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Ja, wir wollen! Aber nicht so.

Es wird gerne behauptet, Frauen könnten schon, wenn sie wirklich wollen. Zum Beispiel Vereinbarkeit hinkriegen. Eine Widerrede.

Frau mit hochgereckter Faust. Frauen wollen Vereinbarkeit hinkriegen, aber nicht zu so einem hohen Preis.

Diesen Text wollte ich eigentlich früher schreiben. Aber dann wollte ich doch nicht. Es ist so eine Sache mit diesem Wollen.

Vor einiger Zeit blubberte im Schweizer Medientümpel eine Diskussion. Es ging um Frauen, die gemäss einer Studie etwas wollen: «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen», lautete eine Schlagzeile.

Auf diese Provokation folgten zahlreiche Artikel und wertvolle Einordnungen der Studie. Diese zeigen: es ist schon etwas komplizierter. (Und: Wie immer bei Studien ist wichtig, wer diese mit welcher Absicht in Auftrag gegeben hat und finanziert.)

Unser Team hat die ganze Diskussion beschäftigt, weil es um Problematiken wie Vereinbarkeit und Gleichstellung geht. Und weil wiedermal das Narrativ bedient wurde, Frauen würden einfach nicht genug wollen.

Ihr müsst euch nur genug anstrengen!

Diese Aussage wird ständig bei jedwelchen Themen repetiert, sehr clever: Wir sind dann so mit Reagieren beschäftigt, dass wir gar nicht ins Agieren kommen.

Ich war wütend. Drum wollte ich früher eine Widerrede schreiben.

Und wollte dann eben doch nicht. Weil: Da war noch ein Leben nebendran. Ich wollte nicht meinen Alltag über den Haufen werfen, weil einmal mehr irgendwer irgendwo irgendwas Tendenziöses, Zu-kurz-Gedachtes geschlagzeilt hatte.

Ich wollte mich nicht von externen Einflüssen überrollen und mein Leben durcheinanderwirbeln lassen. Weil das eh schon ständig passiert.

Euch auch?

Nur mal aufs Berufsleben fokussiert:

Wer will erwerbsarbeiten oder etwas mehr arbeiten, aber kriegt um diese Jahreszeit Herzrasen beim Gedanken ans nächste Schuljahr? Wer wartet bis zum heutigen Zeitpunkt immer noch auf die Stundenpläne und hat drum noch keinen Schimmer, wie sich Beruf und Familienleben nach den Sommerferien organisieren lassen?

Wer will die Kinder gut versorgt wissen während der Erwerbsarbeit, muss aber nach Erhalt des Stundenplans innert zehn Tagen fix die Plätze für Hort und Mittagstisch buchen, muss bei Grosseltern, Freund:innen, Nachbar:innen rumrennen, um irgendwie kleinere Lücken abzudecken oder Notfallpläne auszuhecken?

Wer will mit Erwerbsarbeit Geld verdienen, ahnt aber oder hat sogar berechnet, dass die Kosten für die Organisation plus die Kinderbetreuung höher sind als der Lohn für die Erwerbsarbeit?

Und ja, auch die Zeit, die man fürs Organisieren aufwendet, hat einen Wert!

Wer will sich mit der Erwerbsarbeit vor der Altersarmut schützen, die mehrheitlich Frauen betrifft?

Wer hat einen Kloss im Bauch beim Gedanken an die Rente, die im Durchschnitt 34,5% niedriger ist als die von Männern, wegen des Gender Pay Gaps, wegen unbezahlter Care-Arbeit, der AHV-Reform zuungunsten von Frauen?

Wer muss sich überlegen, ob das Verharren in einer unguten Ehe das kleinere Übel ist im Vergleich zur Trennung und damit auch tiefgreifenden Existenzängsten?

Wer will gerne Karriere machen, bräuchte dafür allerdings die Härte des eingetrockneten Haferbreis auf dem Tripp Trapp? Weil praktisch kein Tag vergeht ohne externes Infragestellen oder Abwerten des Könnens.

Wer weiss, dass solches Kleinmachen von anderen ignoriert werden sollte, hat aber im Inneren doch einen fruchtbaren Nährboden an Selbstzweifeln?

Wer will im Berufsleben als Person und nicht als Mutter wahrgenommen werden, wird aber doch täglich in die Mütterschublade bugsiert und damit kleingehalten, ausgegrenzt, entkräftet?

Wer will ganz viele weitere Beispiele reinrufen oder unten in die Kommentare schreiben, warum «Wer wirklich will, findet Wege» manchmal einfach nur Hohn ist, weil das exakt so viel mit unserer Lebensrealität zu tun hat, wie Gwyneth Paltrows Kerze nach ihrer Vagina riecht?

(Wer hatte bisher keine Ahnung, dass Gwyneth eine Kerze mit Vaginaduft auf den Markt gebracht hat, weil schlicht die Zeit fehlt für schaurig-schönen Klatsch?)

Wer will doch keine Beispiele nennen, keine Kommentare schreiben, weil es so auslaugend ist, immer wieder dasselbe zu erzählen, den Finger in die Wunde zu legen und doch wenig Fortschritt zu sehen?

We feel you.

Und trotzdem: Wir wollen!

Ja, wir wollen! Wir wollen etwas ändern!

Wir wollen signalisieren, dass wir viele sind. Wollen diese Sichtbarkeit und Vehemenz nach aussen zeigen, aber auch nach innen spüren. So dass wir und andere merken:

Ich kann nicht mehr, ich will so nicht mehr. Und ich bin damit nicht allein.

Das zeigen wir am feministischen Streik am 14. Juni.

Porträtfoto von Anja Knabenhans - Chefredaktorin mal ehrlich AG

Autorin

Anja Knabenhans ist die Content-Chefin von mal ehrlich. Sie war viele Jahre Journalistin bei der NZZ und NZZ am Sonntag – als Schreibende oder Tätschmeisterin, manchmal auch vor der Kamera oder hinter dem Podcast-Mikrofon. 2017 stieg sie bei Any Working Mom ein. Neben ihrer Tätigkeit bei mal ehrlich macht sie ihr eigenes Ding mit ding ding ding. Während sie beruflich ihre Freude am Tüpflischiss auslebt, zelebriert sie daheim das familiäre Chaos. Sie ist Mutter von zwei Kindern im Schulalter.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 5. Juni 2023 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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10 Antworten

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  1. Avatar von Martina
    Martina

    Ich merke bei mir auch, dass ich mit zwei Kindern nicht dieselbe berufliche Leistung erbringen kann/will wie vorher. Es wäre wohl auch Augenwischerei davon auszugehen, dass Kinder zu haben keine Energie und Zeit benötigt? Und weshalb werden hier die Frauen als die leidtragenden hingestellt? Es mag Frauen geben die tatsächlich alles alleine stemmen müssen, aber ich gehe davon aus dass in dem Artikel auch von Müttern mit Partner die Rede ist. Was ist mit den Vätern?? Habe auch einige Berichte über den Frauenstreik gelesen und verstehe nicht ganz, weshalb staatliche Massnahmen wie Kita-Plätze verlangt werden, aber null an die Väter appelliert wird. Von “den Männern” hört man keine Forderungen nach Kita-Plätzen. Was ist da los in den Paarbeziehungen?

  2. Avatar von Andi
    Andi

    Ich bin auch einer dieser Männer, die überzeugt sind, dass Frauen beruflich sehr viel mehr erreichen könnten, wenn sie denn unbedingt wollten. Und für die ETH weiss ich aus eigener Erfahrung, dass viele Frauen diesen Weg nicht gehen wollen. Weil es nicht um Arbeitsstunden oder gar teilzeit geht, sondern letztlich nur um möglichst viele möglichst hochkarätige Publikationen, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Arbeit am Abend, am Wochenende, Tagungen im Ausland, mindestens auch Forschungsaufenthalte im Ausland, usw. Wer das will, muss Abstriche machen, und da sind Frauen offensichtlich viel weniger bereit dazu als Männer (was ja gar nicht falsch ist).
    Die vielen angeführten Punkte, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren, sind alle richtig und mühsam, auch wenn es da doch viele Fortschritte gegeben hat. Die offene Frage bleibt, warum sie anscheinend immer nur Mütter, aber kaum die Väter betreffen. Objektiv gesehen gibt es dafür keinen Grund. Da kann aber auch kein Streik helfen, und auch nicht die Gesellschaft, sondern es sind die Frauen selber, die das mit dem Partner aushandeln müssen (und dabei vermutlich auch Abstriche machen müssen bei Haushalt und Betreuung). Aber irgendwie scheint das vielen Frauen noch immer schwer zu fallen. Abgesehen davon, dass ja auch viele ganz zufrieden sind damit, dass ER die finanzielle Verantwortung übernimmt, und sie auch Zeit mit den Kindern verbringen dürfen. Ist ja nicht so, dass alle Mütter am liebsten nur schon die verlangten 35 Stunden erwerbstätig bleiben wollen.

    1. Avatar von Anja Knabenhans
      Anja Knabenhans

      Lieber Andi, du sprichst einige wichtige Dinge an. Grad die partnerschaftliche Aufteilung wurde hier im Artikel weggelassen – aus Platzgründen. Natürlich betreffen die genannten Punkte nicht nur die Mütter, bzw. sie sollten es nicht. Denn wie du schreibst: Objektiv gesehen gibt es dafür keinen Grund. Da darf sich definitiv noch einiges verändern, dürfen alle Geschlechter noch mehr miteinander zusammenspannen, damit es für alle stimmt und beispielsweise auch die finanzielle Hauptverantwortung nicht mehr so ungleich verteilt ist.

  3. Avatar von Corina
    Corina

    Vielen Dank für den treffenden Artikel! Ich fühle mich sehr verstanden 💜

  4. Avatar von Stefanie
    Stefanie

    Liebe Anja
    Auch mich hast du mit diesem Text mitten im Herzen berührt. Deine treffenden Worte bringen dieses überaus wichtige Thema für mich genau auf den Punkt. Ich bestaune deinen Wortwitz trotz ernstem und schwierigen Thema, welches uns Frauen wohl alle betrifft. Schreib(t) bitte weiter und lasst uns für unsere Anliegen einstehen.

  5. Avatar von Simone
    Simone

    Ja, die Mutterfalle ist ganz schrecklich. Während der Schwangerschaft und bis etwa ein Jahr danach wurden mir Fragen gestellt wie: wie organisierst Du das? Als hätte es keinen Vater. Danach, als gesehen wurde, dass ich weder das Gehirn verloren habe noch plötzlich schlechtere Arbeit und weniger Amition an den Tag legte wurde ich nicht mehr als die “Mutter” sonder einfach wieder als die Kollegin oder Workingwomen gesehen. Wieso wird immer von den Frauen erwartet, dass sie die ganze Kinderbetreuung organisieren?
    Ja es ist furchtbar? Mein Fazit: arbeitet weiter und verhandelt gut mit dem Partner. Übernimmt nicht die ganze Mental Load sondern nur die halbe! Auch wenn die Betreuungskosten so hoch sind wie ein Salär lohnt es sich in the long run trotzdem. Und demonstriert weiter!!!

  6. Avatar von Kathrin
    Kathrin

    Wer überlegt sich auch immer mal wieder, die Erwerbstätigkeit einfach hinzuschmeissen, weil sie nicht mehr immer, ständig, die ganze Zeit organisieren mag? Es hört nie auf! Immer das Schwitzen, ob eine Betreuung organisiert werden kann, sobald ein Termin ausserhalb der eigentlichen Arbeitszeiten dazukommt.

    1. Avatar von Sandra
      Sandra

      Erwerbstätigkeit einfach hinschmeissen können Frauen die Hauptverdienerinnen sind nicht. Dafür haben sie eventuell einen besseren Leverage in den Verhandlungen mit dem Partner. Geld ist Macht und Geld erlaubt Betreuung, Putzen etc einzukaufen. So ist es halt mal.

  7. Avatar von Tanya
    Tanya

    Ja ich will auch, kann jedoch nicht noch mehr

    Anja Du schreibst mir aus der Seele. Das Leben fühlt sich tagtäglich so an, als würde jede Abweichung vom geplantem im totalen Chaos enden und das Gefühl das bleibt ist totale Erschöpfung.
    Danke für Deine Zeit diesen Text so zu verfassen, dass ich mich etwas besser fühle, da ich nun weiss, es geht vielen so.

    Gruss Tanya

  8. Avatar von Nora
    Nora

    Bravo! Grandios geschrieben! Herzlichen Dank, Anja Knabenhans. Digitaler Applaus aus Freiburg (Dütschland). Macht weiter so! Eure Texte sind Balsam für die Seele