Kolumne
Andrea Jansen ist mal ehrlich: Mit dem Kopf im Sand – oder im Eimer?
Manchmal hilft nur der Norovirus: Ein Bett, ein Eimer – und für kurze Zeit dreht sich die Welt nicht mehr um alles, sondern nur um dich. Bis sie dich wieder packt.

Also, irgendwie grad ein bisschen viel, das.
Kater zum zweiten Mal in einer Woche im Tierspital.
Neue Schule nach langer Zeit der Schulverweigerung.
Norovirus, vier von fünf Familienmitgliedern.
Eine halbe Stadt brennt ab, Freunde fragen nach Kleidung.
Incels rufen die «Manarchy» aus.
Melanias Hut.
Ich brauche Sand. Ganz viel Sand.
Ich brauche Sand. Viel Sand. Am besten so viel, dass ich den Kopf reinstecken und nur noch das Rieseln neben meinem Ohr hören könnte. Die Welt wäre wieder klein, überschaubar, auszuhalten.
Vielleicht täte es auch eine Magen-Darm-Grippe.
Norovirus. Allein beim Lesen des Wortes möchte man den Screen kurz abwischen. Der Noro zwingt einen zum kompletten Stillstand. Obwohl, von Stehen war nicht mehr die Rede, als er mich niederstreckte vor zwei Wochen, ich lag während Stunden einfach nur da, starrte die Fensterjalousien an und freute mich, wenn ich immerhin ein paar Gedanken bei mir behalten konnte.
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Der offensichtlichste, natürlich: Wie fragil ich bin, wie viel an der Gesundheit hängt, und welches Privileg es ist, in einem Bett zu liegen und umsorgt zu werden.
Erstaunlich aber auch: Wie die Welt sich eben auf ein Bett und einen Eimer reduzieren kann, innerhalb von Stunden.
Alles, was vorher dringend war, war es nicht mehr. Mit der Krise kommt auch der Fokus.
Ein Luxus, eigentlich – diese abrupte Reduktion aufs Minimum. Nur noch verantwortlich sein für mich selber, für meinen Körper, alles andere wurde mir abgenommen. Ich hätte sie genossen, diese Momente des Nichtstuns, des Nicht-Verantwortlich seins, des In-mich-gekehrt-seins – hätte es mich nicht alle dreissig Minuten wieder komplett nach aussen gekehrt.
Ich wusste aber auch: Es geht vorbei. Irgendwann stehe ich wieder auf, wanke auf zittrigen Beinen ins Wohnzimmer und melde mich zurück.
Dann hat die Welt mich wieder. Fest im Griff.
Mit dem Alltag kommen die Alltagsdramen, die Mental Load, meine To-do-Listen und Pflichten zurück. Nach dem intimen Hirn-Darm-Austausch jongliere ich bereits am nächsten Tag wieder alle Familienbälle, vier offene Whats-App Chats, plane eine Sitzung und schreibe diese Kolumne. Mom’s back.
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Eins nach dem andern, ich versuche Präsenz zu behalten. Bin bei meiner Familie, beim kranken Kater, im Meeting, im Familienchat und Klassenchat und Freundechat und gleichzeitig fast unter dem Tram, weil ich versuche, überall die kleinen Feuer zu löschen.
Und dann brennt es. Eine ganze Stadt. Ich sorg mich um Menschen, die mir nah sind in der Ferne. Meine eigenen Sorgen werden zu Sörgeli im Vergleich – zumindest objektiv gesehen.
Der Rest gibt mir den Rest
Doch wenn ich mich dann auch noch der Sphäre «Weltgeschehen» aussetze, reicht es endgültig. Klimakrise, Kriege, gesellschaftliche Gräben – es ist zu viel. Schon der Gedanke daran macht müde, bevor ich aufgestanden bin.
Und deshalb drücke ich mich oft. Feige, ich weiss, aber auch stoisch. Ich lese nicht täglich News, ich weiss nicht immer Bescheid, manchmal stecke ich sehr bewusst den Kopf in den Sand, weil er mir sonst zu explodieren droht.
Weil es aktuell grad so viel ist, dass es nur geht, wenn ich nicht alles gleichzeitig wissen, sehen, verarbeiten und vor allem: fühlen muss.
Meine Welt – ich mach mir sie so, wie-di-wie-di-wie sie mir gefällt – der Satz stimmt leider nicht. Ich konzentriere mich auf das, was ich beeinflussen kann. Und nehme in Kauf, dass ab und zu etwas Sand aus den Ohren rieselt.
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Veröffentlicht am 24. Januar 2025.
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