Schnäggli, Pfiifeli? Wie Eltern mit Kindern über Geschlechtsteile sprechen sollten
Dania Schiftan ist Doktorin in Sexologie und begegnet vielen unsicheren Eltern. Sie schreibt, wie wir unsere Kinder auch im Bereich Körper und Sexualität zu kompetenten Wesen erziehen.

Wenn ich erzähle, dass ich von Beruf Sexual- und Psychotherapeutin bin, werde ich von Eltern allerlei Dinge gefragt zum Umgang mit der kindlichen Sexualität. Man könne ja so viel falsch machen. Die Unsicherheit der Eltern beginnt bereits mit der Frage, wie man die Geschlechtsteile der Kinder eigentlich nennen soll.
Eine sehr interessante Frage. Auch interessant: Dass ich nie gefragt werde, wie man die Extremitäten der Kinder nennen soll.
Ein Arm ist ein Arm, ein Bein ein Bein. Es scheint also bei allen anderen Körperteilen vollkommen klar zu sein, welchen Namen man ihnen geben soll – ausser beim Geschlecht. Da will man offensichtlich eine Ausnahme machen.
Warum bei den Geschlechtsteilen?
Es gibt natürlich verschiedene Ursachen, weshalb diese Unsicherheit besteht. Der Hauptgrund ist, dass den Erwachsenen oft selber die Begriffe fehlen für ihre Geschlechtsteile. Dass sie selber nicht recht wissen, wie sie ihr „da unten“ eigentlich benennen sollen. Deshalb fühlen sie sich auch unwohl, die gewählten Bezeichnungen gegenüber ihren Kindern zu erwähnen.
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Die meisten Eltern sind nämlich – wie ihre Kinder – wortlos aufgewachsen.
Die Frage nach der „korrekten“ Bezeichnung des Geschlechts taucht häufiger bei Frauen, beziehungsweise im Zusammenhang mit Frauen und Mädchen auf, weil die meisten Frauen gar keine Begriffe für ihre eigenen Geschlechtsteile verwenden. So sprechen sie über Mumu, Schnäggli, Muschi, und die sich etwas aufgeklärter Fühlenden verwenden den Begriff Scheide – was eigentlich der Vagina, dem inneren Geschlechtsorgan, entspricht, und nicht dem äusseren, sichtbaren, welches vermutlich damit gemeint ist.

Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Es fehlt uns oftmals einfach das Wissen über unser Geschlecht.
Deshalb hier ganz klar: aussen ist die Vulva mit den inneren und äusseren (Scham-)Lippen, dem Harnausgang und der Klitoris und innen die Vagina oder eben die Scheide.
Für das männliche Geschlechtsteil von Jungs finden sich ziemlich viele Ersatzwörter in unserem Vokabular, wie Pfiifeli, Schnäbeli, Pimmeli, Eier, Säckli und so weiter, mit denen wir uns einigermassen wohlfühlen. Offenbar hat man also eine Zwischenlösung gefunden – mit diesen doch sehr verniedlichenden Begriffen.
Beim ausgewachsenen Mann verwenden wir ganz häufig das Wort Schwanz. Die biologisch eigentlich korrekten Wörter Penis und Hoden verwenden wir allerdings sehr selten.
Wir sind uns gewohnt, dass Geschlechtsteile etwas Heikles und Spezielles, etwas Intimes sind.
Indem wir Geschlechtsteile nicht benennen, können wir nichts falsch machen. Oder?
Es ist genau das Gegenteil der Fall: Je mehr wir hinsichtlich unserer Geschlechtsteile eine Spezialsprache entwickeln und eine Ausnahmesituation generieren, desto mehr Missverständnisse werden entstehen, desto mehr Unwohlsein gibt es damit, und desto mehr Unsicherheit kommt auf.
Können wir unser Geschlecht nicht benennen und haben wir wenigen bis keinen verbalen Bezug zu diesem, dann erweckt das beim ganzen Thema Körpersicherheit und Körperwohlsein ein grosses Unbehagen.
Der Umkehrschluss: Wenn ich für etwas ein passendes Wort habe, dann gibt mir das Sicherheit. Ich werde kompetent. Jeder, der weiss, wie sein Geschlecht heisst und funktioniert, ist auch kompetenter mit diesem.
Was einen Namen hat, bekommt ein Gesicht und erhält eine Kraft.
Dies ist in unser allem Interesse, denn: Je besser ein Kind formulieren kann, wie seine Körperteile heissen, desto besser kann es sich mitteilen, wenn etwas weh tut, oder etwas sich ungut anfühlt.
Dies ist auch für seine Bezugspersonen zentral. Oder wie würdet ihr reagieren, wenn ein Gspändli eures Kindes zu Besuch ist und sich darüber beklagt, dass ihm sein Zwätschgeli weh tue?!
Wir wollen doch in allen anderen Bereichen unsere Kinder zu kompetenten Wesen erziehen, ihnen Sicherheit und Erklärungen geben, und sollten das auch in Bezug auf Körper und Geschlecht tun.
Im Zusammenhang mit Körper und Geschlecht stellen viele Eltern zudem die Regel auf, dass sie das Thema erst behandeln, wenn sie von den Kindern danach gefragt werden. In allen anderen Bereichen füttern wir unsere Kinder, notabene ungefragt, mit einem Haufen von Informationen wie „Das ist ein Haus! Das ist Geld! Das ist rot! Das ist eine Lendenwirbelsäule!“.
Es gibt keinen Grund, bei den Themen Körper und Sexualität die Parameter zu ändern.
Also: Liebe Eltern, eure Kinder haben Vulva und Vagina, beziehungsweise Penis.
Diese Begriffe sind nicht zu medizinisch, wie es auch die Arme nicht sind. Es gibt verschiedene Gründe, die es erfordern, die richtigen biologischen Begriffe zu verwenden. Je früher, desto besser.
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Noch eine Ergänzung: Wer kennt nicht die Momente, in denen man am liebsten im Boden verschwinden würde, weil das Kind mal wieder an einem möglichst öffentlichen Ort in möglichst hoher Lautstärke gefragt hat, wer hier alles ein Schnäbi habe oder ob die Brüste von der Frau vis-à-vis, die notabene ein beleibter Herr ist, doch eher klein seien…?
Anstatt im Erdboden versinken zu wollen, ermutige ich alle Eltern, stressfrei und ohne viel Aufhebens oder Sorge souverän zu bleiben und entsprechend zu antworten. Die Kinder wollen ja wissen, ob ihre Annahme stimmt, sie mit ihrer Vermutung richtig oder falsch liegen.
Für solche Momente braucht es keine spezifischen Massnahmen. Im Gegenteil:
Es ist wichtig, dass Kinder fragen und lernen einzuordnen, wie der Körper aufgebaut ist.
Ohne in einen Stress zu kommen und zu überlegen, was um Himmels Willen wohl die anderen dabei denken, darf man sagen, dass in der Regel die Männer einen Penis besitzen und dass das Gegenüber ein Herr ist. Und, dass das Kind gefälligst leiser reden soll.
Kinder können solche Situationen sonst schnell missverstehen und den Eindruck bekommen, dass irgendwas falsch ist an dieser Region da unten und wie sie darüber denken und fragen. Ist es aber nicht. Denn: Kinder wollen die Welt verstehen.
Let them be kids!
Autorin

Dania Schiftan ist Psychotherapeutin und klinische Sexologin und arbeitet in ihrer eigenen Praxis in Zürich. Sie ist Autorin von drei Büchern: Keep It Coming – Guter Sex ist Übungssache (gibt’s bei uns im Concept Store), Let’s Talk About Sex, eine Graphic Novel, und Coming soon – Orgasmus ist Übungssache. Nebenher ist sie in den Medien tätig und beantwortet viele Fragen rund ums Thema Sexualität. Zudem gibt sie Workshops und Weiterbildungen. Dania lebt mit ihrem Ehemann und zwei Kindern zusammen. www.daniaschiftan.ch
Mehr von Dania Schiftan bei uns:
Podcast: Die Vagina ist keine Turnhalle
Podcast: Ich habe keine Lust mehr auf Sex
Wie machst du es dir? Reden wir über Selbstbefriedigung
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 21. Juli 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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