Hibbeln, hoffen, heulen – was der Kinderwunsch mit uns macht
Wenn der Wunsch nach einem Baby nicht so rasch wie erhofft in Erfüllung geht, steigen Druck und Ängste. Wie gehen andere mit unerfülltem Kinderwunsch um? Wir haben Erfahrungsberichte von Frauen und Männern.
Wir alle kennen solche Beispiele. Diese Storys von Paaren, die ein Kind wollten und ein Kind kriegten. Kinderwunsch da – zack! – Kinderwunsch erfüllt. Vielleicht kennen wir nur ein einziges solches Beispiel.
Vielleicht sogar nur vom Hörensagen. Aber dieses eine Beispiel gräbt sich in unser Gehirn ein und lässt uns glauben, dass es so sein muss.
Doch ein Kinderwunsch erfüllt sich meistens nicht so schnell. Und manchmal nie.
Viele Paare hoffen seit Monaten oder Jahren auf ein Kind. Rational wissen wir das. Aber in dem Moment, wo wir selber daheimsitzen, vielleicht auf dem WC, vielleicht mit dem x-ten negativen Schwangerschaftstest in der Hand – in so einem Moment fühlen wir uns allein und verzweifelt.
Der Wunsch nach einem Baby kann das ganze Leben bestimmen.
Und je länger es mit dem Schwangerwerden nicht klappt, umso mehr steigen Druck und Angst.
Ich kenne es aus eigener Erfahrung. Als ich versuchte, schwanger zu werden, gab es immer wieder Momente von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Dann habe ich mich gezwungen, Erfahrungsberichte von anderen zu lesen oder mit anderen darüber zu sprechen.
Es machte die Situation nicht vergessen, aber etwas einfacher.
Und genau deshalb haben wir Erfahrungsberichte von Menschen mit Kinderwunsch gesammelt. Sie liefern keine Patentlösungen oder Wundermittel. Aber sie zeigen: Ihr seid nicht allein.
Hier kommen unsere Erfahrungsberichte rund um den Kinderwunsch:
Anja
Massive Endometriose, der ganze Unterleib eine einzige Entzündung, Blase und Darm infiltriert, Eileiter verklebt. Die Diagnose haute mich 2013 um. Vor allem, weil es hiess: Chance für eine Schwangerschaft bei zirka 20 Prozent. Ich war 33 und starr vor Schreck. Nach einer Operation sah es schon bisschen besser aus, die Entzündungsherde waren weg und meine Hoffnung wieder da.
Aber ab dem Moment hatte ich es eilig, weil man nie weiss, wie rasch eine Endometriose zurückkehrt. Einfach mal einige Monate rumprobieren und auf eine Schwangerschaft hoffen? No way!
Also gleich von Anfang an: Eizellenreifung mit Tabletten ankurbeln, Eisprung mit Spritzen auslösen, hopp-hopp in die Kiste, danach zwei Wochen ein Präparat mit Gelbkörperhormon zur Unterstützung einnehmen, dann einen Schwangerschaftstest machen – und alles wieder von vorn.
Ich vertrug die Medikamente gut, die Paarbeziehung hielt der Belastung stand, beides nicht selbstverständlich, bei so viel Chemie und Stress.
Tatsächlich klappte es nach nur drei Monaten mit diesem Prozedere. Nach der Geburt meines Sohnes hiess es aber sofort: Pille nehmen, um den Zyklus und die Rückkehr der Endometriose zu verhindern. Und ein paar Jahre später musste ich auf die zweite Schwangerschaft zwölf Monate lang plangen.
Die Einnahme der Medikamente, die ständigen Besuche bei der Gynäkologin, die permanente Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, Sex nach Kalender:
Ich fühlte mich nicht wie ein gesunder Mensch.
Ich mied beim Coiffeur die Klatschhefte, weil dort jeweils gefühlte 1000 Schwangerschaften verkündet wurden. Ich sah überall runde Bäuche und konnte mich nur bei meinen Freundinnen oder Schwestern über deren Fruchtbarkeit freuen. Auch wenn beim zweiten Mal der Druck etwas geringer war: Der Kinderwunsch dominierte jeden Tag und das berühmte «Du musst es entspannt angehen!» war unmöglich.
Aber es hat zwei Mal geklappt, dafür bin ich sehr dankbar. Ich hatte früher die Befürchtung, das Kinderhaben würde leicht getrübt durch den Umstand, dass es nicht auf natürlichem Weg funktionierte. Genauso, wie sich viele Mütter sorgen, eine Geburt per Kaiserschnitt würde etwas an ihren Gefühlen ändern.
Dabei ist die Art, wie das Kind zustande oder raus kam, im Grossenganzen sowas von unerheblich. Ich denke nur sehr selten daran, was war; das Gehirn vergisst rasch – vor allem ein müdes Gehirn.
Patrice
Alle Ärzte sagen: Es liegt nicht an dir, manchmal klappt es einfach nicht. Ich höre es. Und gebe trotzdem mir die Schuld.
Ich bin 29, und versuche seit 4 Jahren, schanger zu werden. Und je länger es nicht geht, desto mehr hinterfrage ich mich und was ich falsch gemacht habe. Zu viel geraucht? Getrunken? Zu oft Blasenentzündung?
Man sagt mir, das sei sicher nicht der Grund, aber kann mir auch keinen Grund nennen. Es ist zermürbend.
Mika
Wir haben beide Jobs, die uns Spass machen. Haben immer von Reisen geträumt. Deswegen war für uns klar: Sollte sich unser Kinderwunsch nicht erfüllen, haben wir andere Perspektiven im Leben.
Aber seien wir ehrlich: Wer rechnet damit, dass es nicht klappen wird? Als nach einem Jahr noch immer nichts passierte, schlugen wir auf dem harten Boden der Realität auf. Bisher konnten wir durch Leistung, Energie und Motivation unsere beruflichen und privaten Ziele erreichen. Aber hier funktionierte das nicht.
Der Wunsch nach einem Kind war zu gross. Wir wollten nicht mehr warten. In der Kinderwunschpraxis liessen wir uns untersuchen. Das Spermiogramm meines Mannes zeigte, dass der Grossteil seiner Spermien Deformierungen aufwies. Bei mir zeigte sich, dass mein Körper nicht zuverlässig jeden Monat eine Eizelle produziert.
Ich nahm monatelang Tabletten, doch es half alles nichts. Schliesslich versuchten wir es mit Inseminationen – ich spritzte mir Hormone, mein Mann brachte Spermien ins Labor, wo sie mir mit einer Spritze eingeführt wurden – und als auch diese Variante dreimal scheiterte, standen wir am Scheideweg. Wollen wir den Schritt der künstlichen Befruchtung gehen? Oder endet hier unser Weg?
Wir wagten es. Für mich bedeutete das, mir weiterhin jeden Tag Hormone zu spritzen, Medikamente zu nehmen und mir schliesslich unter Narkose die Eizellen absaugen zu lassen. Im Labor wurden diese mit den Spermien meines Mannes befruchtet. Nach zwei Wochen elend langen Wartens erfuhr ich das Resultat des Bluttests: Ich war schwanger. Nach drei Jahren!
Ich habe geweint. Ich war überfordert. Es war surreal! Ich wusste nicht, wohin mit meinen Emotionen. Ich durfte eine schöne Schwangerschaft erleben und neun Monate später erblickte mein kleiner Sohn das Licht der Welt. Der Weg war schwierig – aber ich würde ihn immer wieder gehen.
Karim
Michelle macht sich noch kaputt. Meine Frau möchte unbedingt Kinder und hat sich richtig darin verbissen. Ich weiss nicht, wie ich ihr da raushelfen kann. Wir haben alles versucht und die Ärzte geben uns wenig Hoffnung. Es liegt an uns beiden: Ich habe zu schlechte Spermien und Michelle hat PCOS. Eine fatale Kombination.
Es gibt bei uns kein anderes Thema mehr.
Ich würde sehr gerne Kinder adoptieren – wir hätten auch gute Voraussetzungen. Aber Michelle kann noch nicht loslassen. Ich hoffe, sie kann das irgendwann mal und kann ihr Herz wieder öffnen für Alternativen.
Sibylle
Ich war so überheblich. Ich plane gern voraus, mache für alles To-do-Listen – und ich dachte, das mit dem Kinderkriegen ginge auch so. In meinem Umfeld klappte es bei allen ganz unproblematisch. Das dachte ich jedenfalls.
Irgendwann war auch für mich der perfekte Zeitpunkt gekommen. Wir hatten ein schönes Zuhause, ein grosser Konflikt mit meiner Schwester war gelöst und ich war beruflich dort, wo ich immer hinwollte. Ich war bereit. Ich sagte meinem Mann also, dass wir loslegen können.
Wir probieren es inzwischen seit sechs Jahren. Ohne Erfolg. Die Ärzte finden den Grund dafür nicht – und wir möchten keine Kinderwunschbehandlung in Anspruch nehmen.
Seit ich anderen erzähle, dass wir es vergeblich versuchen, höre ich plötzlich von ganz vielen Paaren, dass es bei ihnen nicht klappt. Es tut gut, darüber zu reden. So habe ich nicht das Gefühl, nur mit mir sei etwas falsch.
Marianne
Wir probierten es eineinhalb Jahre lang. Nichts passierte. Ich hatte damit gerechnet, vielleicht mal schwanger zu werden und in den ersten Wochen das Kleine wieder zu verlieren. Denn ich war ja gut vorbereitet! Ich habe viel gelesen über Wahrscheinlichkeiten, Komplikationen und so.
Die Komplikation, dass es überhaupt nicht klappt, hatte ich aber ignoriert. Ich war ja bis zu diesem Zeitpunkt gesund und hatte immer einen regelmässigen Zyklus.
Wir machten Abklärungen und fanden heraus: Ich produziere nur ganz wenige Eizellen. Die Chance, schwanger zu werden, war klein. Das war ein grosser Schock für uns. Ich nahm zuerst Tabletten, um die Reifung zu stimulieren. Das half gar nichts. Dann stimulierten wir stärker mit Spritzen.
Nichts half. Mein Körper reagierte stark. Ich weiss nicht, ob auf die Stimulationen, oder weil ich mich einfach so gestresst und hilflos fühlte. Ich hatte ständig Kopfschmerzen und fühlte mich nicht mehr wie ich selbst.
Ich war empfindlich, hässig. Ich hasste es, schwangere Frauen zu sehen.
Irgendwann stritten wir sehr oft und sehr fest – und mein Mann fragte schliesslich: «Ist es das wert?» Ich wusste es nicht mehr.
Wir gaben uns zwei Monate Verschnaufpause und beschlossen danach: Wir nehmen eine Eizellenspende in Anspruch. In der Schweiz ist das nicht möglich, also flogen wir in eine Klinik in Spanien. Beim zweiten Versuch klappte es. Und jetzt haben wir Gabriel. Ja, es war es wert! Auch wenn es uns über insgesamt fünf Jahre viel Energie und etwa 25’000 Franken gekostet hat.
Ich gehe in meinem Umfeld offen damit um. Viele fragen mich, ob das nicht komisch sei, dass Gabriel zwar in meinem Bauch heranwuchs, aber nicht meine Gene habe. Ich hätte auch gedacht, dass mich das stressen könnte. Aber das tut es nicht. Er ist mein Sohn, voll und ganz.
Greta
Ich bin wirklich nicht nah am Wasser gebaut, aber momentan weine ich ständig. Ich habe einen riesigen Kinderwunsch, schon seit frühester Jugend. Alle wissen das und fragen mich deshalb ständig, wann wir denn mal anfangen mit dem Kinderkriegen, schliesslich wären wir schon seit drei Jahren verheiratet.
Früher habe ich einfach nur gelächelt und gesagt: «Ich bin doch erst 25.» Das haben alle akzeptiert. In Wahrheit versuchen wir es seit viereinhalb Jahren und haben schon viele Behandlungen hinter uns. Drum schiessen bei mir im Moment immer grad die Tränen raus, wenn ich an meinen Kinderwunsch denke.
Vor allem nach dem Sex heule ich oft lange. Ich bin so erschöpft.
Wir versuchen es gerade mit In-Vitro-Fertilisation. Ich dachte früher, das sei die Notlösung für alle, bei denen es sonst nicht klappt. Dass auch das überhaupt keine Variante ist, wo es sicher einschlägt, das war mir nicht bewusst. Man hört so viel und liest vielleicht sogar Texte drüber. Aber das Ausmass versteht man erst, wenn man es selber erlebt.
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Auch, was so eine Behandlung mit dem Körper macht. Es klingt so einfach: Spritzen setzen und mehrere Eizellen heranreifen lassen, die man dann entnehmen kann. Als ich es hörte, dachte ich: «Ah ja, dann machen wir halt jetzt das. (Und geben dafür all unser angespartes Geld aus.)»
Und dann habe ich erlebt, in welchen Ausnahmezustand der Körper durch diese Hormone gerät. Es macht mich fertig… und manchmal weiss ich nicht, ob ich nach all den Behandlungen und der hormonellen Achterbahn überhaupt noch genug Kraft habe für eine Schwangerschaft und das Leben mit einem Kind. Klingt das nicht absurd?
Aline und Ben
Wir lieben uns nicht und lieben uns doch. Wir leben in zwei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und haben beschlossen, eine Grossfamilie zu gründen. Eine Familie mit vier Eltern, die sich ein Haus teilen und die Kinderbetreuung und die Mental Load und alles.
Es ist eher ungewöhnlich, aber wir wollten dieses Kind zuerst nicht durch medizinische Hilfe kriegen, sondern durch gewöhnlichen Geschlechtsverkehr. Aline trackte ihre Fruchtbarkeit mit einem Zykluscomputer und dann hatten wir getimten Sex.
Es war irgendwie lustig, miteinander Sex zu haben, weil es bei uns beiden schon viele Jahre her war, seit wir zuletzt mit jemandem des anderen Geschlechts geschlafen hatten. Es war lustig, weil wir beide darüber reden konnten, wie schräg es ist, und weil wir uns gut kennen und uns mögen, aber nicht begehren.
Es war jeweils ein Akt ohne Leidenschaft, ging nur um die Zeugung. Befreundete Heteropaare, die Kinderwunschbehandlungen machten und Sex nach Plan hatten, lachten und sagten:
Bei uns ist Zeugungs-Sex genauso kühl wie bei euch.
Vierzehn Mal hatten wir solchen Sex. Zwei Mal wurde Aline schwanger. Sie hatte aber Abgänge in der fünften und siebten Woche. Es war traurig, aber auch schön, das zu viert durchzustehen, uns zu stützen und Mut zuzusprechen. Irgendwann sagte uns der Gynäkologe, wir sollten über leichten medizinischen Support nachdenken. Wir hatten ehrlich gesagt auch langsam genug vom Rumprobieren und Bangen.
Jetzt versuchen wir es mit Insemination. Auch IVF kommt für uns in Frage. Das Gute an unserer Konstellation: Wir können uns die hohen Kosten einer Kinderwunschbehandlung durch vier teilen. Wir waren alle überrascht, welche Beträge da zusammenkommen durch Abklärungen, Labortests, Medikamente et cetera. Jetzt hoffen wir, dass unser Wunsch bald in Erfüllung geht.
Christian
Ich bin kein verklemmter Mensch, aber ich habe grosse Mühe damit, mein Sperma in einen Becher zu spritzen und diesen Becher dann schnellstmöglich in ein Labor zu bringen. Den Becher direkt im Labor füllen? Ich glaube nicht, dass ich dafür genug entspannen könnte und überhaupt einen Samenerguss hätte.
Wir versuchen schon länger, ein Kind zu bekommen, aber es klappte bisher nicht. Nun haben wir uns untersuchen lassen. Das Resultat: Alles ist gut, soweit man das sehen kann. Aber weil es schon so lange nicht zu einer Schwangerschaft kam, versuchen wir es jetzt mit Insemination.
Mein Kinderwunsch ist gross, vielleicht grösser als der meiner Partnerin Lisa. Aber der Anblick dieser Becher und die Vorstellung, vielleicht noch öfters in so einen zu ejakulieren, das stresst mich extrem.
Im Umfeld fragen alle, wie es Lisa geht in dieser Situation – mich fragt niemand. Weil es wohl nicht als so schlimm empfunden wird, nur noch auf sein Sperma reduziert zu werden und dieses in irgendwelche Behälter reinzuspritzen. So gern würde ich mal sagen:
Mein Körper wird auch tangiert von der Behandlung, er steht auch unter Stress!
Ja, ich merke selber, wie jammerig das klingt. Und ich unterstütze Lisa in allem, nehme mich zurück, wo ich kann. Aber es gibt einfach Momente, wo ich auch verzweifelt bin und nicht weiss, wohin mit diesen Gefühlen.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 22. Mai 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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