Mein Erstgeborener wird 16 – und jetzt?
Energydrinks statt Muttermilch: Unsere Autorin hat sich gefühlt nur rasch umgedreht, und schon war ihr Sohn erwachsen. Für sie ist klar: Die Erziehung ist vielleicht vorbei, aber die Beziehung ist es noch lange nicht.

Da stand er nun, unser Ältester, umringt von seinen Freunden auf der Galerie vor der Schulhausaula, wo in wenigen Minuten die Aufführung des Schulschlusstheaters stattfinden sollte. Die Jungen lachten in samtig runden Basslagen, die die krächzenden Übergangslaute abgelöst hatten.
Ungewohnt verloren
Sie trugen Anzüge und Krawatten, wie es ihre Theaterrollen verlangten, und sahen in den schlackernden «Tschoopen» gerade so aus, wie sie sich möglicherweise in ihren kürzlich ihrer bekannten Form entwachsenen Körpern auch fühlten, etwas ungewohnt verloren.
Dass er über den Sommer erwachsen werden würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
In zwei Wochen würde mein Junge, der mich schon um einen halben Kopf überragt, seine obligatorische Schulzeit hinter sich lassen und einen neuen Lebensabschnitt starten. Dass er über den Sommer erwachsen werden würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
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Eine «tubelisichere» Anleitung
Als mein Erstgeborener noch ganz klein war, war ich stets gut vorbereitet auf jeden Entwicklungssprung. Die Taschenbuchausgabe von «Oje, ich wachse!» lag gemeinsam mit Remo Largos «Babyjahre» griffbereit auf meinem Nachttisch. Ich dachte, es gäbe für alles eine Antwort, eine «tubelisichere» Anleitung für Eltern, die sich in ihrer Rolle bisweilen auch ungewohnt verloren fühlten.
Ich las darüber, wie sich seine Welt alle paar Wochen von Neuem auf den Kopf stellte, und er erst wieder lernen musste, mit einer neuen Wahrnehmung klarzukommen. Ich stellte mir das furchtbar vor, wie ein übler, niemals enden wollender Trip, der einem nichts anderes übrig lässt, als sich mit ihm anzufreunden.
Alles kommt gut
Also nahm ich das verunsicherte Baby nahe zu mir, hielt es fest und gab dem kleinen Wesen, das nicht anders konnte, als seinen Eltern einen grossen Batzen Vertrauen vorzuschiessen, die Zuversicht, dass alles gut kommen würde. Selbst wenn immer wieder alles neu und anders aussah.
Nun aber, sechzehn Jahre später, bin ich diejenige, die die Welt nicht mehr versteht.
Nun aber, sechzehn Jahre später, bin ich diejenige, die die Welt nicht mehr versteht. Mein Sohn, den ich bisher habe zwingen müssen, sein Zimmer auch mal zu verlassen, ist auf einmal ständig weg von zu Hause. Sei es abends in der Stadt, zum gemeinsamen Kochen mit Freunden oder mit seinem neuen GA unterwegs quer durch die Schweiz.
Das Thema beschäftigt auch unsere Community:

Podcast-Empfehlungen für Teenie-Eltern gesucht! Also für die Phase, in der plötzlich alles wieder anders ist…
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Er entscheidet selbst. Manchmal geht er freitags mal eben «kurz» raus und kommt sonntags nach Hause, dazwischen informiert er uns immerhin mit lustigen Videos von sich und seiner Clique darüber, wo er so ganz spontan gelandet ist.
Man möchte sich empören
Wenn wir ihn doch noch überreden können, ein Wochenende zu Hause zu verbringen, dann schlafen noch zwei oder drei andere Jungs hier. Sie trinken abends Energydrinks, schlafen weit nach Mitternacht ein und stehen am folgenden Nachmittag mit dem ersten Kaffee in der einen und einer Kippe in der anderen Hand in unserem Garten.
Es kommt mir vor, als hätte ich mich nur einen Moment weggedreht, schon ist mein Kind herausgewachsen aus dem Bild, das ich von ihm hatte.
Man möchte sich empören, hat den Impuls, sie auszuschimpfen … und wird dann Gewahr, dass es keine Kinder mehr sind, sondern liebenswürdige und besondere junge Leute, bestimmt nicht schlimmer als wir selbst in dem Alter waren.
Vertrauensvorschuss
Es kommt mir urplötzlich vor, als hätte ich mich nur eben einen Moment weggedreht, schon ist mein Kind herausgewachsen aus dem Bild, das ich noch von ihm hatte. Und ich bin nun diejenige von uns beiden, die einen Moment braucht, um klarzukommen.
Mir wird klar, selbst wenn die Zeit der Erziehung vorbei ist, die Beziehung ist es noch lange nicht.
Aber nahe ist er mir noch immer. Zu später Stunde, wenn ich nur noch Zähneputzen und ins Bett fallen will, kommt er manchmal an und erzählt detailreich und viel aus seinem Leben. Die Worte plätschern aus ihm heraus wie aus einer sprudelnden Quelle, die sich unter hohem Druck einen Weg nach aussen hat bahnen können.
Und mir wird klar, selbst wenn die Zeit der Erziehung vorbei ist, die Beziehung ist es noch lange nicht. Mit oder ohne Remo Largo, wir haben es ganz gut hingekriegt bis jetzt. Wir schiessen also ganz viel Vertrauen vor und glauben fest daran, dass alles gut kommt, auch wenn es anders wird.
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Veröffentlicht am 4. August 2025
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