Kinderkleider und die Schubladen in unserem Kopf
Wie kann man ein Kind unterstützen, authentisch und selbstbestimmt zu werden? Manchmal, indem wir eigene Denkmuster hinterfragen, zum Beispiel bei der Kleidung. Nadja Schnetzler über ihre Erfahrungen.

Beim Begleiten meiner Kinder vertraute ich auf meine Philosophie des Hands-off-Parenting. «Hands off» bedeutet für mich das Vertrauen in meine Kinder, dass sie selber herausfinden, wer sie sind und wie sie ihr Leben führen wollen. Aber in Bezug auf Rollenzuschreibung fiel ich in verschiedener Hinsicht in gewisse Muster.
Im Kindesalter schrieb ich dem älteren Kind eine männliche Rolle zu und dem jüngeren eine weibliche Rolle.
Ich hatte keine spezielle feministische Bildung und habe mich erst im Lauf der letzten 15 Jahre mit dem Thema überhaupt intensiver befasst.
Zwei Kinder, zwei komplett verschiedene Haltungen zu Kleidung
Das ältere Kind hatte bis ins Teenageralter keine starke Beziehung zu Kleidern (oder zumindest sah ich das so) und war froh, wenn ich ihm Kleidung kaufte. Am Morgen suchte das Kind sich aus, was es anziehen wollte, fertig.
Die jüngere Tochter hingegen wollte schon mit vier Jahren jeden Morgen mit ihren Freundinnen darüber reden, was alle in die Kita anziehen. Wir mussten ganz schön früh aufstehen, um der Outfit-Auswahl genügend Zeit einräumen zu können.
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Beim älteren Kind musste ich ab und zu dafür sorgen, dass abgetragene oder zu kleine Sachen aus der Kleider-Rotation kamen oder dass komplett schmutzige Kleider nicht wieder angezogen wurden. Im Gegensatz dazu wollte die Jüngere schon mit fünf ihre eigenen Kleider kaufen und auch nicht begleitet werden.
Das ältere Kind trug öfter mal zwei verschiedene Socken, während das jüngere immer wie aus dem Ei gepellt aussehen wollte.
Im Teenage-Alter probierte die Jüngere dann aus, was passiert, wenn sie sich auf bestimmte Art kleidet. Da ich nie eine Bemerkung machte, kam nach einiger Zeit die Frage: «Warum sagst du mir nicht, dass ich so nicht rausgehen darf?»
Diese Frage lancierte eine Konversation. Darüber, warum ich finde, dass sie jederzeit tragen kann, was sie möchte. Dass es Menschen geben wird, die das anders sehen oder die denken, dass freizügige Kleidung bedeutet, dass man sie auf unangenehme Weise ansprechen oder anmachen darf.
Mir war es sehr wichtig, meiner Tochter verständlich zu machen, dass keine Kleidung irgendjemandem das Recht gibt, sexualisierte Gewalt auszuüben. Das sind keine einfachen Konversationen, und ich wünschte mir, ich hätte sie noch informierter, noch klarer, noch direkter führen können.
Wir können dazulernen – auch bei Kleidung
Ich kleidete mein männlich sozialisiertes Kind sehr gendertypisch – also so, wie damals männlich gelesene Kinder oft angezogen waren.
Ich tat dies aus Unwissen oder aus Bequemlichkeit. Doch ich bin sicher, dass ich komplett «Hands off» gewesen wäre, wenn das ältere Kind sich als Schulkind femininer oder überhaupt anders hätte kleiden wollen als es die gesellschaftliche Norm vorgab.
Heute kleidet sich mein älteres, erwachsenes Kind sehr vielfältig, fantasievoll und auf eine normfreie Art. Das feiere ich, genauso wie die modebewusste, minimalistische Garderobe meiner Tochter.
Clothes have no gender – Kleider haben kein Geschlecht.
Das ist ein hilfreiches Motto, das mich begleitet, wenn ich Menschen begegne, die ich von Kleidung oder Aussehen her nicht in eine bestimmte Schublade stecken kann. Denn wie alle von uns habe ich gelernt, dass man Menschen in Schubladen steckt und einsortiert.
Dieses Schubladendenken zu verlernen, ist mir wichtig und macht mir auch immer mehr Spass.
Passend dazu: Das Manifest zur Hands-off-Philosophie

Wie wir Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, authentische, selbstbestimmte Erwachsene zu werden, die für ihre eigenen Bedürfnisse einstehen und auf die Bedürfnisse anderer Menschen eingehen können.
Das Manifesto zum Ausdrucken in A3- oder A4-Format findest du exklusiv bei uns im Store als Download.
Noch mehr zu Hands-off-Parenting?
Hier geht es zum Text über eine Hands-off-Haltung beim Thema Medienkonsum.
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Veröffentlicht am 18. Januar 2025
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