Mütter unter Druck: Zu hohe Erwartungen machen krank
Nach der Geburt ist alles anders. Und trotzdem wird von Müttern erwartet, möglichst schnell zur Normalität zurückzukehren. Diese absurden Erwartungen stürzen uns ins Verderben.
Das Wochenbett ist das Ende aller Illusionen. Ich erinnere mich daran, wie ich mich auf meine „Mamipause“ freute. Ferien, bizeli Kindlein bäbele und viel lesen, weil hey: Neugeborene schlafen so viel.
Die Realität sah dann so derartig anders aus, dass ich keinen geeigneten Vergleich finde. Mein Mann und ich liefen fünf Monate mit unserem Schreibaby im Tragetuch durch die Wohnung. Hüpften auf dem Pezziball auf und ab, liefen ums Haus, liefen durchs Quartier, liefen durch die halbe Stadt. Mieden jegliche öffentliche Verkehrsmittel, Restaurants oder sonstige soziale Treffpunkte.
Isolierten uns.
Ich erinnere mich daran, wie ich anfänglich nach Ausreden suchte, wieso wir nicht an diesen Apéro und jenes Essen kommen konnten. Ich schämte mich dafür, dass wir offensichtlich zu wenig Energie für unser altes Leben hatten. Offensichtlich darin versagten, Eltern und trotzdem wie früher zu sein.
Ich wollte keine Freunde dahaben. Ich wollte nicht reden, ich wollte keinen Kaffee kochen und ich wollte nicht so gesehen werden, wie ich war: Leer, müde, eine verletzte Hülle.
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Erst heute, zweieinhalb Jahre nach der anstrengendsten Zeit meines Lebens weiss ich, dass in meiner Scham der entscheidende Fehler lag. Wir müssen aufhören, auf unseren Mund zu sitzen und anfangen, das Kind beim Namen zu nennen:
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Mutter zu werden ist verdammt hart!
So verdammt hart, dass viele Frauen beinahe daran zerbrechen. Und je mehr wir akzeptieren, dass unsere Gesellschaft das Scheinbild aufrechterhält, wonach frau nach der Geburt eines Kindes in kürzester Zeit wieder „back to normal“ funktioniert, desto mehr erhöhen wir den Druck auf jede Frau in dieser irrsinnig vulnerablen Phase.
Heute begleite ich Frauen während ihrer Schwangerschaft und der Geburt als Doula und unterrichte Schwangerschaftsyoga mit Geburtsvorbereitung. In jedem Kurs habe ich Frauen, die mich kurz nach der Geburt ihres Kindes anrufen und mich fragen, ob sie wieder joggen gehen dürfen. In jedem Kurs habe ich Frauen, die bis zum Beginn der Wehen arbeiten, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren oder karrieretechnisch übergangen zu werden.
Und in jeder Begleitung sprechen meine Frauen über grosse Ängste. Ängste, den Erwartungen an Mütter nicht mehr zu genügen, nicht mehr alles zu schaffen, zu scheitern. Und all diese Frauen sind nicht schuld an ihren Gefühlen und dem immensen Druck, gegen aussen zu funktionieren.
Die gesellschaftlichen, absurden Erwartungen an Mütter sind schuld.
Diese gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass Frauen nach der Geburt ihres Kindes so tun, als wäre nicht geschehen, wurde von Menschen etabliert, die nicht das Wohl der Frau oder des Kindes im Fokus haben, sondern den Markt.
Es wird suggeriert: Wenn Hollywood-Schauspielerin XY nach einem Monat den sexiest Body alive hat, dann ist es realistisch, kurz nach der Geburt zumindest halbwegs das Gewicht von vor der Schwangerschaft zu haben. Drei Monate danach aber darf schon nichts mehr schwabbeln.
Wenn Hollywood-Schauspielerin XY im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes bereits zwei Filme abgedreht hat, dann darf man bitteschön erwarten, dass frau neben dem Baby auch wieder Haushalt und Beruf unter einen Hut bekommt. Und sowieso: Früher hatten unsere Omas fünf Kinder. Habt euch mal nicht so.
Die Nachricht ist klar: Get over it! Tu so, als wäre nichts geschehen!
Wir müssen aber nicht nach Hollywood sehen, um zu begreifen, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter realitätsfern sind. Wenn ich meinen Freunden im Ausland erzähle, dass wir in der ach so vorbildlichen Schweiz knauserige 14 Wochen Mutterschaftsurlaub bekommen, machen sie grosse Augen.
Wer ernsthaft erwartet, dass eine Mutter drei Monate nach der Geburt ihres Kindes die nötige Kraft hat, wieder normal und wie zuvor zu funktionieren, der sollte einfach erst einmal selber gebären.
Spüren, wie es ist, diesen leeren, weichen Bauch zu haben, der sich anfühlt, als würden einem alle Organe gleich herausrutschen. Sich täglich zwanzig Mal die vollgeblutete Binde wechseln. Nach der Dammnaht tasten und sie beim Geschäft auf der Toilette mit warmem Wasser abspülen, um das Brennen zu ertragen. Alle zwei Stunden stillen. Mindestens eine Stunde lang, by the way. Die Brüste kühlen, wärmen, ausstreichen, um Entzündungen und Staus zu vermeiden. Das Kind herumtragen, wickeln. Kochen. Putzen. Und wieder stillen.
Ach ja, das alles mit etwa vier Stunden Schlaf – natürlich nicht am Stück.
Ich bin mir sicher: Wenn Männer diese Phase durchleben müssten, dann wäre eine Elternzeit von mindestens zwei Jahren auf oberster politischer Ebene verankert. Schon lange. Aber genau; ist ja Frauensache.
Und an uns Frauen ist es, ganz laut zu sagen, wie es ist: Nämlich einfach kein Zustand, der human wäre. Keiner, den es zu akzeptieren gilt. Keiner, der funktioniert. Sondern einer, der mit schuld daran ist, dass Jahr für Jahr Frauen Depressionen bekommen, Burn-outs, psychische Probleme oder einfach still und ohne Diagnose leiden und sich isolieren.
Weil wir keine Zeit haben, uns umzustellen. Weil wir nicht wirklich in die Mutterrolle hineinfinden, da wir so sehr damit beschäftigt sind, wieder wie früher auszusehen, zu funktionieren, zu sein. Weil wir gezwungen werden, unseren Wandel – diese immense Veränderung unseres Wesens – zu leugnen. So zu tun, als sei alles beim Alten. Weil wir nicht einfach sagen können: Jetzt ist alles anders.
Aber das ist es.
Bei mir wurde ein halbes Jahr nach der Geburt meines Sohnes eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert, einige Monate später zusätzlich eine Erschöpfungsdepression – Burn-out.
Ich war krank, kaputt, am Ende.
Und ich begann zu verstehen, dass es auch kein Wunder war, sondern viel eher eine logische Konsequenz des immensen Drucks, all diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Heute versuche ich, den Frauen in meinen Kursen von vornherein klarzumachen, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter – ähnlich wie Instagram – ein verzerrtes Bild suggerieren, das mit der eigentlichen Realität einer frischgebackenen Mutter wenig zu tun hat. Doch dieses Wissen nützt leider nur bedingt gegen den Sturz in dieses grosse Loch, in das so viele Frauen nach der Geburt fallen.
Nachhaltig verändern wird sich das erst, wenn sich auf gesellschaftlicher und politischer Ebene etwas ändert. Bis dahin können wir nur eins tun: Uns nicht mehr für unser vermeintliches Versagen schämen und stattdessen sagen, wie es ist.
Laut sagen, dass wir überlastet sind. Dass wir müde sind. Und dass wir erwarten, dass unser Leid gesehen und unsere Bedürfnisse gehört werden.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 15. März 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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