Eingesperrt in der Mütter-Schublade: Sexismus am Arbeitsplatz
Von der gläsernen Decke in die Mütter-Schublade: Mütter werden nach ihrer Rückkehr in den Beruf oft zurückgebunden. Ein Erfahrungsbericht über Diskriminierung und Sexismus am Arbeitsplatz in der Schweiz.
Mein Mann hatte einen neuen Job – in der Schweiz. Und so zogen wir mit Kind und Kegel aus den USA in die neue Heimat. Ich freute mich, als ich tatsächlich eine Kaderstelle in Teilzeit antreten durfte. Zunächst lief alles super… Aber dann begannen einige seltsame Dinge zu passieren.
Zum ersten Mal in meinem Berufsleben begegnete ich Sexismus. Ich erzähle hier meine Geschichte, um herauszufinden, ob andere Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Alle identifizierenden Details werde ich auslassen, weil ich niemanden an den Pranger stellen möchte.
Das ist meine Geschichte – eine von vielen.
Man hatte mich bereits gewarnt, dass Frauen am Arbeitsplatz oft subtil oder direkt diskriminiert werden in der Schweiz. Aber ich machte mir deswegen keine Sorgen – ich freute mich, dass Teilzeitarbeit für Mütter recht weit verbreitet war und dass eine gute Work-Life-Balance geschätzt wurde.
Ich hatte auch meinen Beruf in den Staaten geliebt, denn ich hatte das grosse Glück, die Verantwortung einer Führungsposition mit Zeit für meine Kinder vereinen zu können – der Preis dafür war jedoch, dass ich fast jede kinderfreie Stunde hatte arbeiten müssen.
Mein Chef in der Schweiz war clever und charmant. Unsere Arbeit brachte einen sozialen Nutzen und war intellektuell anspruchsvoll. Meine Kollegen – hauptsächlich junge Männer – hiessen mich willkommen und waren nette, smarte Mitarbeiter. Und ich fand es liebenswert, wenn auch etwas überraschend, wie entgegenkommend mein Chef in Bezug auf meine Kinder-Termine war.
Ich selbst, aber weichgespült
An unserem ersten, grossen Projekt arbeitete ich hart und lange – sogar während der Schulferien – damit wir unsere Deadline einhalten konnten. Meine Leistung war gut, mein Chef war zufrieden. Umso seltsamer, was als Nächstes passierte.
Zunächst schob ich mein schlechtes Bauchgefühl auf die kulturellen Unterschiede und dachte, dass ich mich mehr anstrengen müsse, um mich an die Schweizer Kultur anzupassen. Mir war bewusst, dass die Eigenschaften, die Schweizer an Amerikanern bewundern, die gleichen sind, die sie an ihnen kritisieren: Sind Amerikaner selbstbewusst oder arrogant? Kreativ oder nachlässig? Dynamisch oder einfach laut?
Ich arbeitete hart daran, das, was ich als mein «Amerikanertum» empfand, zu vermindern: meine Offenheit, Direktheit, Kreativität, meinen Ehrgeiz und meine Vorliebe dafür, lange zu arbeiten, auch in der Mittagspause und an Wochenenden. Ich war ich selbst, aber weichgespült, mit heruntergedrehter Lautstärke.
Mehr Verantwortung – wenn die Kinder älter sind
Ich hatte trotzdem noch immer das Gefühl, dass irgendetwas «falsch» war.
Mein Chef teilte mir regelmässig Arbeit zu, die für jemanden mit wesentlich weniger Berufserfahrung angemessen gewesen wäre.
Währenddessen blieb jede Menge anspruchsvoller Arbeit, die genau mein Ding gewesen wäre, einfach liegen. Als ich ihm vorschlug, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, schien ihm das unangenehm zu sein. Er sagte mir, dass ich vielleicht mehr Verantwortung übernehmen könne, wenn meine Kinder älter seien. Ich brachte nicht mehr als ein «Danke» hervor – ich war perplex.
Seine früheren Versprechen, dass ich mich weiterentwickeln könne, waren vergessen. Er antwortete nicht mehr auf E-Mails, fing an, mich von Meetings auszuschliessen. Als ich ihn ausdrücklich darum bat, durfte ich ihn und einen anderen Kollegen auf eine Konferenz begleiten, die direkt mit meiner Arbeit zusammenhing, aber es wurde mir deutlich gemacht, dass ich mich aus Gesprächen in der Kaffeepause herauszuhalten hätte und erst recht aus den wichtigen Meetings.
Eingesperrt in der Mütter-Schublade
Ich hatte nicht nur das Gefühl, an die gläserne Decke zu stossen, sondern in eine Schublade gesteckt worden zu sein – ich nenne sie inzwischen «die Mütter-Schublade». Solange ich mich innerhalb dieser Grenzen bewegte, mochte mein Chef mich. Und eigentlich war es bequem: Ich wurde gut bezahlt, war nicht überarbeitet und jeder war freundlich zu mir.
Aber sobald ich es wagte, mich aus der mir zugewiesenen Schublade herauszulehnen, wurde ich zurückgescheucht.
Konnte mein Chef nicht erkennen, dass wir im gleichen Team waren? Und keine Konkurrenten? Dass es ihm helfen würde, wenn ich hart arbeitete und mehr Verantwortung übernahm? Ich ging davon aus, dass ich das Problem war, dass ich etwas falsch machte. Also tat ich, was Frauen oft tun: Ich zweifelte an mir selbst und strengte mich noch mehr an.
Ich sagte zu meinen Chef: «Ich bin sehr dankbar, dass Sie meine familiären Verpflichtungen so sehr respektieren, aber bitte behandeln Sie mich wie einen der Jungs.» (Nicht einmal, als ich diesen Satz aussprach, kam es mir in den Sinn, dass die Situation tatsächlich mit meinem Geschlecht zusammenhängen könnte.)
Das Fass war am überlaufen, als der Name meines Chefs unter meiner Arbeit stand – meiner aber komplett fehlte. Ich fragte, ob ich als Co-Autorin genannt werden könne, doch er meinte nur «Nein» und schob eine fadenscheinige Erklärung nach. Da ich noch immer bemüht war, es mir mit ihm nicht zu verscherzen, gab ich nach.
Eine «schwierige Frau»
Als ich mich endlich, Wochen später, dagegen wehrte, ständig ausgeschlossen zu werden, erklärte mein Chef mir seine Sichtweise: Ich arbeitete zu schnell, dachte, ich sei zu gut für den Job und redete zu viel über meine vorherigen Erfahrungen. Er fügte an, dass die anderen Amerikaner, die er kenne (allesamt Männer!), bescheidener seien als ich.
Diese Kritik sass. Nicht, weil sie wahr war, sondern weil es nichts gab, das ich daran ändern konnte. Ehrgeiz, harte Arbeit, Effizienz, Kreativität, Initiative und Leidenschaft.
Genau die Qualitäten, die er an Männern schätzte, machte er mir zum Vorwurf.
Wenn ich die Situation akzeptierte, würde ich für immer in die Mütter-Schublade gesteckt – wo es zwar warm und gemütlich ist, die Arbeit nicht allzu anspruchsvoll. Aber wenn ich darauf bestand, meine Fähigkeiten voll auszuschöpfen, kam jene Kritik, die starke Frauen auf der ganzen Welt zu hören bekommen: zu ehrgeizig, arrogant, aufdringlich, herrisch, und auf einmal gar nicht mehr so warm.
Ich würde das werden, was in den USA und in der Schweiz vielleicht sogar noch mehr gefürchtet wird: «eine schwierige Frau».
Als Teilzeit arbeitende Mutter hatte ich gefälligst dankbar zu sein für das, was man mir gönnte. Happy in meiner Schublade.
Mein Chef ist ein «nice guy» und hält sich selbstverständlich nicht für einen Sexisten. Trotzdem wird er nicht nur andere Frauen, mit denen er arbeitet, ausbremsen, sondern auch sich selbst: Talentierte Frauen werden entweder die geringen Erwartungen an sie verinnerlichen und keine Leistung bringen – oder sie werden gehen. (Weitere Artikel zu dieser Problematik hier, hier und hier.)
Diskriminierungen von Müttern – ein Spiel, das wir nicht gewinnen können
Ich begann, Schweizer und Nicht-Schweizer Mütter nach ihren Erfahrungen zu fragen. Meine Stichprobe war winzig, aber beinahe jede berufstätige Mutter hatte eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Forschungsergebnisse lassen darauf schliessen, dass es sich dabei nicht um Ausnahmen handelt. Das Muttersein bringt uns in eine Position, aus der wir nicht gewinnen können. (Einige dieser Probleme werden in diesem und diesem Artikel besprochen.)
Für mich persönlich bedeutet die Erfahrung, dass ich zum Thema Geschlechterdiskriminierung nicht länger schulterzuckend «nicht mein Problem» sagen kann. Ich finde es nicht mehr fair, die Vorteile des Feminismus zu geniessen, ohne selbst etwas dazu beizutragen.
Ich habe zum Beispiel angefangen, in Meetings auf «Mansplaining» hinzuweisen. Es bedeutet auch, dass ich die Konsequenzen ziehe. Ich kündige meinen Job, verlasse die Mütter-Schublade, um mir etwas Eigenes aufzubauen.
Aus der Schublade ausgebrochen
Falls das jetzt einfach klingt – das ist es nicht. Als mein Chef mir sagte, ich sei arrogant, kamen mir die Tränen. Peinlich, vielleicht. Aber dann sagte ich etwas, womit ich eigentlich selbst nicht gerechnet hatte:
Sie müssen nicht alles an mir mögen, aber ich werde mein Licht nicht wegen Ihnen unter den Scheffel stellen.
Vielleicht war das in einem Land, das wenig wert auf Drama legt, ein wenig zu viel davon. Aber die Wahrheit ist: Auf dieser Welt ist genug Platz für die Leistung meines Chefs und auch für meine. Die Herausforderungen unserer heutigen Lebensrealität sind so übermächtig, dass wir es uns schlicht nicht leisten können, die Kreativität, den Ehrgeiz und die Führungskompetenz der halben Bevölkerung (!) ausser Acht zu lassen.
Frauen – einschliesslich Mütter – in eine Schublade zu sperren, ist unnötig, gemein und irrational. Aber was noch schlimmer ist: Es ist die reinste Verschwendung. Es gibt schon genügend Dunkelheit auf dieser Welt, wir brauchen alle Scheinwerfer, die wir kriegen können.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 18. September 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
Die Autorin möchte anonym bleiben, weil sie niemanden an den Pranger stellen will. Sie ist eine in den USA geborene Mutter, die mit ihrer Familie in der Schweiz lebt.
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