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Trennungsangst: Was tun, wenn das Kind beim Abschied weint?

Von heute auf morgen will das Kind nicht mehr in die Kita, die Spielgruppe oder den Kindergarten. Woher kommt die plötzliche Trennungsangst und wie kann man sie überwinden?

Von Sarina Neuhauser

Kind, von oben fotografiert, lehnt an einer Glasscheibe und schaut hinaus - Trennungsangst: Was tun, wenn das Kind beim Abschied weint?

Er schrie. Er weinte. Er klammerte sich an mich, als ob das Schlimmste auf ihn warten würde. Ich stand mit meinem vierjährigen Sohn vor dem Kita-Eingang und war verunsichert. Wieso wollte er nicht hineingehen, wie all die Monate zuvor? Warum fiel ihm der Abschied plötzlich so schwer? Und wie sollte ich mit dieser Trennungsangst umgehen?

Um das herauszufinden, habe ich mit einer Fachperson gesprochen. Sabine Kugler ist Schulsozialarbeiterin, Erwachsenenbildnerin und Elterncoach. Sie sagt: «Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kinder Mühe haben, sich von den Eltern, ihren engsten Bezugspersonen, zu trennen. Kinder brauchen Sicherheit und wissen, dass ihre Eltern sie instinktiv beschützen. Ab etwa halbjährig löst es grosse Verunsicherung und Angst aus, wenn der sichere Hafen plötzlich weg ist. Diese Urangst sichert das Überleben.»

Ich bringe meinen Sohn seit über zwei Jahren zweimal pro Woche in die Kita. Meistens sehnt er diese beiden Tage nicht herbei. Nicht etwa, weil es ihm dort nicht gefallen würde. Abends, wenn ich ihn abhole, ist er immer gut gelaunt. «Mami, du bist zu früh», höre ich oft. Es sind die Abschiede, die ihm schwerfallen.

Kein fröhliches Kind abzugeben, verunsichert mich.

Es verunsichert mich, obwohl ich weiss, dass die Erwartung, er möge freudestrahlend hineingehen, weder realistisch noch berechtigt ist.

Über die Zeit hatte sich bei uns und unserem Sohn eine gewisse Abschieds-Routine eingespielt. Das änderte sich auch nicht, als sein kleiner Bruder auf die Welt kam – eine einschneidende Veränderung, in der wohl mit allem zu rechnen gewesen wäre.

Seine plötzliche Trennungsangst traf mich völlig unvorbereitet.

Es war ein Mittwochmorgen im August. Der Mittwoch ist der zweite Kita-Tag, meistens geht der Abschied dann besser. Die Sommerferien lagen bereits mehr als eine Woche zurück, die Geburt des kleinen Bruders ein knappes halbes Jahr. Ich fand keine naheliegende Erklärung, wieso mein Sohn so sehr weinte und auf keinen Fall hineingehen wollte.

«Es sind nicht nur einschneidende Erlebnisse wie etwa die Scheidung der Eltern, die Geburt eines Geschwisters, ein Todesfall oder Wohnortwechsel, die Unsicherheiten auslösen können, sondern auch Sprünge in der körperliche oder mentalen Entwicklung des Kindes», sagt dazu Sabine Kugler.

«Auch Veränderungen im Kita-Alltag können beim Kind zu Rückschritten führen – zum Beispiel eine neue Bezugsperson oder ein Umbau. Ausserdem spielt die elterliche Biografie eine Rolle; die Art und Weise, wie Mama und Papa Trennungen erlebt haben. Generell können sich Unsicherheiten der Eltern, beispielsweise, wenn sie am Kita-Konzept zweifeln, auf das Kind übertragen. Im Grunde kann jegliche Anspannung einen Einfluss haben, auch das, was sich auf der gesellschaftlichen Ebene abspielt, wie Corona, Krieg oder die Energiekrise.»

Zurück zu diesem Mittwochmorgen im August: Komplett überfordert versuchte ich, meinen weinenden Sohn zu trösten und ihm zu versichern, dass ich wieder komme – in der Hoffnung, er möge sich beruhigen, aber auch wohlwissend, dass der Verstand in einer solchen Situation nicht funktioniert. Letztlich musste ihn eine Betreuungsperson gegen seinen Willen von mir nehmen und hineintragen. Emotional erschöpft fuhr ich nach Hause. Am liebsten hätte ich ihn wieder mitgenommen.

In mir sträubt sich alles, wenn ich mein Kind leiden sehe.

Sein Leid ist mein Leid. Der erste Impuls: Ich will alles dafür tun, dass es ihm besser geht. So erleben es wahrscheinlich die allermeisten Eltern.

Trotzdem liess ich meinen Sohn in seiner Not zurück.

Immerhin in einer ihm bekannten Situation mit Vertrauenspersonen. «Was bin ich nur für eine Mutter?», dachte es aber automatisch. Kurze Zeit später habe ich in der Kita angerufen. Er schien sich schnell beruhigt zu haben.

Ich war froh, aber ein ungutes Gefühl blieb, zusammen mit vielen Fragen und Befürchtungen. Werden sich die nächsten Abschiede auch so abspielen? Habe ich dafür genügend Kraft? Oder sollen wir ihn aus der Kita nehmen? Und wenn wir es durchziehen, was macht das mit ihm? Sind solche schwierigen Trennungen traumatische Erfahrungen?

Die mir nur allzu bekannte Angst, etwas zu tun, das meinem Kind schaden könnte, machte sich breit.

Sabine Kugler konnte mich beruhigen: «Es ist wichtig, dass Kinder auch unangenehme Gefühle erleben dürfen, denn sie gehören zum Leben dazu. Ihnen alles Schwierige zu ersparen, ist nicht sinnvoll.» Das Kind müsse aber wissen, dass es sich auf seine Eltern verlassen könne. «Es muss darauf vertrauen können, dass es wieder abgeholt wird. Wenn das, was seine Eltern sagen, verlässlich ist, macht das Kind eine positive Erfahrung: Es lernt, dass es Trennungssituationen trotz Verunsicherung und schwierigen Gefühlen schaffen kann. Das macht stolz und selbstbewusst.»

Das Kind von schwierigen Gefühlen abzulenken, sei keine gute Idee, sagt Sabine Kugler: «Es besteht die Gefahr, dass das Kind beginnt, an sich zu zweifeln und nicht lernt, sich und seine Gefühle ernst zu nehmen.» Problematisch sei eine Trennung dann, wenn es für das Kind keine Verlässlichkeit gebe. «In diesem Fall erlebt es sie als traumatisch und kann keine gesunde Stärkung daraus erfahren.»

Zu den schmerzhaften Gefühlen und Zweifeln, die diese schwierigen Abschiede von meinem Sohn in mir verursachten, gesellte sich in Windeseile das schlechte Gewissen – angefeuert von Gedanken, denen ich als moderne Frau vehement widerspreche. Ich bringe meinen Sohn in die Kita, obwohl ich aktuell gar keiner Arbeit ausser Haus nachgehe.

Das schlechte Gewissen plagte mich.

Ist eine Familie auf zwei Einkommen angewiesen, kann man Kita-Tage wohl gut rechtfertigen, selbst dann, wenn die Kinder leiden. Ich aber bin zu Hause mit einem Baby und mute dem grossen Bruder diese schwierigen Momente zu. Ist das nicht egoistisch? Die Frauen der vorangehenden Generation haben ihre Kinder auch nicht zum Spass abgegeben. Die waren zu Hause und haben sich um ihren Nachwuchs gekümmert. Was denken die wohl von mir?

Ich erzähle offen vom Trennungsschmerz meines Sohnes. Die Reaktionen sind immer wohlwollend, auch mir gegenüber.

Niemand gibt mir das Gefühl, eine Rabenmutter oder faul zu sein. Auch ich versuche es mir immer wieder auszureden, schliesslich schmeisse ich einen grossen Patchwork-Haushalt mit zuweilen fünf Kindern, trage die Hauptlast der Kinderbetreuung – mein Mann ist geschäftlich oft abwesend – und leide unter enormem Schlafmangel seit der Geburt des Kleinsten. Nur hat bisher keine Rechtfertigung die patriarchalen Stimmen in meinem Kopf gänzlich zum Schweigen bringen können.

Ich musste loslassen und vertrauen.

Die nächsten Abschiede in der Kita liefen nicht besser, obwohl er einen Riechstift mit Lavendel und einen mit Mandarine dabei hatte (weitere Ideen von der Fachperson weiter unten). Nun wusste ich aber, was auf mich zukommt, und ich konnte mit ihm das Abschiedsritual im Vorfeld besprechen. Hineingetragen zu werden, war für ihn in dieser Situation hilfreich.

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«Klare und transparente Abschiede sind für Kinder ein Sicherheitssignal», sagt Sabine Kugler. «Zum Beispiel so: Augenhöhen schaffen, dem Kind sagen, was man macht, bis man es wieder abholt, es umarmen und dann auch wirklich gehen und den Fachleute vertrauen.» Hilfreich sei auch, wenn sich die Eltern über ihre Entscheidung, das Kind in der Kita betreuen zu lassen, im Klaren seien.

Kinder haben sehr feine Antennen und spüren, wenn die Eltern verunsichert sind.

«Das heisst nicht, dass den Eltern die Trennung leicht fallen muss. Auch sie dürfen den Trennungsschmerz spüren und dazu stehen. Es kann hilfreich sein, diesen Gefühlen nachzugehen und zu erforschen, welche Befürchtungen sich womöglich dahinter verbergen. Auch Eltern müssen das Loslassen lernen, vor allem Mütter, die durch die Schwangerschaft eine besonders enge Bindung zum Kind haben.»

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Die Kita ist nicht nur für meinen Sohn, sondern auch für mich ein gutes Übungsfeld. Trotz schwieriger Gedanken und Gefühlen bin ich überzeugt, dass es richtig ist, weiterzumachen. Auf der Basis von Verlässlichkeit und emotionaler Sicherheit will ich ihm und mir diese Trennungssituationen weiterhin zumuten, im Wissen, dass wir gestärkt daraus hervorgehen. Es ist ein Prozess. Wir wachsen beide daran und freuen uns gemeinsam über die Erfolgserlebnisse.

Ideen von der Expertin, die die Trennungsangst lindern können

Sarina Neuhauser, Autorin, Plötzlich Stiefmutter - mal ehrlich

Autorin

Sarina Neuhauser lebt mit ihrer Patchworkfamilie und drei Hühnern – benannt nach Frauenrechtlerinnen – am Bodensee. Sie schätzt es, mit ihrer mittlerweile volljährigen Bonustochter über Gender, Veganismus und Gleichberechtigung zu diskutieren und damit die anderen (männlichen) Familienmitglieder herauszufordern.

Informationen zum Beitrag

Veröffentlicht am 6. August 2024


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Eine Antwort

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  1. Avatar von LENI
    LENI

    Liebe Sarina, oh wie wunderbar treffend und ehrlich formuliert. Hab ähnliche Gedankenkaruselle gehabt während Waldspielgruppe abgaben. wünsche viel Elan beim Dranbleiben. Herzliche Grüsse aus Bern