Kolumne zum Muttertag
Andrea Jansen ist mal ehrlich: So bringe ich alles unter einen Hut
Wer mich innert Sekunden von 0 auf 100 bringen möchte, stellt mir die Frage, die jede berufstätige Mutter schon einmal gehört hat.

«Wie bringst du das alles unter einen Hut?»
Die knappe Antwort: Gar nicht.
Aber es gibt auch eine ausführlichere. Eine, wo ich erkläre, warum ich diese Frage einerseits nicht mehr hören mag, und sie mich vor allem extrem hässig macht. Die Hutfrage ist nämlich – auch wenn oft nicht so gemeint – die implizite Annahme, dass es grundsätzlich möglich sein sollte, alles unter diesen Hut zu bringen – die Frage wäre bloss: wie.
Dabei ist schon die Prämisse falsch. Was für ein Hut soll das überhaupt sein?
Ein grosser Sombrero mit Krempe, auf die man noch ein paar To-Do’s mehr drauflegen könnte? Eine Charlie-Chaplin-Melone mit grossem Hohlraum, dessen Wände mit To-Do-Listen tapeziert sind? Ein Bearskin, einer dieser 45-Zentimeter-hohen schwarzen Felldinger, die die Foot Guards der Englischen Königsgarde tragen?
Stelle ich mir sowohl beim Stillen, wie auch beim Mitarbeitergespräch eher störend vor. Am ehesten wär’s ein magischer Hut, wie der von Gandalf. Weil, wer tatsächlich alles unter einen einzigen Hut bringen will, muss Zaubern können.
Wer alles haben will, muss auch alles stemmen können. Gleichzeitig.
Die Annahme, dass Beruf und Kinder und Freundschaften und Sport und Haushalt und all die vielen Rollen, in die wir während eines Tages schlüpfen, vereinbart werden sollen, kommt ja daher, dass wir ja jetzt «alles haben können». Mütter dürfen jetzt auch Karriere machen, klar, kein Problem, es stehen ihnen alle Türen offen, sie dürfen jede Leiter nehmen, hoch hinaus…
…so lange sie alles «unter einen Hut bringen». Solange sie all das, wofür sie vorher schon die Verantwortung getragen hatten, weiterhin wuppen. Wer alles haben will, muss auch alles stemmen können. Gleichzeitig. Unter einen ausgebeulten, bis auf’s Zerreissen gespannten Hut, der auch ein ziemlich gutes Symbolbild dafür abgibt, wie man sich bei diesem unmöglichen Kraftakt fühlt.
Kind und Karriere heisst: ständig Hüte wechseln
Natürlich geht Kind und Karriere. Einfach nicht gleichzeitig. Womit ich nicht meine, dass ein Kind und beruflicher Erfolg sich in der gleichen Lebensphase ausschliessen, aber im exakt gleichen Moment.
Auch wenn uns die UBS und einige Versicherungen mit ihren Werbeplakaten, wo pausbäckige Babys auf den Schössen der glücklichen Corporate-Mütter im Homeoffice deren Laptops vertöpeln, uns das Glauben machen wollen.
Wir brauchen eine Garderobe, an der wir die Hüte auch mal abgeben dürfen. Ohne schlechtes Gewissen.
Kind und Karriere bedeutet, ständig Hüte zu wechseln. Manchmal in Sekunden – wenn man aus einem Meeting rennt und den Boss-Hut auszieht, weil man für das weinende Kind am anderen Ende des Telefons den Mami-Hut braucht, und dann wieder zurück hastet.
Wer Vereinbarkeit leben will, braucht ein ganzes Arsenal an Hüten – und noch viel wichtiger: Wir brauchen eine Garderobe, an der wir die Hüte auch mal abgeben dürfen. Ohne schlechtes Gewissen. Wir können vielleicht alles haben – aber wir können nicht alles tragen.
Es würde mit der Hut-Analogie auch funktionieren – aber das Bild der vier Herdplatten zeigt es besser: wenn wir unser Wirken schon nur auf vier Bereiche reduzieren – sagen wir: Arbeit, Familie, Freundschaften, Sport – ist es unmöglich, alle Herdplatzen gleichzeitig zu befeuern. Eine bleibt lauwarm – oder sogar kalt.
Jonglieren mit Bällen aus Glas und Plastik
Ein weiterer Vergleich, der sich mir eingebrannt hat, stammt aus einem Zitat der amerikanischen Schriftstellerin Nora Ephron*: Wir jonglieren mit Bällen aus Plastik, und Bällen aus Glas. In allen Bereichen unseres Lebens gibt es wichtigere Dinge (Glasbälle), und weniger wichtige (Plastikbälle) – wenn wir versuchen, so viel gleichzeitig zu jonglieren, werden uns gezwungenermassen Bälle auf den Boden fallen.
Manchmal sind es Familienbälle, manchmal Arbeitsbälle – aber in beiden Gruppen gibt es gläserne, und solche, die aus Plastik sind. Und manchmal müssen wir auch einen Plastik-Familienball fallen lassen, um den Arbeitsball aus Glas zu fassen.
Man kann nicht immer alles auffangen, aber man muss erkennen, was niemals zerbrechen darf – meinte Nora Ephron.
Immer und alles – es geht schlicht nicht. Und wir müssen aufhören, so zu tun, als ob.
Ich würde am liebsten diesen sagenumwobenen Hut in Flammen setzen.
Während Ende der 60er BH’s in die Tonne gerührt wurden (Fun Fact: sie wurden gar nie angezündet!), würde ich am liebsten diesen sagenumwobenen Hut in Flammen setzen, der symbolisch den Druck darstellt, der uns Müttern kontinuierlich durch diese unsägliche Frage gemacht wird.
Da ich ja aber danach wohl selber den Dreck wieder wegräumen müsste, und mir dazu die Zeit fehlt, wünsche ich mir auf den Muttertag folgendes:
1. Hört auf, diese Frage zu stellen.
2. Und wenn sie euch jemand stellt, zieht bitte euren Erklärhut an. Und legt los.
*Originalzitat von Nora Ephron, Übersetzung KI: «Der Schlüssel zum Jonglieren liegt darin zu wissen, dass einige der Bälle, die du in der Luft hältst, aus Plastik sind und andere aus Glas. Wenn du einen Plastikball fallen lässt, springt er einfach zurück – kein Schaden entsteht. Wenn du jedoch einen Glasball fallen lässt, zerbricht er – deshalb musst du wissen, welche Bälle aus Glas und welche aus Plastik sind und deine Priorität darauf legen, die Glasbälle zu fangen.»
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Veröffentlicht am 10. Mai 2025.
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