Körperwahn beim Baby: «Wenn sie krabbelt, purzeln die Kilos!»
Bereits nach der Geburt wurde das Essverhalten meines Babys kommentiert. Wieso wir dringend den Körperwahn bei Babys hinterfragen müssen.
Von Geburt an wurde der Körper meiner Tochter kommentiert und ihr Ess- respektive Trinkverhalten mit Argusaugen beobachtet. Ein Erfahrungsbericht einer frischgebackenen und plötzlich verunsicherten Mama.
Zu dick, zu dünn, zu gross, zu klein. Dass unsere weiblichen Körper stets begutachtet, beurteilt und kommentiert werden, kennen wir ja bereits. Dass das bei Mädchen allerdings bereits im Babyalter passiert, habe ich relativ rasch nach der Geburt meiner Tochter erfahren müssen. Und mit rasch meine ich, als sie rund zwei Monate alt war. Sie war ein gesundes Baby, mein Körper mit Oxytocin durchflutet, das Stillen klappte nach den ersten Startschwierigkeiten wunderbar und in ungefähr dreistündigen Abständen.
Und trotzdem kamen sie reingeschwemmt, die ungefragten Kommentare.
Sie hat aber schöne Speckbeinchen.
Sieht ein bisschen aus wie ein kleiner Buddha.
Hui, so richtig kugelrunde Bäckchen.
Ob das böse gemeint war? Mitnichten. «Ist ja herzig», so ein rundes, wohlgenährtes Baby.
Und doch erkannte ich irgendwann ein Muster. Ein Muster, das nicht in Ordnung ist. Es kamen Kommentare von allen Seiten: Von Freunden, der Familie, der Kinderärztin. Mir wurde nahegelegt, mein Kind weniger zu stillen und ihm stattdessen eine Reiswaffel zu geben.
Man merke: Meine Tochter war bei dieser Aussage knapp vier Monate alt und hatte noch keine Zähne. In diesen ersten Lebensmonaten – der wohl strengsten Zeit und hormonell krassesten Achterbahnfahrt, die ich je fuhr – war ich ob diesen Äusserungen natürlich vor allem eins: verunsichert. Ich gab meiner Tochter sogar diese Reiswaffel – an der sie fast erstickte.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Zu klein geraten ist sie definitiv nicht.
Bei diesen Beinen sind ja alle Hosen zu eng.
Deine Milch scheint offensichtlich gut zu schmecken.
Meine Tochter war bei der Geburt total im Durchschnitt. Sie war gesund, verzauberte uns schon bald mit ihrem Lächeln, schlief mal gut, mal weniger, und: hatte Appetit. Sie wuchs prächtig. Und schoss in der Kurve, die Ärzt:innen zur Überprüfung des Wachstums anwenden, ganz nach oben. Sie entwickelte sich normal und nach genauerem Nachfragen bestätigten mir die Kinderärztin sowie die Mütterberaterin dann doch noch, dass ein Baby gar nicht zu oft gestillt werden könne.
Das Hunger- und Sättigungsgefühl ist bei einem Baby nämlich noch so natürlich wie danach wohl nie mehr. Ist das Baby satt, hört es auf zu trinken und nuckelt gegebenenfalls einfach noch ein wenig weiter. Das Phänomen «Überstillen» gibt es also gar nicht. Und: Einem Kind Milch oder später Essen vorzuenthalten und es so in seinem natürlichen Hungergefühl zu übersteuern, ist gefährlich. Es können sich langfristige Essstörungen entwickeln. Wieso also dieser Körperwahn bei Babys?
Indem ich mein Kind nach Bedarf stillte, machte ich also alles richtig. Und doch überkam mich das Gefühl, als Mutter etwas falsch zu machen (#momshaming, kennsch?).
Weisst du, sobald sie krabbelt, purzeln die Kilos schnell.
Ein bisschen Reserve ist doch gut, falls sie krank wird.
Wenn sie Brei isst und nicht mehr nur fettige Muttermilch trinkt, regelt sich das von alleine.
Plötzlich konnte ich die Breiphase kaum erwarten und erwischte mich dabei, wie ich hoffte, dass das Gemüse ihre Röllchen zum Schmelzen bringen würde. Drei Mal könnt ihr raten: Auch als wir mit Brei begannen, hörten die Bemerkungen nicht auf. Denn sie war eine gute Esserin, mochte alle Breisorten von Gemüse über Früchte bis Griess.
Sie sieht ein bisschen aus wie ein Rollschinken.
Ihre grösste Lust ist ganz klar das Essen.
Wenn die nur was zu essen hat, ist sie glücklich.
Irgendwann lachte ich einfach mit, stieg mit ein in die lustig gemeinten Kommentaren, weil ich gar nicht mehr wusste, wie ich reagieren sollte. Heute, nach knapp eineinhalb Jahren frage ich mich jedoch: Sind wir denn alle nicht ganz bei Trost? Was fällt uns ein, ein so kleines Mädchen bereits auf ihren Körper zu reduzieren? Müssen weibliche Babys wirklich klein und fein sein, um der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen?
Dass Mädchenkleider oft enger geschnitten sind als jene für Jungs, ist übrigens ein weiteres Thema, das einen eigenen Artikel verdient hätte. Die grösste Frage, die ich mir jedoch stelle: Merken wir denn nicht, dass bereits Babys und spätestens Kleinkinder ganz genau verstehen, was wir sagen und sich diese beleidigenden Kommentare und Stereotypen bei ihnen einbrennen könnten?
Im Übrigen war der fast gleichaltrige Sohn einer guten Freundin ebenfalls ganz oben auf der Perzentile. Was denkt ihr, welche Kommentare er zu hören kriegte?
Du bist aber kräftig.
So ein grosser, starker Junge.
Du wirst sicher einmal ein guter Eishockeyspieler.
Das ist ein Appell: Lasst uns aufhören, das Essverhalten unserer Kinder zu kommentieren. Lassen wir sie natürlich Kinder sein. Lasst uns dankbar sein, wenn sie genügend trinken und essen und daran Freude verspüren. Lasst uns die Mütter in ihrem Mutterinstinkt stärken und unterstützen.
Und falls du eine Mutter bist, die Ähnliches erlebt: Lass dich nicht verunsichern, du machst alles richtig. Und wenn du die Kraft hast: Mach beleidigenden Kommentierenden in einem ruhigen Moment klar, dass du nicht möchtest, dass so über und mit deinem Kind gesprochen wird.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 28. Juli 2023 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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