noch all die Zweifel, die auf dem Schragen plötzlich über mich gekommen waren – ob man denn so in die Natur eingreifen sollte und ob ich wirklich, ganz wirklich und sicher nie mehr schwanger sein wollte? — nötig gewesen.
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Mein Leben ging nämlich einfach weiter, als hätte man mich nicht grad von innen verödet. Fast wollte ich es zum Anlass nehmen, abergläubisch zu werden und fragte mich: Vielleicht will die Natur ja unbedingt, dass ich fruchtbar bleibe? Weil vielleicht … Oder eben doch einfach: Hey, du bist die eine von fünf, so speziell! Ich werde es nie erfahren.
(Aber kleine Randnotiz zum Trost: Immerhin lernte ich an diesem Tag eine tolle Frau kennen, die im Nebenbett den gleichen Eingriff vorgenommen hatte. Sie lud mich vor ihrer Segel-Weltreise zu sich ein und schenkte mir all ihre Tampons, die sie im Gegensatz zu mir ja nicht mehr brauchte (how to make female friends, part 731).)
Ich merke, wie mir die Hormone in mein eigentlich schönes Leben reingrätschen und mich verändern
Und jetzt bin ich also wieder an diesem Punkt, kurz vor fertig, weil meine Blutungen mit der Pille gestoppt werden sollen, damit sich die Zysten im Bauchraum nicht so schnell mit Blut füllen und wachsen und ich entweder immer wieder sie, oder alternativ andere Teile in mir, entfernen lassen muss (und ich mag ja eben nicht: Spital und Nadeln).
Und trotzdem weiss ich nicht, ob es nun dieses Mal tatsächlich das Ende sein wird, denn so ganz glücklich bin ich mit diesen neuen Umständen noch nicht. Ich merke nämlich, wie mir die Hormone in mein eigentlich schönes Leben reingrätschen und mich verändern.
Plötzlicher Kaffee-Graus und Wein-Attacken
Seit über zehn Jahren lebe ich das Privileg, abends fröhlich ins Bett zu gehen und morgens fröhlich wieder aufzuwachen. Und auch wenn das viel verlangt ist, fänd ich gut, das bliebe so. Vielleicht pendelt sich alles wieder ein mit den Hormonen, aber die aktuellen Neuerungen sind bislang diese:
- 1. Mindestens jeder zweite Kaffee schmeckt mir eigentlich gar nicht mehr (woran soll ich mich den ganzen Tag festhalten??).
- 2. Plötzlich muss ich weinen. Wegen blinden Katzen und billigen Reels und hingekrakelten Zeichnungen. Beim Einkaufen, beim Einschlafen, beim Aufwachen. Aus dem Nichts überkommt es mich.
- 3. Und apropos Kommen: Zwischen der fröhlichen Vorahnung, dass man gleich kommt und dem tatsächlichen Orgasmus hätte neuerdings eine halbe Folge «Love is Blind» Platz (früher reichte der Vorspann).
Ist das nun also der Preis, den ich bezahlen muss, für’s nicht mehr bluten? Vielleicht. Vielleicht ist Frausein aber auch einfach so gut, dass man immer einen Preis dafür bezahlen muss, egal ob mit oder ohne Blut? Weil es ist ja nicht so, dass das Frausein mit dem Ende der Blutungen aufhören würde.
Klar, die Wucht der Periode und wie sie einen in die seltsamsten Situationen bringt, fällt weg und das ist so viel, dass ich schon fast nostalgisch werde.
Wie gut erinnere ich mich an Taschentuchkonstruktionen, die ich mir an ganz argen Tagen selbst in die Unterhose gepolstert habe
Wie gut erinnere ich mich an Taschentuchkonstruktionen, die ich mir an ganz argen Tagen selbst in die Unterhose gepolstert habe und die sich in den ungünstigsten Momenten (beste: Klub und Wartezimmer Polizeirevier) verselbständigt haben und mir innen das Hosenbein durab zwischen die Füsse fielen, bis hin zu heimlichen Versuchen, mit kaltem Wasser emsig schrubbend irgendwelche Flecken von fremden Sofas, Tramsitzen und Betten zu kriegen.
Entweder ist all das fertig – oder aber, wenn man möchte, dass all das aufhört, viel Anderes, das nicht weniger anstrengend ist. Man muss sich vielleicht aufschneiden oder veröden lassen oder eben Pillen essen, die «Love is Blind» in andere Zeiteinheiten teilen, ohne dass jemand fragt, ob man das so überhaupt gut findet.
Auch ohne Blutungen bleibt das Frausein körperlich irgendwie ein Zusatzaufwand. Nicht nur wegen möglichen Lymphödemen und Wassereinlagerungen. Da sind Tumore, Polypen, Zysten und Myome. Eisenmangel, Haarausfall, Hormonschübe, Hitzewallungen, Gewichtszunahmen, Gebärmuttersenkungen, was weiss ich noch alles. Ich bin also ziemlich sicher noch lange nicht fertig. Wir sind wohl alle erst fertig, wenn es fertig ist. Und trotzdem – einfach, falls das Universum mitliest – tauschen möchte ich niemals.
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Veröffentlicht am 22. Oktober 2025.
Die Kolumne «Olivia El Sayed ist nie ganz fertig» erscheint alle zwei Monate.
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