Wie viel arbeite ich? Die Eltern-Rechnung: Mental Load + Care-Arbeit + Erwerbsarbeit
Weil Care-Arbeit und Mental Load schwer fassbar sind, lässt sich unsere Leistung als Eltern nur schlecht messen und ist oft gefühlt nichts wert. Zeit, umzudenken! Mit Liste zum Ausdrucken und Ausrechnen.
Wer macht wie viel? Wer macht mehr? Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass bei uns diese Milchbüechlirechnungen nicht stattfinden. Wir leben kein traditionelles Familienmodell, ich bin ungefähr zu gleichen Teilen erwerbstätig wie mein Partner (allerdings nicht nur zu Bürozeiten) und leiste, gewollt, etwas mehr Betreuungsarbeit oder Care-Arbeit.
So weit, so gut.
Und dann ist es eben doch nicht immer gut: Immer wieder komme ich ans Limit.
Es wird zu viel. Der Hut zu klein. Die Zeit zu knapp. Ich bin gestresst, frustriert, fühle mich erdrückt.
Wenn wir – wieder einmal – zusammensitzen, um zu schauen, wie wir uns besser aufteilen können, komme ich in Erklärungsnot.
Was mache ich denn eigentlich alles?
Dieses bisschen Denken: die Mental Load
«Wenn du wüsstest, woran ich immer noch alles denken muss!»
«Woran denn zum Beispiel?»
«Ja, äh….zum Beispiel, neue Gummistiefel für die Kids, weil die alten zu klein sind…»
Augenrollen.
Gummistiefel?! Da geht man in den nächsten Laden, nimmt ein Paar, zägg und weg!
Ja, es war nicht das geschickteste Beispiel, das ich da gewählt hatte, um meinem Partner meine Belastung durch die «Mental Load» zu erklären. Die unsichtbare Denkarbeit, die zu unser aller Alltag gehört, die aber in Familien exponentiell grösser ausfällt. «Emotional Labor» wird sie auch genannt, oder «the third shift». Sie beinhaltet neben langen, abzuhakenden To-do-Listen auch Zwischentöne, kleine Aufmerksamkeiten.
Das Abschiedsgeschenk für die KiTa-Gruppenleiterin, die Deko für den Kindergeburtstag, das denkerische Planen des Wocheneinkaufs (wie kriegen wir möglichst wenig Food Waste hin? Wer mag was?). Kleine Dinge, eben, und wahrscheinlich sind die Gummistiefel trotz Augenrollen ziemlich beispielhaft.
Denn ja, Gummistiefel müssen her und die könnte man wahrscheinlich in fünf Minuten irgendwo bestellen – aber: Sind die Grössen auch verlässlich, oder muss ich sie dann eh zurückschicken? Kommen die Stiefel aus fairer Herstellung? Und Moment, standen da nicht secondhand noch welche zum Verkauf?
Die Mental Load tragen vorwiegend wir Mütter. Dieses bisschen Denken, das macht frau doch nebenbei, und oft wäre das Delegieren aufwändiger, als es einfach gleich selbst zu erledigen.
Die Mental Load ist nicht fassbar, und genau deshalb so schwierig zu quantifizieren.
Wir sind gestresst, ständig unter Strom, tragen die To-do-Liste im Kopf laufend nach. Will man die Mental Load beschreiben, flutscht sie durch die Finger wie ein glitschiger Fisch – oder eben, wirkt lächerlich. Ist doch in zehn Minuten erledigt, meint das Gegenüber – was machst du für einen Aufstand deswegen, und sowieso:
Sag doch, wenn ich helfen soll!
Womit wir dann wieder beim Delegieren wären, und die Frau ganz automatisch zum «Chef Familie» wird, obwohl sie möglicherweise zusätzlich einem bezahlten Job nachgeht und Betreuungsarbeit, Care Work, leistet.
Ein Comic, das diesen stillen Chrampf übrigens treffender nicht auf den Punkt bringen könnte, heisst «You should’ve asked» (von uns hier auf Deutsch übersetzt: Du hättest doch bloss fragen müssen).
Die mentale Arbeit ist der Hauptgrund, wieso die schöne, vorgeburtliche Vorstellung von der gleichberechtigten Elternschaft, in der wirklich beide Elternteile 50/50 leisten, oft eine Illusion bleibt. Aber wie kann man etwas quantifizieren, delegieren oder aufteilen, wenn es unsichtbar bleibt?
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Betreuungsarbeit: die verschupfte Schwester der Erwerbsarbeit
Immerhin lassen sich in Sachen Betreuungsarbeit Stunden aufschreiben: Kind steht auf, Kind geht irgendwann ins Bett. Wer nachts regelmässig aufstehen muss, rechnet ein paar Stunden hinzu. Ganz genau erfassen kann man die eigene Care Work mit Hilfe der App «WhoCares», mit der man seine tägliche unbezahlte Sorge- und Pflegearbeit zeitlich erfassen und in Lohn umrechnen kann.
Care Work lässt sich also gut quantifizieren. Einziges – aber leider ungünstiges – Problem: ihr Image.
Die Betreuungsarbeit ist seit jeher weiblich konnotiert, «Frauensache» und ist somit – Überraschung! – weniger wert. Zumindest in unserem kulturellen System.
Berechnungen werden zwar immer wieder gemacht – der Blogger Steven Nelms zum Beispiel hat den Wert der Betreuungsarbeit seiner Frau ausgerechnet, oder letztes Jahr wurde Hausfrauen in einer Hochrechnung ein Lohn von ca. 7’600 Euro zugesprochen. Fiktiv, natürlich. Zum Muttertag gab’s dann doch bloss einen Blumenstrauss.
Was, wenn wir für unsere Rechnung dieses Wertesystem ignorieren und die Betreuungsarbeit einfach mal gleichsetzen mit ihrer grossen Schwester Erwerbsarbeit? Wir erhalten einen Blick in eine Zukunft, in der wir Gleichberechtigung tatsächlich erreichen können.
Die Erwerbsarbeit: Erfolg wird finanziell definiert
Die ursprüngliche Definition von Arbeit und jene, die gerade bei uns in der Schweiz einen überdurchschnittlichen Stellenwert geniesst. Die Schweizer arbeiten im Schnitt 42 Stunden und 36 Minuten pro Woche (Bundesamt für Statistik, Mai 2018), in Europa werden sie dabei nur noch den Isländern überholt, die noch 20 Minuten drauflegen.
Erhält man für seine Leistung kein Geld, ist sie oft gefühlt nichts wert.
Erfolg definieren wir nach wie vor finanziell. Kein Wunder also, hört man von neuen Müttern nach durchwachten Nächten oft: «Aber er muss halt morgens zur Arbeit». … Sie nicht? Eine Elternzeit könnte hier langfristig in der Wahrnehmung sehr viel bewirken.
Wieviel arbeite ich? Rechne es aus mit unserer Vorlage!
Aber zurück zur Einstiegsfrage: Was mache ich eigentlich alles? Und was will ich machen? Ehrlicherweise wusste ich das selbst nicht so genau. Und habe mich deshalb einmal hingesetzt, und es en detail aufgeschrieben.
Sich selber also einmal bewusst zu machen, wieviel man eigentlich leistet, tut gut und fördert auch das gegenseitige Verständnis und die Wertschätzung. Die Rechnung ist dabei eine ganz einfache:
Mental Load + Care-Arbeit + Erwerbsarbeit = geleistete Arbeitsstunden.
Für euch haben wir das Ganze «in schön» aufbereitet, die Vorlage gibt es in unserem Concept Store:
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Um die einzelnen Komponenten der Liste etwas fassbarer zu machen, haben wir die Überbegriffe noch etwas ausgeführt. Selbstverständlich können beliebig viele eigene Punkte hinzugefügt werden.
Am besten füllen beide Partner:innen die Aufstellung für sich selber aus. Anhand der Ergebnisse lassen sich Verbesserungsmöglichkeiten diskutieren, miteinander, aber auch für sich selber – denn oft realisiert man erst, wenn man es schwarz auf weiss sieht, wie wenig Zeit im Hamsterrad eigentlich bleibt für die eigenen Bedürfnisse.
Auf der zweiten Seite finden sich deshalb die Zeiten, die Eltern auch für sich einplanen sollten. Diese Zeiten sind der Nährboden, damit der ganze Arbeitsteil funktioniert, die Organisation nicht im Streit zerbricht, die Liebe sich nicht irgendwo zwischen Kita und Mitarbeitergespräch verabschiedet. Gemeinsame Self-Care, aber auch individuelle.
Ich habe dank der Liste herausgefunden, dass ich schätzungsweise 81 Stunden pro Woche arbeite (Wochenenden nicht mitgezählt). Und ich bin sehr gespannt, wie eure Rechnungen aussehen und was eure Schlussfolgerungen daraus sind! Teilt sie gerne in den Kommentaren.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 1. Oktober 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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