Maternal Gatekeeping – Realität oder Ausrede?
Mütter, die die Väter nicht machen lassen, weil sie ihnen die Kompetenz absprechen: Maternal Gatekeeping. Wirklich ein Problem oder bloss schlechte Ausrede?
Rund 80 Prozent der Väter sagen, sie wünschen sich mehr Zeit für ihre Familie und würden sich gerne mehr an der Erziehung und Betreuung der eigenen Kinder beteiligen. In der Praxis tut sich jedoch nicht so viel und deshalb wird fleißig nach Ursachen gesucht.
Immer wieder taucht dabei – vor allem in der Argumentation von Vätern – das so genannte „Maternal Gatekeeping“ auf. Zuletzt auf Twitter von zwei Männern, die in Deutschland immer wieder angehört und eingeladen werden, wenn es um diese Fragen geht.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Patrick ist solch ein Vater, der sich gerne mehr an der Erziehung und Betreuung der Kinder beteiligen würde. Immer wenn er nachts aufsteht, um sein Baby zu wickeln, pfeift ihn seine Frau jedoch zurück. „Leg dich gefälligst wieder hin und schlaf! Ich will alleine unausgeschlafen sein. Und außerdem, so wie du wickelst, mache ich es lieber alleine. Keine Diskussion!“
Da kann Patrick natürlich nichts machen. Er ergibt sich seinem Schicksal, legt sich wieder hin, schläft, wacht am Morgen auf und twittert: „Ohne neue Mütter, keine neuen Väter!“ Er hat wirklich alles versucht. Aber gegen diese Macht der Mütter kommt auch der stärkste Mann nicht an.
Scheitern am Maternal Gatekeeping
Ähnlich geht es Lukas. Er wäre so gerne wenigstens für ein paar Monate in Elternzeit gegangen. So hatte er es mit seiner Frau abgemacht. Doch dann, am Tag als beide den Elterngeldantrag ausfüllen wollen, hat sie es sich plötzlich anders überlegt. Sie zweifelt an seinen Kompetenzen und zwingt ihn zu unterschreiben: 12 Monate für die Mutter, 0 Monate für den Vater. In Worten: Null!
Er hat wirklich alles versucht. Aber bei diesem Blick seiner Frau ist er wirklich machtlos. Also trottet er traurig ins Büro. Seine Sekretärin wartet bereits auf ihn und er ahnt nichts Gutes. Auch sie zweifelt an seinen Kompetenzen, hat es auf seine Stelle abgesehen und bereits seine Entlassungspapiere vorbereitet. Er muss nur noch unterschreiben: Ab heute ist sie Chefredakteurin und er kann sich nur noch überlegen, ob er als Sekretär weiterarbeiten möchte oder ganz aus dem Verlag ausscheidet. Was soll er nur tun? Er hat wirklich keine andere Möglichkeit. Schweren Herzens ergibt er sich in sein Schicksal.
Die von mir konstruierten Fälle klingen vielleicht absurd, aber genau so funktioniert die „Maternal Gatekeeping“-Argumentation. Die Berichte realer Familien in den Medien klingen dann beispielsweise so: „Er habe sich unter ständiger Beobachtung gefühlt. Wickeln, füttern, anziehen – >immer stand sie neben mir und korrigierte mich. Als wäre ich ein Konkurrent, den sie wegbeißen muss<“
Ja, was soll Christian, so heißt der Protagonist im Spiegel-Artikel, da auch machen? Von Vätern, die sich unter ständiger Beobachtung fühlen, kann nun wirklich nicht erwartet werden, dass sie sich in der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder engagieren. Es ist wirklich schockierend. Wenn Mütter nicht endlich aufhören, so komisch zu gucken, wenn Väter Windeln wechseln, wird das nie was mit der Gleichberechtigung.
So wird das nichts mit der Gleichberechtigung
Weiter oben im Spiegel-Artikel steht übrigens: „In den Wochen nach der Geburt, erzählt Christian, habe er Verständnis dafür gehabt, dass Mutter und Kind einander besonders nah waren. >Aber nach vier Wochen dachte ich mir zum ersten Mal: Lass mich doch auch mal ran.<“
Nach vier Wochen ist Christian also zum ersten Mal auf sein Kind zugegangen? Was hat er vorher gemacht? Einfach zugesehen, wie seine Frau alles erledigt hat? Hat seine Frau ihn nachts zurückgepfiffen, wie Patrick in meinem erfundenen Beispiel? Entschuldigung, aber wer erst nach vier Wochen auf die Idee kommt, sich mal mit dem eigenen Kind zu beschäftigen, den würde ich dann auch erst einmal schräg anschauen und korrigieren.
Ähnlich klingt das Beispiel in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung. Clemens beschwert sich fast wortgleich: „Ich wäre nicht jedes Mal sofort hingerannt, wenn eines der Kinder weinte. Aber egal, was ich tat, ob ich wickelte, fütterte oder die Mädchen ins Bett brachte, Julia stand die ganze Zeit daneben und korrigierte mich.“ Was soll er da auch tun? Es ist doch dann wirklich ihre Schuld, wenn er nicht die Möglichkeit hat, sich mehr zu engagieren, oder? Vorher wird die familiäre Situation von Clemens und Julia in der Süddeutschen Zeitung übrigens wie folgt beschrieben: „Sie war den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause, er arbeitete von früh bis spät, oft auch am Wochenende.“
Ich erkenne ein Muster: Könnte es sich bei den Vätern, die sich über das „Maternal Gatekeeping“ beschweren, vielleicht um diejenigen Väter handeln, die nach der Geburt eines Kindes eher noch mehr arbeiten als vorher? Und dann werden sie am Wochenende dabei schräg angeschaut, wenn sie etwas unbeholfen mal eine einzige Windel wechseln, nachdem die Mutter vorher in der ganzen Woche, in der er im Büro war, schon 50 Windeln alleine wechseln musste? Glaubt wirklich ernsthaft jemand daran, dass diese Väter alle sofort in Teilzeit gehen und zu „neuen Vätern“ mutieren würden, wenn nur die Mütter etwas netter zu ihnen wären und ihnen bei ihrem einzigen Versuch pro Woche, die Windel zu wechseln, nicht ganz so kritisch über die Schulter schauen würden?
An den Kompetenzen zweifeln
Gerne wird auch argumentiert, das mit diesem „Maternal Gatekeeping“ sei ja auch wissenschaftlich erwiesen. 20% der Mütter würden wissenschaftlichen Studien zufolge die Väter von den Kindern fernhalten. Selbst wenn es in jeder fünften Familie so eindeutig wäre, wäre der Satz „Ohne neue Mütter gibt es keine neuen Väter!“ schon falsch. 20% können nicht erklären, warum von den 80% der Väter, die sich gerne mehr engagieren würden, in der Praxis nur etwa 7% übrig bleiben.
Und dann ist der wissenschaftliche Befund auch noch längst nicht so eindeutig, wie es der Väteraktivist Hans-Georg Nelles in dem zitierten Tweet darstellt. So sagt beispielsweise die in dem Kontext forschende Professorin Liselotte Ahnert: „Das sogenannte Gatekeeping, bei dem die Mütter den Vätern – bewusst oder unbewusst – eine Kompetenz im Umgang mit ihren Kindern absprechen, beobachten wir schon noch.“
Plötzlich geht es in der Forschung gar nicht mehr um ein „Fernhalten“ und die Verhinderung des Engagements von Vätern, sondern nur noch um das Absprechen von Kompetenzen. Aber hey, das ist doch Grund genug: Wenn an den Kompetenzen gezweifelt wird, bleibt Männern doch wirklich nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen und wie im Fall von Lukas den Job als engagierter Vater und Chefredakteur an den Nagel zu hängen, oder?
Väter, die Verantwortung abschieben
Wer hundert Mal häufiger eine Windel wechselt, hat das Recht kritisch zu sein, zu korrigieren und Kompetenzen in Frage zu stellen. Wer es hundert Mal seltener macht, muss diese Kritik aushalten oder eben von Geburt an engagierter sein und häufiger die Windel wechseln. „Maternal Gatekeeping“ ist nichts anderes als ein Abschieben dieser Verantwortung von Vätern auf Mütter.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es Väter braucht, die von Geburt an bereit sind, sich im Leben der eigenen Kinder mehr als nur nach Feierabend und am Wochenende einzubringen. Und wenn Väter bereit sind, diesen Schritt zu gehen und auch die negativen Begleiterscheinungen (unausgeschlafen sein, verminderte Karrieremöglichkeiten,…) in Kauf zu nehmen, dann ist „Maternal Gatekeeping“ völlig irrelevant.
Jochen König ist Autor und Blogger. Zusammen mit seinen beiden Töchtern lebt er in Berlin. Er schreibt über seine Familien, Familien im Allgemeinen, Geschlechter, Väter und Sex.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf seinem Blog . Auf Twitter findet man Jochen König unter @j__koenig.
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Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 25. April 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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