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«Ich bin ein Mann ohne Lust auf Sex. Ich glaube, einer von Vielen»

Sexuelle Unlust wird oft als Frauenproblem beschrieben. Ist das nicht einfach ein Klischee? Nun bricht ein Mann das Schweigen.

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Von anonym

Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem Bett, wenden einander den Rücken zu. Wenn eine Person keine Lust mehr empfindet, belastet das die Beziehung sehr.

Zwei Jahre habe ich überlegt, ob ich meine Geschichte erzählen soll. Seit ich erstmals den Text «Ich habe keine Lust mehr auf Sex» von Linda bei euch gelesen habe. Mir geht es wie ihr. Ich habe keine Lust mehr – und das schon seit fünf Jahren.

Du kannst mich Simon nennen, wenn du einen Namen brauchst, um dich mir vorzustellen. Ich bin 43, Vater von zwei Kindern und ein ziemlicher Durchschnittstyp. Und ich bin überzeugt: Auch meine Lustlosigkeit ist eigentlich durchschnittlich.

Ich glaube, viele Männer haben keine Lust mehr auf Sex

Oder vielleicht müsste ich sagen: viele Väter. Denn wenn ich mich über meine Unlust austausche, dann bespreche ich das meistens mit Kollegen, die auch Kinder haben.

Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass ich mich ständig mit anderen Männern dazu unterhalte. Aber immer häufiger, mein Leidensdruck wächst. Und dadurch merke ich, dass es vielen so geht wie mir.

Ich hätte gerne mehr Sex. Also, ich hätte gerne mehr Lust auf Sex. Es stresst mich sehr, dass die Lust fehlt.

Aber irgendwann ist sie mir abhandengekommen und ich kann sie einfach nicht mehr wecken.

Meine Partnerin und ich sind seit neun Jahren ein Paar und seit sechs Jahren Eltern. Wir hatten einige Jahre ein erfüllendes Sexleben, wie man so schön sagt. Nichts Extravagantes, einfach gute gemeinsame Erlebnisse. Wir beide mussten nicht performen, unser Sex funktionierte ohne Druck oder Erwartungen, wir konnten immer gut miteinander darüber reden.

Manchmal hatte einer von beiden keine Lust, dann liessen wir es halt bleiben. Seit fünf Jahren aber bin ich fast immer derjenige, der lieber nicht möchte.

Meine Unlust kam mit den Kindern

Als ich das erste Mal einem Freund gestand, dass mir die Lust fehlt, seit das erste Kind da ist, nickte er verständnisvoll. «Diese Geburt, gell», sagte er. «Das hat mich auch erschreckt und ich hatte einige Monate lang keine Lust, obwohl meine Frau gerne wollte.»

Ich verstehe, was er meint und auch darüber sollten wir Männer wohl mehr untereinander und mit unseren Partnerinnen oder mit psychologischen Fachpersonen sprechen: Dass der Geburtsvorgang manche sehr unvorbereitet trifft und man das zuerst mal verarbeiten muss.

Ich kenne auch mehrere Männer, die eine postpartale Depression entwickelt haben. Dass dann die Lust fehlt, ist klar.

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Meine Unlust kam aber nicht von der Geburt oder der Belastung kurz danach. Und auch nicht davon, dass meine Partnerin seit der Geburt der Kinder ein bisschen Gewicht zugelegt hat. Das vermutete sie nämlich zuerst als Grund für meine Unlust, dass ich sie einfach nicht mehr attraktiv finden würde.

Zum Glück hat sie diese Sorge sehr rasch angesprochen und ich konnte gleich deutlich machen, dass das nicht das Problem ist.

Ich liebe meine Partnerin wirklich. Ich begehre sie. Oft dann, wenn ich sie gerade nicht in der Nähe habe, wenn ich ein Bild von ihr sehe. Dann denke ich: «Wie schön wäre es, wiedermal wirklich lustvoll zu sein!»

Was ist denn mein Problem? Warum habe ich keine Lust auf Sex?

Es spielt einiges zusammen. Ja, ja, Überraschung, das tut es natürlich meistens. Auch dann, wenn Frauen keine Lust mehr haben.

Grundsätzlich fehlt uns als Eltern natürlich oft die Zeit für spontanen Sex oder fürs langsame Entwickeln von Lust. Das kennen aber sicher fast alle und dagegen kann man etwas unternehmen, eine Kinderbetreuung organisieren für Sex-Dates oder so.

Bei mir ist der Hauptfaktor aber nicht die fehlende Zeit. Sondern:

Ich bin zu erschöpft, um Lust zu empfinden. Und schäme mich ein wenig, das zu sagen.

Denn auch wenn wir in der Beziehung sehr vieles möglichst gleichberechtigt aufteilen, leistet meine Partnerin ehrlicherweise mehr. Und trotzdem hat sie noch Lust auf Sex.

Ich aber bin vom Alltag total erledigt. Es ist mir einfach immer alles zu viel.

Jedes Mal, wenn meine Liebste die Initiative ergreift und intensiv zu kuscheln beginnt oder zu knutschen, verkrampfe ich mich ein wenig. Ich merke dann immer, dass ich gerade überhaupt nicht an Sex gedacht habe und auch die letzten Wochen gar nicht.

Sex ist in meinem Kopf gerade absolut keine Option. Wenn sie ihn nicht initiieren würde, hätten wir vielleicht monatelang oder sogar jahrelang keinen.

Manchmal mache ich mit und dann klappt es zum Glück. Ich habe mir auch schon überlegt, ob ich mir ein Potenzmittel beschaffen soll, für den Fall, dass es mal nicht mehr klappt. Wobei ich mich natürlich frage: Sollte ich das wirklich tun?

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Beim Text von Linda und in den vielen Kommentaren habe ich gemerkt, dass viele dagegen sind, dass man sich überreden lässt und seine Unlust überspielt. Ich verstehe das gut, besonders im Hinblick auf die veralteten Vorstellungen, dass eine Frau angeblich stets zur Verfügung stehen müsse, wenn jemand ihr mit sexuellen Absichten begegnet. Es ist wichtig, sich da deutlich davon abzugrenzen!

Wegen dieser Diskussionen unter Lindas Text habe ich gelernt, mich auch als Mann selbst zu hinterfragen, ob ich nun wirklich Sex haben möchte, oder einfach «dem Frieden zuliebe» mitmache.

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Wobei man sagen muss, dass bei uns kein Streit ausbricht, wenn ich meine Unlust äussere. Meine Partnerin ist verständnisvoll, auch wenn ich sehe, dass es sie ein wenig traurig stimmt, wie sehr unser Sexleben eingeschlafen ist. Und ich hoffe ja immer, dass durch das Sex-haben auch die Lust wieder erwacht. «Der Appetit kommt beim Essen», sagte mir ein Kollege einmal.

Bis jetzt leider nicht.

Was kann ich tun, um die Lust wiederzuerwecken?

Ich habe mit anderen Männern gesprochen und dabei gemerkt, wie viele diese Unlust kennen. Wir haben Tipps ausgetauscht oder uns gut zugeredet und uns Hoffnung gemacht.

Diese Statistiken über die Sexhäufigkeit bei Paaren: Ich weiss nicht, wie die entstehen, aber in meinem Umfeld hat kein einziges Paar mit Kindern einmal pro Woche Sex. Bei einigen meiner Bekannten hielt die sexuelle Unlust nicht fünf Jahre an, wie bei mir, aber ich kenne doch ein halbes Dutzend ähnliche Beispiele.

Was habe ich sonst noch getan? Ich habe meine Blutwerte checken lassen, war bei einem Therapeuten, habe Bücher gelesen, Podcasts gehört. Ich schlafe mehr, um meine Erschöpfung zu mildern.

Aber die Lust bleibt weg. Ich weiss nicht, was ich noch tun soll.


Informationen zum Beitrag

Veröffentlicht am 19. November 2024


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16 Antworten

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  1. Avatar von Tom
    Tom

    Ich sehe es auch so, dass die Diskussion in einem Beitrag laufen sollten. Vielleicht wird es dann etwas aktiver und die jeweiligen Sichtweisen bringen für die ein oder den Anderen neue Ideen zur Lösung oder zumindest zum Umgang damit?

  2. Avatar von Anonym
    Anonym

    Ich bin etwas erstaunt wie viele Frauen sich hier “plötzlich” finden, denen es genauso geht wie Lindas Mann. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätten sie ihre Erfahrungen im anderen Beitrag geteilt. Nicht dass wir am Ende zwei getrennte Diskussionen haben (eine über lustlose Frauen und eine über lustlose Männer), obwohl es doch ein- und dasselbe Thema ist.

  3. Avatar von Daniel, 39, verheiratet, zwei Kids
    Daniel, 39, verheiratet, zwei Kids

    Ich hätte schon Lust auf meine Partnerin, aber für mich sind da manchmal so viele „Schichten“ von Alltag über der Lust. Ein Streit hier ein Termin da, Unordnung dort und Kindergeschrei, Erschöpfung, oder sonst noch was, dass es einfach nicht dazu kommt. Vor zwei Jahren dann habe ich sie beim Fremdgehen erwischt und festgestellt, dass sie durchaus auch Sex möchte, halt offenbar nicht mit mir und ich nicht mit ihr. Auch ich war nicht treu und hatte mal einen Schwenker sonst wohin gemacht. Die Lust mit jemand anderem ist einfach mehr. Frustrierend aber Tatsache

  4. Avatar von
    Anonymous

    Danke für deine Offenheit, darüber zu sprechen. In unserer Gesellschaft geht man ja davon aus, dass Sex einfach dazugehört. Aber wieso eigentlich?

    Mein Mann und ich sind seit über 10 Jahren zusammen und leben eine sehr erfüllte Beziehung – grösstenteils ohne Sex. Wir sind uns körperlich und emotional sehr nah. Aber niemand von uns beiden verspürt ein grosses Bedürfnis nach Sex. Und wenn ich wirklich Lust verspüre, dann kann ich mich auch selbst befriedigen. Yes!

    Wir sprechen immer mal wieder darüber. Meist ausgelöst durch Diskussionen bei Freund*innen, die sich darüber beklagen, dass ihr Sexleben eingeschlafen sei. Während diese Paare oft frustriert sind, erleben wir es als befreiend. Unsere Beziehung leidet nicht darunter, im Gegenteil. Weil wir den nicht vorhandenen Sex so unbeschwert annehmen, spürt niemand von uns Druck oder gar Versagen.

    Und manchmal passiert es dann doch. Und dann ist es schön. Danach liegen wir beisammen und sagen: Vielleicht sollten wir doch öfter Sex haben?! Dann lachen wir beide und wissen, dass vermutlich bis zum nächsten Mal wieder Monate oder gar Jahre vergehen. Und das ist total ok.

    Ich wünsche mir, dass wir offener werden bezüglich Sexualität in Beziehungen.

    1. Avatar von
      Anonymous

      Toller Kommentar und gute Sichtweise!! Muss ich mir auch vor Augen halten, wenn es so für beide stimmt, nimmt den Druck👍🏻.

    2. Avatar von
      Anonymous

      🥰 daaanke….der Text von Simon hat mich sehr angesprochen und Dein Kommentar lies mich grad etwas weinen. Weinen, weil ich veim lesen dieses erleichternde Gefühl verspührte, dass wir nicht alleine sind und uns das nicht nur „schön reden“ 🥰

  5. Avatar von Rotzgöre
    Rotzgöre

    Danke für die Offenheit! Unbedingt zur Sexologin! Da kann man was tun.

  6. Avatar von
    Anonymous

    Super Bericht.
    Mich würde es wundernehmen, wie die Lust auf Pornokonsum bei Männern ausschaut, die keine Lust mehr auf Sex mit der Partnerin haben?

  7. Avatar von Anonym
    Anonym

    Hier dasselbe und er spricht nicht darüber. Für ihn stimmt es so und für mich nicht, ich schliesse mich dem Kommentar an, ich verzweifle fast. Aber Druck machen möchte ich auch nicht, aber so weitermachen ebenfalls nicht.

    1. Avatar von Anonym
      Anonym

      ich verstehe dich gut. Ist bei uns auch so. für ihn stimmt es so, für mich gar nicht. es frustriert mich, macht mich traurig und wütend. sex ist für mich auch ein Ventil und der Druck steigt täglich. bin auch gefühlt die einzige die seit der Geburt vor über einem Jahr keinen Sex mehr hatte. am Kind liegt es aber nicht.

      1. Avatar von Anonym
        Anonym

        Verstehe ich gut. Bei uns ähnlich, mit der Geburt wurde es drastisch weniger, monatelang nichts. Und wenns von mir kommt, empfindet er es als Druck. Viel viel Reden hat uns trotzdem nicht weiter gebracht. Ich weiss dir auch keinen Ratschlag, ausser gut für sich selber und die restlichen Bedürfnisse schauen.

  8. Avatar von
    Anonymous

    Bei meinem Mann ist es exakt das selbe und ich verzweifle fast. Wie geht man in der Ehe damit um? Wie geht Frau damit um und gibt es eine Lösung in der Ehe, für die Ehe?

  9. Avatar von Anonym
    Anonym

    Du bist nicht allein. In unserer Ehe ist ebenso, nur dass beide das selbe empfinden. Keiner von uns beiden empfindet Lust, es kommt nicht mehr dazu dass sich diese entwickelt. Sonst läuft es aber gut, wir lieben uns. Aber die Gesellschaft gaukelteinem vor: kein Sex, keine glückliche Ehe. Jeder wie er möchte!

    1. Avatar von Tom
      Tom

      Wenn ihr beide mit keinem oder sehr wenig Sex zufrieden in Eurer Ehe lebt, gibt es kein wirkliches Problem. Da hat Euch auch Niemand reinzureden. Das Problem entsteht aus sehr ungleicher Lust auf sex in einer Partnerschaft. Und daraus ergeben sich auch oft noch weitere. Man wird auch einfach unausgelichen und frustriert, wenn man vom Partner oder Partnerin in der Hinsicht einfach ignoriert wird.

  10. Avatar von Miriam
    Miriam

    Ich masse mir an als Frau einen Kommentar zu hinterlassen, die Erschöpfung und damit einhergehende Unlust sehr gut kennt: Kümmere dich um deine Erschöpfung, die Lust kommt wenn die Erschöpfung besser wird!

  11. Avatar von sexualberatung-fueralle
    sexualberatung-fueralle

    Hallo lieber Simon

    Ich finde es toll das du mit deiner Frau und auch mit deinem Freunden darüber sprechen kannst. Das ist schon ein grosser Schritt und eine wichtige Ressource.
    Und nun hast du dich auch gewagt und diesen Text verfasst, da sieht man wie Wichtig dir dieses Thema ist aber auch wie gross der Leidensdruck doch ist.
    Du hast recht, dass du nicht alleine damit bist, die Zahlen bei Unlust von Männern nehmen auch immer mehr zu. Leider wird jedoch oft darüber geschwiegen. Zu tief sitzen noch alte Glaubenssätze über Sex und Männlichkeit.
    Doch es ist kein Los das man akzeptieren muss. Man darf sich entscheiden auch keinen Sex mehr zu haben wenn man das nicht möchte.
    Aber wenn ein Leidensdruck da ist und man etwas änder möchte, kann man das.
    Es gibt das Angebot der Sexualtherapie welche bei genau solchen Themen Unterstützung bietet. Diese kannst du alleine besuchen oder auch mit deiner Frau zusammen.

    Ich selbst befinde mich in der Ausbildung zur Sexualtherapeutin und das Wichtigste was man über Sexualität Wissen sollte ist: Sexualität ist lernbar. Und wie eine neue Sprache zu lernen kann man Sexualität neu lernen und/oder erweitern. Wenn man dies möchte. Die Sexualtherapie begleitet dich auf diesem Weg.

    Ich wünsche dir alles gute auf deinem weiteren Weg und bin absolut positiv dass du und deine Frau euren Weg finden werden.

    Nochmals: Chapeau vor deinem Mut diesen Text zu verfassen und das Thema anzusprechen.

    Alles liebe
    Vivienne