Keifende Mütter und entspannte Väter – ein Erklärungsversuch
Mütter greifen sich gegenseitig an. Die Väter bleiben entspannt. Weil es genügt, wenn sie sich Mühe geben. Ein Erklärungsversuch für Mommywars.
Der wirEltern-Blogger Reto Hunziker fragt in seinem Blogbeitrag, ob Väter einander gegenüber toleranter („entspannter“) sind als Mütter. Ob diese öfter «haten». Und ob er in eine Gender-Trap getrampt ist.
Lieber Reto Hunziker: Drei Mal Ja. Die Väter sind entspannter, Mütter weniger.
Und Sie sind sorglos pfeifend in eine Falle getappt, weil Sie nicht nach dem Warum fragen. Ich werde mal versuchen, Ihnen da wieder rauszuhelfen.
Väter befassen sich weniger mit anderen Vätern – weil sie es nicht müssen.
Die Vorstellung, wie ein guter Vater zu sein hat, ist weniger klar, wird weniger diskutiert und vor allem: sie wird den Vätern nicht ständig aufgedrückt. Allein für seine Präsenz erhält er einen goldenen Stern, die Performance wird primär an der Mühe gemessen, die er sich gibt.
Können Sie sich ähnliche Vorwürfe, wie sie Steffi Buchli gemacht wurden und die Sie ja auch aufgezählt haben (die Selbstinszenierung, die Moderation mit Bauch, die «frühe» Rückkehr auf den Schirm) in einem männlichen Kontext vorstellen? Ich nicht.
Die Erwartungen an eine Mutter sind viel höher und konkreter
Würde ein Fernsehmoderator nach seinem eintägigen Vaterschaftsurlaub (ein anderes Thema – mit viel Hate meinerseits) mit Augenringen an den Schirm zurückkehren, dann gäbe es sehr wahrscheinlich keinen Mucks darüber, dass er seine Frau jetzt mit Kind und Babyblues alleine lässt (Hater-Vorlage: Der Rabenvater, der! Vernachlässigung! Her mit der KESB!), sondern ich wette mit Ihnen, dass ein entzücktes „Jööööh! Der ist aber so was von engagiert!“ durch die Kommentarspalten gluckerte.
Der Vater muss nicht. Wenn er trotzdem tut, wird das positiv kommentiert. Immer.
A propos Kommentare. Die liest man als prominente Person selten. Aus Selbstschutz, und weil man weiss, dass man trotz „im einte Ohr ine und äne grad wieder use“-Policy doch den ganzen Tag so ein nagging feeling mit sich rumtragen wird. Ich mache jede Wette, dass auch Steffi Buchli erst durch den Artikel von Michèle Binswanger auf das erboste „Volk“ aufmerksam wurde.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Heinz, Gottlieb und der Kinderlose
Das Volk, das übrigens auch zu einem Grossteil aus sehr gemeinen Männern (IMMER namens Heinz, Fritz, Gottlieb) besteht. Einige Kommentarspalten haben bereits ein Eigenleben entwickelt, das zeitweise an Realsatire grenzt. Da duellieren sich Heimwerkerkönig und Sportpapi mit SupermannXXL (der selber noch keine Kinder, dafür immer eine klare Meinung hat).
Haten Mütter mehr?
Kann gut sein. Sie haben auch mehr Grund dazu.
Verstehen Sie mich nicht falsch – ich finde diese Mommywars höchstens aus der Ferne unterhaltsam und richtigen Hatespeech überhaupt nicht mehr. Aber die gegenseitige Kritik entsteht wohl aus dem Druck, einem Idealbild zu entsprechen, Karriere zu machen im Beruf Mutter, der nur einen Weg zulässt: Perfektion. Von Anfang an.
Wie Mütter sein sollen
Just ab der Sekunde, in der wir kommunizieren, in Erwartung zu sein, erwarten Andere ein bestimmtes Verhalten: Wir sollen kein rohes Fleisch mehr essen, keinen Stinkekäse, kein Cüpli trinken und – geit’s no! – keine Zigi rauchen.
Wir sollen glühen, strahlen, nur am Bauch zunehmen und sicher nicht mehr als 12 Kilo, die wir dann drei Monate nach der (natürlichen, medikamentfreien) Niederkunft ja hoffentlich wieder los sind. Zu diesem Zeitpunkt sollen wir unser Baby gefälligst noch voll Stillen (Abpumpen kann man ja in der Mittagspause, easy), aber trotzdem unser Sexleben nicht einschlafen lassen. Arbeiten sollen wir auch, aber sicher nicht mehr als 60%, denn wofür sonst Kinder haben? Krippe? Unbedingt, der Sozialkompetenz wegen. Krippe? Sicher nicht! Das schadet der Bindung.
Breie nur Bio. Jeden Tag fünf Mal Gemüse. Babyschwimmen, PEKipkurs, Kinderyoga. Töpfchentraining, Nuggientwöhnung, Einschlafrituale. MuMi, SSW, KiWa. WTF.
Druck abbauen: Jetzt mal ehrlich
Uns Müttern explodiert der Kopf, lieber Herr Hunziker. Viele Frauen identifizieren sich dermassen stark mit ihrer Identität als Mutter, dass jeder andere Lebensentwurf einen Angriff auf den eigenen darstellt. Wer 100% seiner Zeit mit vollem Effort damit verbringt, für seine Kinder da zu sein, kann es als Affront verstehen, wenn eine andere Mutter sagt: Das reicht mir nicht.
Dass die erwerbstätige Mutter damit vielleicht auch meint,»ich kann das nicht», wird nicht gehört. Kritik beziehen Frauen immer erst Mal auf sich selber.
Von uns wird erwartet, dass wir nicht nur Alles machen, sondern auch noch „richtig“ – am meisten erwarten wir das leider von uns selber. Weil uns weiterhin gesagt wird, es sei möglich. Aber nicht Eine von uns es schafft.
Kein Wunder, brauchen wir ab und zu ein Ventil, um der eigenen Unsicherheit etwas Luft zu geben.
Kein Wunder, bleibt ihr Männer ganz entspannt. Mehr erwartet ja auch keiner.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 12. Mai 2016 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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