Pronatalismus
Frauen als Geburtsmaschinen
Milliardäre, Präsidenten und viele Männer sind sich einig: Frauen müssen jetzt mehr Kinder bekommen, um die Welt zu retten. Das ist ein gefährlicher Rückschritt.

Der Begriff «Pronatalismus» klingt wie irgendein Fachwort aus einem Soziologiebuch, aber beschreibt eine gefährliche Haltung, die momentan einen Aufschwung erlebt.
Die kurze Erklärung: Frauen sollen möglichst viele Kinder bekommen, um damit das Wachstum der Bevölkerung voranzutreiben. Eine bestimmte Gruppe im Silicon Valley glaubt sogar, dass nur so das Aussterben der Menschheit verhindert werden kann.
Dabei degradiert diese Bewegung Frauen wie in alten Zeiten. Ihnen wird ein bisschen das «Menschsein» abgesprochen und sie werden – wie gerade in den USA – vor allem zu einer biologischen Ressource zur Sicherung der Zivilisation.
Genetische Selektion im vollen Gange
Bekannte Gesichter dieser Bewegung sind unter anderem das US-amerikanische Ehepaar aus dem Bundesstaat Pennsylvania, Simone und Malcolm Collins. Gerade ist die 37-Jährige mit ihrem fünften Kind schwanger. Ihre Kinder tragen Namen wie «Torsten Savage» oder «Industry Americus». Und sie will noch mindestens drei weitere bekommen – idealerweise sogar zehn.
Zwar sagt das Ehepaar, dass sie LGBTQ+-Rechte und Diversität unterstützen würden und die Bewegung «Autismus geprägt» sei. Aber das ändert nichts daran, dass «Pronatalismus» konservative Werte vertritt und auch von Rechten genutzt wird.
Sie bekommen keine Kinder, weil sie Kinder wollen, sondern weil sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, die (weisse) Zivilisation zu retten.
Der Technik-Puritanismus, den die Collins predigen, umfasst Technologien wie künstliche Befruchtung und genetische Selektion. Denn Simone Collins sagt, sie könne krankheitsbedingt nur mit IVF-Behandlung schwanger werden. Von den insgesamt noch 32 eingefrorenen Embryonen würde sie immer die gesündesten auswählen. Die genetische Selektion ist im vollen Gange.
Die Collins bekommen also keine Kinder, weil sie Kinder wollen, sondern weil sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, die (weisse) Zivilisation zu retten. Sie bekommen keine Kinder, weil sie diese lieben oder die familiäre Wärme erleben wollen, sondern als politischen Akt. Sie bekommen Kinder nicht als Lebenssinn, sondern als Kapitalanlage.
Denn das ist das, worüber nicht nur die Collins sprechen, sondern auch Silicon-Valley-Stars wie der ChatGPT-Gründer Sam Altman. Er sagte zum Beispiel in einem Podcast: «Ich werde eine grosse Familie haben» – und investiert in experimentelle Fruchtbarkeitstechnologie.
«Babybonus» von 5000 US-Dollar
Auch der US-amerikanische Präsident Donald Trump beschäftigt sich laut «New York Times» damit, wie die Geburtenrate wieder ansteigen kann. Verschiedene Massnahmen werden aktuell diskutiert. Eine davon: Jede Mutter soll nach der Entbindung einen «Babybonus» in bar in Höhe von 5000 US-Dollar erhalten.
Gleichzeitig werden Abtreibungsrechte immer weiter beschnitten und Abtreibung in einigen Bundesstaaten sogar weiter kriminalisiert. Es ist paradox, dass Frauen einerseits verlieren und andererseits belohnt werden, und mit «belohnt werden» meine ich «bezahlt werden», wenn sie Kinder zur Welt bringen.
Die Geburtenraten sinken in Ländern wie Amerika, Südkorea, Deutschland und auch der Schweiz.
Dabei ist das, was wie eine Dystopie klingt, schon lange Realität. Auch Milliardär Elon Musk ist bekennender Pronatalist und hat 14 Kinder von verschiedenen Frauen (während Männer in Podcasts erzählen, Frauen mit verschiedenen «Babydaddies» seien Schlampen, na ja) und sagt, dass Menschen sich weniger Gedanken über die Kosten der Kindererziehung machen und Kinder einfach bekommen sollten. Nicht aus Liebe, sondern, na klar, um die Menschheit zu retten.
Dabei gibt es keinen Mangel an Menschen auf der Welt, das ist klar. Die Angst vor Überbevölkerung wird immer wieder diskutiert. Aber die Geburtenraten sinken in Ländern wie Amerika, Südkorea, Deutschland und auch der Schweiz.
Mutterschaft wird dadurch nicht zur Wahl, sondern zur gesellschaftlichen Pflicht – und von da ist es dann nicht mehr weit bis zu Zuständen à la «Handmaid’s Tale».
Welche Gesellschaft plant man denn da?
«Women need to take their jobs seriously. Not their jobs. Their duty.» – sagt beispielsweise Clara Chan, Besucherin einer «Natal Conference» im März in Austin der «New York Times». Aber sobald Kindergebären zur «duty», also zur «Pflicht», wird, zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, muss man sich fragen: Welche Gesellschaft plant man denn da? Und wer wird Platz darin haben?
Geburten werden nicht mehr nur als der Beginn neuen Lebens gesehen, sondern dienen vor allem zur Auslese, wie in Zeiten des Nationalsozialismus die Eugenik.
Und ja, der Vergleich ist hier gewollt. Man denke nur an das «Ehrenkreuz der Deutschen Mutter» oder auch Mutterkreuz genannt, das in der NS-Zeit an Mütter verliehen wurde, die mehr als vier Kinder in die Welt gesetzt haben. Aber klar: Das Kreuz gab es nur, wenn die Mutter «erbgesund» und «deutschblütig» war.
Wenn ich sehe, in was für einer Geschwindigkeit Tradwives oder Andrew-Tate-Loverboys an Beliebtheit gewinnen, dann wundert es mich kaum, dass auch der Pronatalismus in gleichem Tempo an Beliebtheit gewinnt.
Auch der US-amerikanische Vizepräsident JD Vance ist Vertreter des Pronatalismus. Wen das jetzt wundert, bitte kurz Hand heben. Niemanden? Ah, ja, dachte ich mir – aber auch in Europa gibt es Befürworter, wie beispielsweise den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Und in der Türkei ist gerade ein Verbot für geplante Kaiserschnitte ohne medizinische Notwendigkeit in privaten Kliniken verhängt worden.
Dass auch die russische Staatsduma plant, «Propaganda für Kinderlosigkeit» zu verbieten, ist nur ein weiterer Tropfen auf dem riesigen «Frauen sind Babymaschinen»-Stein, der nicht langsam auf alle Frauen zurollt, sondern sie fast schon zu zerquetschen droht.
Ja, das hört sich melodramatisch an, aber ich bin nicht bekannt für meinen Optimismus – und wenn ich mir ansehe, in was für einer rasanten Geschwindigkeit Tradwives, Andrew-Tate-Loverboys, Incels, Techmilliardäre und andere Personen, die Frauen nicht so richtig als eigenständige Menschen, sondern eher als Geburtsgefäss sehen, an Beliebtheit gewonnen haben, dann wundert es mich kaum, dass auch der neu aufgeflammte Pronatalismus in gleichem Tempo an Beliebtheit gewinnt.
Informationen zum Beitrag
Veröffentlicht am 19. Juni 2025.
Diese Kolumne wurde am 28. April 2025 im deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» erstveröffentlicht.
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