Wir Frauen und die Zweifel
Männer finden sich gut. Und sind damit erfolgreich. Wir Frauen zweifeln, wollen perfekt sein. Und scheitern oft an Ansprüchen, die Männer nicht haben.
Bist du gut in Deinem Job? Machst das gut mit den Kindern? Bist Du der Partner, der Du sein willst?
Hast Du überall mit „Ja“ geantwortet?
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Dann bist Du höchstwahrscheinlich ein Mann.
„Honest overconfidence“* – ehrliches, übermässiges Selbstvertrauen ist ein Phänomen, das vor allem Männer kennen, und das diese oft weiter bringt als uns Frauen. Weil wir zweifeln. Und zaudern. Und uns fragen: Kann ich das?
Ich auch. Immer wieder. Jetzt gerade öfter. Und rege mich später über die unnützen Gedanken auf, die mich doch nur zurückhalten. Dabei ist mein Selbstvertrauen ganz in Ordnung, und ich bin die Erste, die Zetermordio schreit, wenn eine meiner Freundinnen es auch nur wagt, die leisesten Selbstzweifel auf den Tisch zu bringen.
NATÜRLICH kannst Du das!
protestiere ich dann so laut, dass sich alle zu uns umdrehen und sich fragen, was sie denn wohl so gut kann. Und ich nehme nicht ihre Hand und hauche ihr im Häbsch-Mi-Gschpürsch-mi-Ton gut zu, sondern haue meine ärgerlich auf den Tisch: wie kann sie an sich zweifeln, diese talentierte, kompetente Frau? Wenn sie zweifelt, muss ich dann nicht auch?
Warum hinterfragen wir uns ständig?
Ohne Zweifel: Weil wir Frauen sind.
Zwei, die äusserst erfolgreich sind, haben „The Confidence Code“ geschrieben und 2014 in „The Atlantic“ den viel diskutierten Artikel „Closing the Confidence Gap“ veröffentlicht. Claire Shipman ist CNN-Korrespondentin und lachte ihren eigenen Erfolg lange weg: Sie habe einfach Glück gehabt. Katty Kay ist Anchorwoman bei BBC World News und schob ihre Karriere kokett auf Ihren englischen Akzent.
In ihrem Buch haben die Beiden herausgefunden, dass wir viel zu viel Zeit damit verbringen, über Niederlagen nachzudenken. Und dabei vergessen, Erfolge uneingeschränkt auf uns zurück zu führen. Selten sagen wir: „Ich bin die Beste“ – nicht nur, weil selbstbewusste Frauen schnell als unsympathisch gelten, sondern weil wir dazu tendieren, Positives zu externalisieren. Es waren die Umstände.
Sogar Sheryl Sandberg, COO von Facebook, berichtete den Autorinnen, dass es Tage gäbe, an denen sie sich wie „eine Betrügerin“ vorkomme – ohne echte Berechtigung, dort zu sein, wo sie ist: “There are still days I wake up feeling like a fraud, not sure I should be where I am.”
Ich kenne dieses Gefühl des «Imposters». Spreche ich vor anderen Menschen oder in eine Kamera, besteht meine grösste Anstrengung darin, über meinen eigenen Selbstvertrauens-Graben zu springen und mir die Zweifel nicht anmerken zu lassen. Auf eine Bühne stehe ich erst, wenn ich bis ins Detail vorbereitet bin, alle Ansprüche erfüllt. Das ist mein Sicherheitsnetz. Und dann bin ich selbstbewusst.
Viele meiner männlichen Kollegen verzichten darauf, gehen ohne Plan B ins Gefecht und nehmen mehr Risiko auf sich. Sie wirken dadurch lockerer. Und selbstbewusster.
Frauen wollen perfekt sein. Das ist unsere Achillesferse, beruflich wie privat.
Frauen bewerben sich, wenn sie 100% der Anforderungen erfüllen (und auch dann fragen sie die Freundin bei einem Glas Wein, ob sie wohl gut genug seien). Männer sind happy mit 60%.** Echtes, nicht vorgetäuschtes Selbstvertrauen bringt Erfolg, das auch die Schlussfolgerung von «Closing the Confidence Gap».
Und jetzt die Bad News:
Wir könnten Eier haben. Uns auf Hahnenkämpfe einlassen. We could «man up» or «lean in» until we fall over. Aber erstens ist uns das zu blöd und zweitens wollen wir ja mit weiblichen Eigenschaften erfolgreich sein.
Leider bedeutet das eben auch, dass wir zu viel denken. Abschalten können wir das nicht, ausser, wir würden Hormone schlucken. Eine interessante Beobachtung, hat ein Transgendermann gemacht, der vorher 54 Jahre lang als Frau gelebt hat: «As a female there was black and white and everything in between. When I started taking the hormones, it was more black and white (…) If I get into a disagreement with someone at work, I don’t have that feeling afterwards of, ‘I hope I didn’t hurt his or her feelings.’ I’m not a worrier as much as I was in the female body.»***
Wir sind Worriers, keine Warriors.
Ich sehe keine Möglichkeit, mir innert nützlicher Frist (sprich: bis zu meinem Ableben) eine «honest overconfidence» anzueignen und Testosteron ist keine Option. Ich werde weiterhin Zweifel haben, zaudern, alles hinterfragen und in meinem Kopf auseinandernehmen. Any Working Dad wird sich weiterhin darüber aufregen und mich nicht verstehen, «weil es doch sehr gut ist, wie es ist?»
Aus seiner Perspektive hat er recht. Denn aus dieser ist alles ein wenig einfacher.
Wenn gut gut genug ist, kann man auch einfacher zu den Besten gehören. Und hat weniger Zweifel, das auch zu schaffen.
*Aus einer Studie der Columbia Business School von 2011.
** Aus einer internen Studie von Hewlett Packard, ein Artikel darüber hier.
*** Aus einem Artikel des TIME Magazines: What Trans Men see that Women don’t, 2016.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 27. Juni 2016 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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