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Frauenstreik

Mir reicht’s! Und das schon lange

Von Lehrern nicht ernst genommen. Als Teenagerin ungewollt geküsst. Vom Chef betatscht. Als Mutter diskriminiert. Sexismus und Ungleichbehandlung ziehen sich durch Marahs Leben wie ein roter Faden. Darum streikt sie am 14. Juni.

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Text:

Die Autorin Marah Rikli mit 14 Jahren.

Am 14. Juni ist wieder feministischer Streiktag. Hätte man mich als junge Frau gefragt, ob es so einen Tag braucht, hätte ich vermutlich den Kopf geschüttelt.

Ich wuchs mit der Überzeugung auf, als Mädchen genauso viel wert zu sein und dieselben Rechte und Pflichten zu haben wie ein Junge. Nie dachte ich, dass ich im Berufsleben nicht die gleichen Chancen hätte wie ein Mann – oder dass ich als Mutter einmal anders behandelt würde als ein Vater.

Für mich war klar: Ich werde Kinder haben und arbeiten. Ich wusste, ich habe Talente – und ich wollte sie entfalten. So erzogen mich meine Eltern. Ich glaubte ihnen.

Widme dich deiner familiären Karriere – das macht am meisten Sinn.

Ich machte mir damals keine grossen Gedanken, als mein Oberstufenlehrer mir im Jahresgespräch sagte, das Gymnasium sei nichts für mich. Eine pflegerische Ausbildung sei besser geeignet – die könne mir später helfen, meine Kinder zu umsorgen.

Seine Empfehlung: «Widme dich deiner familiären Karriere – das macht am meisten Sinn.» Beim Klassentreffen in diesem Jahr verglichen wir unsere Erfahrungen. Keine männliche Person aus meiner Klasse hatte je Ähnliches gehört.

Die Chefs, die Männer – die sind halt so

Mit 16 drückte mich ein Junge in einem Pub gegen die Wand und küsste mich gegen meinen Willen. Ich wehrte mich nicht – ich dachte, es sei wohl ein Kompliment, obwohl mir unwohl war.

Erst später erkannte ich den Sexismus meiner Lehrpersonen: Mein Mathelehrer meinte, er kenne kein Mädchen, das mit Zahlen umgehen könne. Mein erster Freund warf mir sarkastisch vor, ich hätte wohl meine Tage, als ich ihm widersprach. Ich trennte mich zwar von ihm – aber ohne zu wissen, dass genau das eine feministische Entscheidung sein könnte.

Und auch, als mein Chef mir nach meiner Beförderung ständig über den Rücken streichelte und säuselte, er «entwickle eben gerne Frauen», dachte ich noch: Die Chefs, die Männer – die sind halt so. Ich dachte, die Welt funktioniere so.

Und dann kamen die Kinder

Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Als hätte ich nicht nur ein Kind geboren, sondern gleich ein neues Leben – und mit ihm endgültig die Sexismus-Karte gezogen.

2004 kam mein Sohn zur Welt. Damals gab es keinen Mutterschaftsurlaub, nur ein achtwöchiges gesetzliches Beschäftigungsverbot. Ohne Ehemann wäre mir nur die Sozialhilfe geblieben. Es gab in unserem Dorf keinen einzigen Kita-Platz, auch nicht als ich wieder arbeiten wollte.

Also kündigte ich meinen Kaderjob – und blieb ein Jahr zu Hause, danach betreute meine Mutter ihren Enkel, wenn ich arbeitete (natürlich unbezahlt und ohne Altersvorsorge).

Mütter sollen nämlich einfach alles – ohne Pause, ohne Klage.

Im ersten Jahr lernte ich dann auch nicht nur mein Kind und meine neue Rolle kennen, sondern auch die einengenden Erwartungen der Gesellschaft an die Mütter: Mütter gehören in erster Linie zum Kind. Sie sollen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig arbeiten. Sie sollen nicht zu dick, nicht zu «nachlässig» sein.

Sie sollen spontan gebären – wehe dem geplanten Kaiserschnitt –, am besten ohne Schmerzmittel. Danach stillen: nicht zu kurz, nicht zu lange, und bitte nicht in der Öffentlichkeit. Und wenn, dann natürlich nur mit festen Brüsten (Sarkasmus off).

Mütter sollen nämlich einfach alles – ohne Pause, ohne Klage. Was sie selbst wollen, fragt kaum jemand. Im Gegensatz zu den Vätern. Immer mehr Wut stieg in mir hoch. Trotzdem dachte ich auch dann noch, ich könnte die schlimmsten Bedingungen und unangenehmsten Orte einfach umgehen. Was für ein Irrtum. Denn das Patriarchat steckt in jeder Zelle unserer Gesellschaft – und auch in uns selbst (lies dazu unbedingt «Toxische Weiblichkeit» von Sophie Fritz).

«Warum wollen Sie mit Kindern überhaupt so viel arbeiten?»

Ich schaffte den Wiedereinstieg nach einem Jahr und baute schrittweise mein Pensum aus. Und als zehn Jahre später meine Tochter geboren wurde? Ja, da war die Situation kaum besser. Zwar bekam ich jetzt 14 Wochen Mutterschaftsurlaub, doch das war körperlich viel zu wenig.

Nach der Hormonumstellung und dem ersten Kita-Viren-Winter war ich bereits am Rande eines Burnouts. Mindestens ein Jahr Elternzeit – das wäre nötig gewesen. Aber warum sollten wir Mütter auch immer mehr wollen? (Ironie off.)

Wieder dieselben Fragen bei Vorstellungsgesprächen: Warum wollen Sie mit Kindern überhaupt so viel arbeiten? Wer betreut die Kinder, wenn sie krank sind? Ist ein drittes Kind geplant? Mein damaliger Partner hörte all das kein einziges Mal.

Zu Sexismus kam Ableismus

Und als klar wurde, dass unsere Tochter eine Behinderung hat, kam zum Sexismus auch noch Ableismus dazu. Fragen wie: «Hast du das denn nicht gewusst?» oder «Hast du etwa geraucht in der Schwangerschaft?» sind noch die harmlosen.

Ich spürte plötzlich, was ich bis dahin nicht gekannt hatte: Mütter von behinderten Kindern stehen unter Generalverdacht, etwas falsch gemacht zu haben. Sie sind nicht nur Mütter – sie sind Therapeutinnen, Assistenzen, Beiständinnen. Sie pflegen ihre Kinder und gleichzeitig Tonnen an Formularen: für IV, Schulen, Spitäler, Ärzt:innen.

Oft kümmern sie sich auch noch um alle sozialen Kontakte ihres Kindes – denn diese werden ausgeschlossen: Keine Einladungen zu Kindergeburtstagen, Rügen im Tram wegen des Verhaltens meiner Tochter, Blicke im Supermarkt.

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Gleichstellung ist kein Luxus. Sie ist ein Menschenrecht!

Ich kündigte meinen festen Job und machte mich selbstständig – der Flexibilität wegen. Bis heute bin ich froh, aber der Preis ist hoch: kaum Altersvorsorge, keine finanzielle Sicherheit, viel Arbeit.

Heute bin ich 44 Jahre alt. Mein Sohn wird bald 21, meine Tochter ist 11. Ich habe mich von vielen patriarchalen Erwartungen befreit. Ich habe keinen Chef mehr, lebe nicht mehr in heterosexuellen Beziehungen, schreibe und spreche gegen Diskriminierung in all ihren Formen. Doch mein Körper zeigt mir jeden Tag, was es mich gekostet hat. Die Erschöpfung ist gross.

Es müsste nicht so hart sein. Nicht so einsam. Nicht so ungerecht. Gleichstellung ist kein Luxus. Sie ist ein Menschenrecht!

Deshalb streike ich auch an diesem 14. Juni.

Für eine gerechte Elternzeit. Für Lohngleichheit. Für faire Renten für Care-Arbeiter:innen. Für meine Kinder, meine Freund:innen, meine Mutter. Für Mütter, die ihre Angehörigen pflegen und nicht aus dem Haus können für den Streik, für Menschen mit Behinderungen, denen täglich ihre Rechte abgesprochen werden. Für alle, die täglich Verantwortung tragen – ohne eine Stimme und finanzielle Sicherheiten zu haben.

Denn mir reicht’s. Und das schon lange!

Marah Rikli, Autorin - mal ehrlich

Autorin

Marah Rikli ist Journalistin und Aktivistin und Mutter zweier Kinder. Sie schreibt Artikel für diverse Publikationen, u.a. «Magazin», «Republik», «Sonntags­Zeitung», «Wir Eltern», «Tages-Anzeiger». Zudem ist sie Host des Podcasts «Sara und Marah im Gespräch mit» der Frauenzentrale Zürich. Ihre Schwerpunkte: Inklusion, Mental Health, LGBTQIA+, Feminismus, Erziehung. Sie ist für diese Themen auch als Referentin oder Moderatorin von Talks und Panels unterwegs. www.marahrikli.ch (Bild: Anja Fonseka)

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 13. Juni 2019 bei Any Working Mom. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden. Die Autorin hat den Artikel auf den Frauenstreik 2025 hin grundlegend überarbeitet.


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4 Antworten

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  1. Avatar von Ines
    Ines

    Liebe Marah
    Ein grossartiger Artikel! Ein Artikel, der es auf den Punkt bringt. Die Kluft zwischen dem, wie es gemäss Gesetz sein sollte, und der Realität ist enorm! Was die Mütter betrifft, aber insbesondere auch, was Menschen mit Behinderungen betrifft. Vieles ist einem nicht bewusst, «weil es halt einfach so ist», daher sind Artikel wie dieser Gold wert. Danke!

  2. Avatar von Céline
    Céline

    toller Artikel. Deshalb ging auch ich streiken.

  3. Avatar von Martina
    Martina

    Liebe Marah

    was für eine tolle Geschichte! Grossartig. Oder nein: Total besch… eigentlich. Diese typische Geschichte, in die wir Frauen gedrängt werden. Aber grossartig, wie Du das beschreibst, was so viele erlebt haben und erleben. Dieser Widerspruch zwischen dem, was uns erzählt wird (gleiche Rechte, gleiche Chancen) und dem, was wir im Alltag erleben: Schikanen, Entmutigungen, Übergriffe und Vorwürfe.

    Deshalb gehe ich auch streiken! Denn du bringst es auf den Punkt: Wir brauchen Anerkennung als Frauen*! Wenn wir dafür nicht kämpfen, dann werden wir weiter in unser «Frauenschicksal» gedrängt. Wir wollen aber kein vorbestimmtes Frauenschicksal, wir wollen faire Chancen!

    Also dann: bis morgen!

    1. Avatar von Sarah
      Sarah

      Super Artikel! Krass, dass wir heute noch in diese Schemas gedrängt werden. Für mich war das Diskriminierungslevel vor und nach der geburt meines Sohnes am höchsten (mobbing vor geburt und nach Mutterschutz wurden sogar meine kumulierten ferien nich akzeptiert. 3 monate nach geburt ging ich arbeiten und paar tage danach auf dienstreise ins ausland). Etwa 6 Monate danach, als der Arbeitsgeber sah, dass ich mich nicht verändert habe (ich glaube die meinten job wuerde nun 2. Prio und ich wuerde mehr fernbleiben. Eben was von Muetter erwartet wird…) wurde ich wieder als voll genommen. Das schlimmste war durch, aber es hat mir gezeigt wie ‘moderne arbeitsgeber’ schnell in veraltete schemas denken und verfallen.
      Das ganze klappt aber auch nur weil ich Hauptverdienerin bin und mein Mann seinen Teil, sprich sogar mehr als die Hälfte zuhause macht. Ansonsten waere ich vielleicht schnell in das von der Gesellschaft erwartete Schema gedrängt worden. Frauen muessen staerker durchhalten und sich beweisen als maenner. Deshalb demonstrieren und lean in!!!