«Ich habe keine Lust mehr auf Sex»
Viele Frauen mit Kindern haben weniger Lust auf Sex mit ihrem Mann. Einmal im Jahr genügt Linda, ihrem Partner nicht. Erfahrungsbericht rund um das Dilemma der verlorenen Lust in der Beziehung.

41 Prozent aller Paare mit Kindern haben mehrmals pro Woche oder sogar täglich Sex. Sagt eine Studie. Ich gehöre nicht dazu. Im Gegenteil. Ich hatte mit meinem Mann in den letzten fünf Jahren fünfmal Sex. Und vielleicht ist sogar diese Zahl beschönigt.
Am Anfang unserer Beziehung hatten wir oft und sehr erfüllenden Sex. Doch mit den Jahren und nach Schwangerschaft und Stillzeit ist unser Sexualleben gänzlich eingeschlafen, weil ich einfach keine Lust mehr habe.
Gehört Lust auf Sex zu einer guten Beziehung?
Wo sind all die Paare, die den Durchschnitt der Studie so nach oben treiben? Ich spreche mit vielen Müttern über dieses Thema, mit Freundinnen, Nachbarinnen, Cousinen und Arbeitskolleginnen. In meinem Umfeld haben viele in langjährigen Beziehungen und vor allem mit Kindern ähnliche Probleme wie ich. Jede dieser Frauen geht jedoch anders damit um.
Es gibt die, die keinen Sex haben. Die, die es ihrem Mann zuliebe machen. Oder die, die versuchen, das Sexualleben wieder aufleben zu lassen: «Wir möchten uns nun jeden Abend zehn Minuten streicheln – ganz ohne Absichten, nur um uns wieder etwas näher zu kommen.» Die vielversprechenden Experimente schlummern jedoch meist nach ein paar Tagen wieder ein oder die Paare starten sie nicht einmal.
Wenn mich mein Mann küssen will, dann werde ich zu Stein.
Ich entziehe mich ihm und murmle etwas wie: «Ich muss jetzt vorwärts machen.» Ich befreie mich und flüchte – und hoffe, dass sein nächster Versuch lange auf sich warten lässt. Oft bin ich einfach nur froh, wenn er mich nicht anspricht und nichts von mir will – vor allem abends, wenn die Kinder im Bett sind.
Ich will einfach nur für mich sein und meine Ruhe haben.
Ich war noch nie ein Mensch, der besonders viel Nähe braucht. Dennoch hatten wir insbesondere am Anfang unserer Beziehung oft und wirklich sehr schönen Sex. Er ist ein sehr guter Liebhaber.
Wenn ich mit jemandem Lust auf Sex hätte, dann mit meinem Mann.
Was ich so für Ratschläge höre: Mach‘s einfach, für ihn! Du musst Dich nur überwinden. Oder:
Mach einfach kurz mit, dauert ja nicht lange!
Mein grosses Problem ist, dass ich bei diesem Thema keine Kompromisse eingehen kann. Ich kann es nicht «für ihn» tun. Und ich kann es auch nicht tun, um zu verhindern, dass er fremdgeht.
Mittlerweile habe ich nicht mehr so ein schlechtes Gewissen und fühle mich auch nicht mehr ganz so «verkehrt» dabei, keine Lust zu verspüren. Ich frage mich sogar, warum wir Mütter uns im Zeitalter der Emanzipierung noch immer anhören müssen, dass etwas mit uns nicht stimme, wenn wir kein Bedürfnis nach Nähe und Sex haben. Obwohl es sehr vielen Frauen gleich oder ähnlich geht wie mir.
Wir müssen nicht wollen.
Unser Paartherapeut, den wir zwei Jahre lang regelmässig besuchten, wiederholte ständig, dass Nähe und Sex (bzw. ein intaktes Sexualleben) zu einer guten Partnerschaft gehören. Ich mag in einer Lebensphase sein, die es mich nicht besser wissen lässt, aber ich bin überzeugt: Das tut es nicht.
Und ich bin noch stärker überzeugt, dass die Studien nicht die ganze Wahrheit spiegeln. Dass viele Paare keinen oder nur wenig Sex haben, scheint eine Realität zu sein, bei der wir uns lieber selber belügen, als sie zu akzeptieren und darüber zu sprechen.
Warum ist es nicht okay, keinen Sex zu wollen – aber total okay, Sex zu wollen?
Wer definiert, dass Sex eine Art eheliche Pflicht ist?
Und warum gibt es zwar Sex-Therapie und blaue Pillen für den Mann, aber keinerlei Legitimität, dass es auch ein Leben ohne Sex geben kann, wenn die Fortpflanzung abgeschlossen ist?
Warum gibt es eigentlich keine Pille gegen die Lust der Männer?
Das Thema ist allgegenwärtig. Und je weniger Lust ich habe, desto präsenter wird es.
Kennt ihr diese irgendwie lustigen, aber mit der Zeit nervenden Andeutungen? Ich sagte nach einer Nacht mit wenig Schlaf wegen des ständig aufwachenden Kindes zu meinem Mann: «Heute Nacht ist er fünfmal gekommen.»
Mein Mann antwortet (genau, ihr wisst es schon…): «Ich will auch mal wieder kommen.»
Oder ich sage am Esstisch zum Kind: «Es ist heiss – du musst blasen.» (Anmerkung der Redaktion: Schweizerdeutsch für «pusten»)
Mein Mann antwortet (jawohl, auch hier ist es leicht zu erraten…): «Du solltest auch mal wieder blasen.»
Mein Mann hat noch immer die Hoffnung, dass unser Sexualleben bald wieder wird wie früher.
Er kann nicht ausleben, wonach er ein grosses Bedürfnis hätte.
Und das ist die Knacknuss, für die ich keine Lösung habe.
Was machen wir mit seiner Lust?
Ich weiss zwar, dass ich für mich richtig handle. Aber was ist mit ihm?
Für mich wäre es schlimm, akzeptieren zu müssen, dass er fremdgeht. Auch wenn ich weiss, dass die jetzige Situation für ihn ein grosses Opfer ist. Ich wünsche mir, dass andere Dinge zählen und er auch trotz dem wenigen Sex mit mir, unserer Beziehung und unserer Familie glücklich sein kann.
Und vielleicht wird es ja irgendwann tatsächlich wieder wie früher und meine Lust kommt zurück. Auch wenn ich mir das heute nicht vorstellen kann.
zum Thema
«Ich bin ein Mann ohne Lust auf Sex. Ich glaube, einer von Vielen»
Sexuelle Unlust wird oft als Frauenproblem beschrieben. Ist das nicht einfach ein Klischee? Nun bricht ein Mann das Schweigen. Die Geschichte von Simon liest du hier.
Video Live-Talk zum Thema «Keine Lust mehr auf Sex»
Auf Facebook haben wir zu diesem Beitrag am 26. November 2019 ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Felizitas Ambauen und der Sexologin Dania Schiftan geführt (gibt’s hier auch als Podcast zum Hören).
Wie steht ihr zu diesem Thema? Auch anonyme Kommentare sind möglich!
Anmerkung: Unter diesem Artikel wird fleissig kommentiert. Wir sind zwar persönlich mit einigen Kommentaren nicht einverstanden, möchten aber den Diskurs ermöglichen und veröffentlichen deshalb grundsätzlich alle Kommentare, in denen niemand persönlich angegriffen wird und die keine rassistischen, sexistischen, klassistischen, ableistischen oder anderweitig diskriminierende Hassbotschaften enthalten.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 9. November 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.